Jahrbuch-Archiv: Band 26 (2016)

Band 26 (2016): Musikpsychologie – Musik und Gesundheit

Band 26 wurde herausgegeben von Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn und Richard von Georgi. Die redaktionelle Betreuung lag bei Isabel Bötsch, Hauke Egermann, Mirjam James und Kathrin Schlemmer.

 

Der gedruckte Band ist 2016 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Themenschwerpunkt: Musik und Gesundheit

Neurowissenschaftliche Aspekte der Musiktherapie bei affektiven Störungen und bei Demenz Neuroscience aspects of music therapy for affective disorders and dementia [*]

Jörg Fachner, Thomas Wosch
Für die Musiktherapie affektiver Störungen und Demenz steht die Regulation bzw. Kontrolle von Emotionen im Mittelpunkt. Zu den Ergebnissen und Prozes­sen dieser Bearbeitung in der Musiktherapie liegen Wirkungsstudien, Untersu­chungen zur Emotionswahrnehmung, neurowissenschaftliche und Biomarker­studien vor. Im Fokus stehen dabei die Veränderung von Messwerten, von physiologischer Reaktion und Emotionswahrnehmung bei affektiven Störungen sowie die Arousal-Regulierung und Lernprozesse bei Demenz. Es werden anhand ausgewählter Studien insbesondere frontotemporale Aktivitäten bei affektiven Störungen und die kompensatorische Funktion intakter Regionen des Gehirns bei Demenz für die Regulation bzw. Kontrolle von Emotionen in der Musikthe­rapie diskutiert. Dabei scheint die Bearbeitung negativer Valenzproblematik diskreter Emotionen eine zentrale Rolle einzunehmen.

Singen und subjektives Wohlbefinden: Ein Vergleich von Musik- und Sportschwerpunktschulen Singing and subjective well-being: A comparison of music and sports schools [*]

Richard von Georgi, Isabell Bötsch, Katrin Fedorov
Ziel der Studie war ein Vergleich von Gruppen mit unterschiedlichen Tätigkeits­schwerpunkten in der Schule. Im Einzelnen sollte untersucht werden, ob Singen oder Sport positiv zum subjektiven Wohlbefinden beitragen und welche mögli­chen Unterschiede sich zwischen den Gruppen nachweisen lassen. Hierzu wur­ den insgesamt n=169 Schüler und Schülerinnen aus Schwerpunktgymnasien und einem allgemeinen Gymnasium erhoben. Erfasst wurden Affektivität (PANAS), Persönlichkeit (NEO-FFI), Stressverarbeitung (SVF), körperliche Beschwerden (INKA) sowie unterschiedliche Dimensionen des Flow-Erlebens (ÜFI). Die Ergebnisse zeigen, dass beide Gruppen mit einem Tätigkeitsschwer­punkt Indikatoren eines höheren subjektiven Wohlbefindens aufweisen. Hierbei ergaben sich jedoch Unterschiede zwischen beiden Gruppen: Versuchspersonen aus den Musikgymnasien mit dem Schwerpunkt Singen weisen eine passivere Stressverarbeitung auf und berichten ein geringeres Flow-Erleben sowie eine geringere Flow-bezogene Selbstkongruenz und eine höhere Konzentrationsver­lustangst als Versuchspersonen aus Sportgymnasien. Persönlichkeitsunterschie­de hatten dagegen keinen Einfluss. Die Studie zeigt, dass unterschiedliche Schwerpunkttätigkeiten möglicherweise mit unterschiedlichen Indikatoren des subjektiven Wohlbefindens verbunden sind.

