Jahrbuch-Archiv: Band 19 (2007)

Band 19: Musikpsychologie – Musikalische Sozialisation im Kindes- und Jugendalter

Band 19 wurde herausgegeben von Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn und Holger Höge. Die redaktionelle Betreuung lag bei Richard von Georgi, Mirjam James, Christoph Reuter und Kathrin Schlemmer.

 

Der gedruckte Band ist 2007 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Forschungsberichte zum Themenschwerpunkt

Die Theorie musikalischer Selbstsozialisation: Elf Jahre ...und ein bisschen weiser? The theory of musical self-socialisation: eleven years ...and a little wiser? [*]

Renate Müller, Patrick Glogner, Stefanie Rhein
Zunächst wird ein kurzer Bericht darüber gegeben, wie sich das Konzept musikalischer Selbstsozialisation im Rahmen empirischer Untersuchun­gen und theoretischer Diskurse im vergangenen Jahrzehnt entwickelte und zur Erklärung des Umgehens Jugendlicher mit Musik angewandt wurde. Zentrale Aussagen, verwandte und kontrastierende theoretische Ansätze sowie einige - quantitative wie qualitative - Studien zur empirischen Über­prüfung werden skizziert. Der theoretische Diskurs um den Selbstsozialisa­tionsbegriff wird kurz zusammengefasst. In einem zweiten Teil werden For­schungsergebnisse der aktuellen Jugendkulturforschung in Beziehung zur Selbstsozialisationsperspektive gesetzt. Dabei wird das Selbstsozialisa­tionskonzept um theoretische Konstrukte wie Selbstinszenierung, Globali­sierung, symbolische Inklusion und Exklusion erweitert. Als Hintergrund dafür werden Grundzüge individualisierter Gesellschaften skizziert, die zur Veränderung von Alltagserfahrungen führen, aus denen sich zu bewälti­gende Herausforderungen ergeben.Jugendkulturelle Aktivitäten werden als symbolische und ästhetische Verarbeitungsformen dieser Anforderungen und Erfahrungen verstanden. Es soll deutlich werden, dass jugendkulturel­les Engagement einhergeht mit neuen Formen der Vergemeinschaftung wie auch der Identitätsbildung.Der Beitrag endet mit einem Ausblick auf die anstehenden Schritte zur Elaborierung der Theorie.

„Musikalische Selbstsoziali­sation". Strukturwandel musikalischer Identitätsbildung oder modischer Diskurs? "Musical self-socialization". Structural change of musical identity formation or fashionable discourse? [*]

Hans Neuhoff, Anne Weber-Krüger
Der vorliegende Beitrag unterzieht die Theorie musikalischer und medialer Selbstsozialisation von Müller, Rhein und Glogner einer kritischen Betrach­tung. In einem ersten Schritt wird am Beispiel des Geltungsbereichs und des Autonomiebegriffs gezeigt, dass die Theorie in wesentlichen Punkten diffus oder widersprüchlich formuliert ist und dass die Bedingungen und Merk­male von Selbstsozialisation von den Autorlnnen überhaupt nicht opera­bel und Erkenntnis bildend benannt werden (können). Es folgt eine Kritik bestimmter tragender Annahmen, Theoreme und positiver Aussagen der Theorie (selbstgewählte Mitgliedschaften, populärkulturelles Kapital, ,,An­eignung"). Dabei wird auch die Beachtung struktureller und habitueller Be­dingungen für vermeintlich selbstsozialisatorisches Handeln angemahnt, die Behauptung einer soziologischen und pädagogischen Marginalisierung pop­kultureller Themen relativiert und die Verwendung empirischer Forschungs­ergebnisse zur Erklärung von Selbstsozialisation als interpretatorisch ent­tarnt. In einem dritten Schritt weisen wir auf einige gravierende Defizite der Theorie hin, nämlich die Nicht-Beachtung relevanter Theorien und Befunde der Medienwirkungsforschung, der Lerntheorie und der Sozialpsychologie. Abschließend werden mit der These, dass sich der Bedingungsrahmen mu­sikalischer Sozialisation von einem soziologischen in einen sozialpsycholo­gischen Raum verlagert hat, sowie mit dem Konzept der Parallelsozialisation alternative Rahmenkonzepte zur Erforschung musikalischer und medialer Sozialisation heute vorgeschlagen.