Music rehearsals and well-being: A comparison of choral singing, playing in a brass band, playing in a theater group and listening to music in a concert Musikproben und Wohlbefinden: Ein Vergleich von Chorgesang, Spielen in einer Blaskapelle, Spielen in einer Theatergruppe und Musik hören in einem Konzert [*]

Eva Matlschweiger, Sabrina Sattmann
Zahlreichen Studien zufolge wirkt sich (Chor-)Singen positiv auf das Wohlbe­finden aus (z. B. Beck et al., 2000). Aktives Singen wurde dabei meist mit passivem Musikhören verglichen, während ein Vergleich von (Chor-)Singen mit anderen musikalischen Aktivitäten vernachlässigt wurde. Die vorliegende Studie untersucht den Einfluss folgender Aktivitäten auf das Wohlbefinden : Chorsingen, Musizieren in einer Blasmusikkapelle, Theaterspielen sowie Musikhören im Rahmen eines Konzerts. Die Stichprobe (N = 183) setzt sich aus Mitgliedern von drei Chören (n = 58), zwei Blasmusikkapellen (n = 54), drei Theatergruppen (n = 34) sowie Konzertbesucherinnen und -besuchern (n = 37) zusammen. Vor und nach einer 1,5-stündigen Probe bzw. einem Konzert wurden der Positive Negative Affect Schedule (PANAS), der Perceived Stress Questionnaire (PSQ), sowie das State-Trait Angst Inventar (STAI; nur State-Fragebogen) erhoben. Um eventuelle weitere Einflussfaktoren zu erheben, wurden zusätzlich Fragen bezüglich der Probe (z. B. Zufriedenheit mit der in der Probe erbrachten Leis­ tung, Gefallen der Stücke) beantwortet und mit zwei bis acht Teilnehmerinnen und Teilnehmern pro Gruppe Interviews durchgeführt. Die Ergebnisse zeigen, dass Chorsingen, Theaterspielen und Musikhören (in einem Konzert) das Wohl­befinden positiv beeinflussen. Wider Erwarten wurde kein positiver Einfluss von Musizieren in einer Blasmusikkapelle auf das Wohlbefinden festgestellt. Dies kann zum Teil durch probenspezifische Daten erklärt werden, da die Ergebnisse zeigen, dass etwa die Zufriedenheit mit der in der Probe erbrachten Leistung sowie das Gefallen der Stücke in diesem Kontext eine wichtige Rolle spielen.

Der Einfluss des habituellen Chill-Erlebens auf die stressreduzierende Wirkung von Musik bei chronischen Schmerzpatientinnen The influence of the habitual chill experience on the stress-reducing effect of music in chronic pain patients [*]

Alexandra Linnemann, Jean Thierschmidt, Urs M. Nater
Wir haben untersucht, ob die Fähigkeit, Chills zu erleben, mit einer besseren Emotionsregulation durch Musik verbunden ist, und ob somit Personen, die habi­tuell (d. h. im Sinne einer Disposition) Chills erleben, eine stärkere stressreduzie­rende Wirkung von Musikhören im Alltag erleben. Insgesamt 30 Patientinnen mit Fibromyalgie - einem chronischen Schmerzsyndrom - wurden an 14 aufeinanderfolgenden Tagen in ihrem Alltag untersucht. Fünfmal täglich machten die Probandinnen Angaben zu Stresserleben und Musikhörverhalten und sammelten Speichelproben zur Messung von biologischen Stressmarkem. Zudem wurde der Musikpräferenzfragebogen einmalig ausgefüllt, welcher Aussagen über das habituelle Erleben von Chills erlaubt. Die stressreduzierende Wirkung von Musikhören im Alltag variiert in Abhängigkeit von dem habituellen Chill-Erleben. Dabei re­agierten Personen, die häufiger und intensiver Chills erleben, im Vergleich zu Personen, die seltener und weniger intensiv Chills erleben, vor allem mit einer größeren Aktivierung auf Musikhören (Varianzaufklärung .58%-3.29%, x2 >32.99, df=8, p<.001). In Abhängigkeit des wahrgenommenen Arousals der Musik zeigte sich, dass Probandinnen mit niedrigerer Häufigkeit des Chill-Erle­bens von Musik mit einem niedrigen Arousal zur Stressreduktion porfitieren. Probandinnen, die häufig Chills erleben, berichteten weniger Stress, wenn sie Musik mit einem hohen Arousal hörten (Varianzaufklärung 3.29 %, x2> 32.99, df= 8, p<.001). Wird Musik allerdings aus dem Grund Entspannung gehört, so zeigt sich ein stressreduzierender Effekt unter Berücksichtigung der Chill-Häufig­keit. Dabei nimmt mit zunehmender Häufigkeit des habituellen Chill-Erlebens die stressreduzierende Wirkung von Musikhören aus dem Grund Entspannung ab (Varianzaufklärung .60%, x2=24.16, df=6 , p < .00l) , während die Sekretion des Hormons Cortisol am geringsten war, wenn Patientinnen, die habituell Chills er­leben, Musik aus dem Grund Entspannung gehört haben (Varianzaufklärung .89 %, x2=38.l7, df=7,p<.001). Musik an sich ist somit nicht zu Stressreduktionszwecken bei Fibromyalgie-Patientinnen mit häufigerem und intensiverem habituellen Chill-Erleben geeignet. Es sollten insbesondere das Arousal der gehörten Musik und Gründe des Musikhörens bei Fibromyalgie-Patientinnen, die häufig und in­tensiv Chills erleben, berücksichtigt werden, um eine Stressreduktion durch Mu­sikhören zu erreichen.