Selbstinitiierte musikbezogene Aktivitäten von Kindern im Grundschulalter. Teilergebnisse des Forschungsprojekts „Kind & Musik" Self-initiated music-related activities of children of primary school age. Partial results of the research project "Child & Music" [*]

Imke-Marie Badur
In gegenwärtigen musikpädagogischen Diskussionen wird der Zustand des Singens und Musizierens in unserer Gesellschaft häufig als Besorgnis erre­gend bewertet, obwohl es kaum aktuelle empirische Daten hierzu gibt und eine kritische Auseinandersetzung über angemessene Bewertungskriterien fehlt. Die Forschungsgruppe „Kind & Musik" hat daher 20 Dritt- und Viert­klässler aus unterschiedlichem sozioökonomischem und musikalischem Hintergrund in qualitativen Interviews ausführlich befragt, um so zu einer ersten phänomenologischen Bestandsaufnahme ihres aktuellen Musikver­haltens zu gelangen. Mithilfe eines am Material entwickelten Auswertungs­schemas konnten alle von den Kindern berichteten musikbezogenen Aktivi­täten (n = 1.253, durchschnittlich 63 Aktivitäten pro Kind) kodiert und sowohl qualitativ als auch quantitativ analysiert werden. Der weite Fokus der Studie förderte u. a. eine Vielfalt so genannter „Rah­menaktivitäten", d. h. Aktivitäten zur Ermöglichung von Musikrezeption und -praxis, zu Tage. Im Vergleich zu den von musikpädagogischer Seite an­geregten Aktivitäten zeichnen sich die Selbstinitiativen der Kinder durch einen hohen Anteil an spielerischen, tänzerischen, explorativen und erfinde­rischen Aktivitäten aus. Nicht selten geben die Medien hierfür Impulse. Insgesamt sensibilisiert die Studie für die Vielfalt musikbezogener Akti­vitäten von Kindern und verweist auf kritische Punkte.

Die Offenohrigkeit und ihr Verschwinden bei Kindern im Grundschulalter Open ears and their disappearance in children of primary school age [*]

Heiner Gembris, Gabriele Schellberg
Gegenstand der Untersuchung ist die Entwicklung musikalischer Präferen­zen im Grundschulalter. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, wie sich die von Hargreaves (1982) so genannte Offenohrigkeit im Verlauf der ersten Schuljahre entwickelt. Einer Stichprobe von insgesamt 591 Kin­dern (300 m, 291 w), die auch Vorschulkinder (5-6 Jahre) und Kinder der 6. Klasse (12-13 Jahre) umfasste, wurden acht Musikbeispiele unterschied­licher Stilrichtungen (Klassische Musik, Pop, zeitgenössische Kunstmusik, ethnische Musik) von ca. 80 Sek. Dauer dargeboten, die mithilfe eines Fra­gebogens beurteilt wurden. Die Ergebnisse zeigen hochsignifikante Alters­effekte (Kruskal-Wallis, p < .001) bei allen Musikbeispielen. Popmusik er­fuhr insgesamt die höchste Akzeptanz von allen Musikstilen. Je jünger die Kinder, desto positiver waren die Urteile auch für klassische Musik, zeit­genössische Kunstmusik und ethnische Musik. Mit zunehmendem Alter ver­schlechterten sich diese Urteile auf dramatische Weise bis hin zu extrem negativen Bewertungen. Es zeigten sich auch signifikante Geschlechterun­terschiede. Die Ergebnisse bestätigen insgesamt, dass die Offenohrigkeit ins­gesamt umso größer ist, je jünger die Kinder sind. Daher ist es für die Mu­sikpädagogik wichtig, Kinder möglichst früh mit einem weiten Spektrum unterschiedlicher Musikstile vertraut zu machen.

Über den Einfluss musikalischer Aktivitäten auf den erfolgreichen Abschluss der Schullaufbahn an einer Waldorf-Schule On the influence of musical activities on the successful completion of the school career at a Waldorf school [*]

Herbert Bruhn, Martin Seifert, Ellen Aschermann
In einer Ex-post-Studie wurde der Zusammenhang zwischen musikalischen Aktivitäten von Schülern und Schülerinnen und dem Ziel, das Abitur als Schulabschluss zu erreichen, untersucht. Es konnten die Daten von 15 Ab­schluss-Jahrgängen der Freien Waldorfschule in Rendsburg ausgewertet wer­ den (225 Schülerinnen und 245 Schüler). Hierbei zeigte sich, dass musika­lisch aktive Schülerinnen und Schüler zu einem signifikant höheren Prozentsatz das Abitur erreichten. Besonders großen Erfolg hatten Instrumen­talisten. Mögliche Gründe für diesen Zusammenhang werden diskutiert. Die soziale Herkunft kommt als Ursache nicht in Frage, da Steiner-Schüler aus einem relativ kultur-homogenen gehobenen sozialen Umfeld kommen.