Freie Forschungsberichte

Angenehmheit und Interessantheit als Dimensionen ästhetischer Urteile über Musik: Eine empirische Gegenüberstellung Pleasantness and interest as dimensions of aesthetic judgements about music: an empirical comparison [*]

Tilman Weyh, Thomas Schäfer
Bewegende Kunstwerke sind zumeist gleichermaßen behaglich-angenehm und aufregend-interessant. Studien aus der neuen experimentellen Ästhetik sowie ästhetische Emotionstheorien legen nahe, dass auf Angenehmheit bzw. Interes­santheit basierende Urteile voneinander entkoppelt sind. Andererseits wurden in vielen Studien hohe Korrelationen zwischen diesen Urteilen gefunden. Der vorliegende Artikel unterbreitet die bisher noch nicht untersuchte Möglichkeit, dass Interessantheit eine Voraussetzung für Angenehrnheit darstellt. Zur Prüfung dieser These sowie einer allgemeinen Analyse der Beziehung zwischen Ange­nehmheit und Interessantheit wurde eine Fragebogenstudie mit Hörproben all­täglicher Musik durchgeführt. Die festgestellte Korrelation zwischen den beiden Urteilen ist höher als in anderen bekannten Studien (r=.87). Indes ergaben Regressions- und Pfadanalysen, dass (a) Interessantheit in erheblichem Maße Angenehrnheit vorhersagt, (b) beide Variablen unterschiedlich stark von dritten Beurteilungsdimensionen beeinflusst werden, und (c) der Zusammenhang zwi­schen Komplexität und Angenehrnheit nahezu vollständig über Interessantheit vermittelt wird.

Ein experimenteller Ansatz zur Messung der Offenohrigkeit nach von Georgi und Frieler (2014) - eine Replikationsstudie An experimental approach to measuring open-eardness according to von Georgi and Frieler (2014) - a replication study [*]

Isabell Bötsch, Rene Rothmann
Innerhalb der vorliegenden Studie wurde eine Replikation des experimentellen Ansatzes zur Messung der Offenohrigkeit nach von Georgi und Frieler (2014) durchgeführt. Dieser Ansatz geht bei Offenohrigkeit davon aus, dass es sich um eine Persönlichkeitseigenschaft handelt, die nur dann valide und reliabel gemes­sen werden kann, wenn diese valenz- und stimulusunabhängig untersucht wird. Die Stichprobe umfasst 69 Schüler (38 männlich, 31 weiblich) einer Integrativen Gesamtschule im Raum Braunschweig mit einem Durchschnittsalter von 13.99 Jahren. Die Probanden sollten aus insgesamt 90 Musikbeispielen, welche in zehn Oberkategorien (Musikgenres) mit jeweils drei Unterkategorien (Subgenres) unterteilt wurden, 15 individuelle Wahlentscheidungen treffen und nach jedem Stimulus ein Gefallensurteil abgeben (Valenz). Die Ergebnisse zeigen, dass sich der von von Georgi und Frieler (2014) hergeleitete Koeffizient Oewd replizieren und durch die Entropie nach Shannon (1948) validieren lässt. Weiterhin scheint die so gemessene Offenohrigkeit stark im Zusammenhang mit Offenheit für Erfahrungen und Experience Seeking zu stehen. Letzterer Zusammenhang ließe sich über die jugendliche Stichprobe erklären, die vermutlich im Vergleich zu Erwachsenen höhere Werte in der Skala Experience Seeking aufweist. Zusam­mengefasst scheint hier ein Paradigmenwechsel in der Messung der Offenohrigkeit vorzuliegen.

Time for Talents? Eine Untersuchung von Erfolgsfaktoren bei Musikcastingshows Time for Talents? An investigation of success factors for music casting shows [*]

Nicolas Ruth, Benedikt Spangardt, Holger Schramm
Musikcastingshows gehören seit 15 Jahren zu den nachgefragtesten Fernsehfor­maten und sind daher nicht nur für die beteiligten Fernsehsender von hohem In­teresse, sondern insbesondere auch für die beteiligten Musikkonzerne, die Mu­siktalente über solche Shows kostengünstig entdecken, aufbauen und promoten können. Das neue Format The Voice of Germany hat eine Debatte über Qualitätsunterschiede der Formate angestoßen. Aber nehmen die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer überhaupt Unterschiede zwischen den Formaten wahr? Und wel­che Faktoren bei der Rezeption sind für den Erfolg der Formate ausschlaggebend? Um diese Fragen zu beantworten, wurden 230 Personen aus der Zielgruppe von Musikcastingshows zu ihrer Rezeption der beiden erfolgreichsten Formate The Voice of Germany und Deutschland sucht den Superstar, online befragt. Verschiedene Faktoren, wie wahrgenommene Authentizität und Talent der Kan­didaten sowie die parasoziale Beziehung zwischen Zuschauern und den Akteu­ren sollen untersucht werden, um den Erfolg von Musikcastingshows in Form von Nutzung und Verkauf showeigener Produkte zu erklären. Die Ergebnisse zeigen u. a., dass Unterschiede in der Wahrnehmung bestehen und in diesem Fall The Voice of Germany durchweg authentischer wahrgenommen wird als das Format Deutschland sucht den Superstar, dass beide Formate aber durchaus erfolgreich darin sind, die Zuschauerinnen und Zuschauer umso mehr zum Kauf von Musikprodukten anzuregen, je öfter diese die Sendungen sehen. Der ent­scheidende Faktor für den Erfolg ist nach den vorliegenden Ergebnissen die Intensität der parasozialen Beziehung mit den Castingshowkandidaten.

Spot

Neurologische Musiktherapie in der Rehabilitation von Störungen der Hand- und Armmotorik nach Schlaganfällen: Hintergründe und Ergebnisse Neurological music therapy in the rehabilitation of hand and arm motor disorders after strokes: Background and results [*]

Eckart Altenmüller, Daniel S. Scholz

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Wilfried Gruhn: Musikalische Gestik. Vom musikalischen Ausdruck zur Bewegungsforschung

Jesper Hohagen

Günther Bernatzky und Gunter Kreutz (Hrsg.): Musik und Medizin - Chancen für Therapie, Prävention und Bildung

Alexandra Linnemann

Meinard Müller: Fundamentals of Music Processing - Audio, Analysis, Algorithms, Applications

Klaus Frieler

Berichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

9th Triennial Conference of the European Society for the Cognitive Sciences of Music, 17.-22. August 2015, Royal Northern College of Music, Manchester (UK)

Henning Albrecht & Jesper Hohagen

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie (DGM) zum Thema „Musik und Wohlbefinden", 11.-14. September 2015, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Jennifer Klotz & Nicolas Ruth

Symposium „50 Years of Music Sociology in Vienna", 24.-25. September 2015, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Karsten Mackensen

Zweite Tagung der DGPuK-Fachgruppe Werbekommunikation - „Werbung und Musik", 26.-27. November 2015, Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover

Ann Kristin Herget