Motivation und autodidaktisches Lernen auf dem Prüfstand. Zur biografischen Bedeutung des Engagements in Schülerbands Motivation and autodidactic learning on the test bench. On the biographical significance of involvement in school bands [*]

Günter Kleinen, Ralf von Appen
Diese Studie verfolgt zwei Ziele: Zum einen wird die berufliche und die per­sönliche Entwicklung von jungen Erwachsenen untersucht, die in ihrer Schul­zeit in einer Rockband gespielt haben. Zum anderen sollen zwei in solchen Bands häufig zu beobachtende Phänomene - das autodidaktische Lernen und die starke Motivation - unter dem Aspekt längerfristiger Entwicklungen ana­lysiert werden. Für zwei Drittel unserer 18 Befragten hat das aktive Musizieren auch sechs Jahre nach ihrem Mitwirken in einer Schülerband noch eine große per­sönliche Relevanz. Durch ihr Band-Engagement haben die Jugendlieben die Musik als Mittel der Psychohygiene, als wertvolle Unterstützung bei der Identitätsfindung und bei der Bewältigung weiterer Entwicklungsaufgaben nutzen können. Das autodidaktische Lernen wird auch im Nachhinein als sinnvoller Weg angesehen. Vor allem die Möglichkeit der weitgehenden Selbstbestimmung (Ryan & Deci) macht diese Lernform beliebt und durch die daraus resultie­rende hohe intrinsische Motivation auch sehr effektiv für das Erarbeiten popmusikalischer Kompetenzen. Pädagogen sollten sich zu Nutze machen, dass sich formale musikalische Bildung und informelles Musiklernen als kom­plementäre Prozesse ergänzen und gegenseitig fördern können.

Freie Forschungsberichte

Aspekte des Musikerlebens erwachsener Laienmusiker. Eine empirische Untersuchung Aspects of the musical life of adult amateur musicians. An empirical study [*]

Hubert Minkenberg
In der vorliegenden Untersuchung wurden etwa 1.100 Personen - überwie­gend Laienmusikerinnen und Laienmusiker im Erwachsenenalter (> 18 Jahre) mittels eines Internetfragebogens zu 180 Aspekten ihres Musikerlebens be­fragt. Insgesamt wurden etwa 200.000 Antworten ausgewertet. Die Fragen bezogen sich auf folgende Bereiche: Soziologische Daten, vokales Musizieren und Instrumentalspiel, Musikunterricht, Übeverhalten, Musikalische Präferenzen, emotionale Bedeutung von Musik. Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen folgende Grundaussagen zu: a) Musikhören und Musikausübung haben eine große, nicht zu unterschät­zende positive Bedeutung für die Lebensgestaltung und das Lebensgefühl von erwachsenen Menschen. Das Musikerleben nimmt im Alltagsleben und in der Alltagsgestaltung erwachsener Menschen eine wichtige Rolle ein. b) Musikausübung korreliert positiv mit anderen außermusikalischen Interes­sensgebieten wie Sport, Kultur, Theater und Politik. c) Musikhören und Musikausübung korreliert stark mit einem positiven und aktiven Lebensgefühl. d) Musikhören und Musikausübung führt zu einer positiven Selbstwahrneh­mung und zu einer positiven Wahrnehmung der Selbstwirksamkeit.

Nahaufnahme

Julio Estrada

Monika Fürst-Heidtmann

Spot

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Peter Brünger: Singen im Kindergarten.Eine Untersuchung unter bayerischen und niedersächsischen Kindergartenfachkräften

Franziska Olbertz

Claudia Bullerjahn, Reiner Gembris & Andreas C.Lehmann (Hrsg.): Musik: gehört, gesehen und erlebt. Festschrift Klaus-Ernst Behne zum 65.Geburtstag

Markus Neuwirth

Veronika Busch: Tempoperformance und Expressivität. Eine Studie zwischen Musikpsychologie und Musiktherapie

Lorenz Welker

Inge Cordes: Der Zusammenhang kultureller und biologischer Ausdrucksmuster in der Musik

Gunter Kreutz

Golo Föllmer: Netzmusik.Elektronische, ästhetische und soziale Strukturen einer partizipativen Musik

Gunter Kreutz

Heiner Gembris & Daina Langner: Von der Musikhochschule auf den Arbeitsmarkt. Erfahrungen von Absolventen, Arbeitsmarktexperten und Hochschullehrern

Kathrin Schlemmer

Hören und Sehen - Musik audiovisuell

Mirjam James

Karl Hörmann: Musik in der Heilkunde. Künstlerische Musiktherapie als Angewandte Musikpsychologie

Veronika Busch

Christa Lamberts-Piel: Filmmusik und ihre Bedeutung für die Musikpädagogik

Anja Rosenbrock

Ji In Lee: Component Skills Involved in Sight Reading Music

Adina Mornell

Guerino Mazzola, Thomas Noll & Emilia Lluis-Puebla (Hrsg.): Perspectives in Mathematical and Computational Music Theory

Klaus Frieler

Adina Mornell: Lampenfieber und Angst bei ausübenden Musikern

Mark Zander

Klaus W. Niemöller & Bram Gätjen (Hrsg.): Perspektiven und Methoden einer Systemischen Musikwissenschaft. Bericht über das Kolloquium im Musikwissenschaftlichen Institut der Universität zu Köln 1998

Horst-Peter Hesse

Rolf Oerter & Thomas H. Stoffer (Hrsg.): Spezielle Musik­psychologie (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D: Praxisgebiete, Serie V II: Musikpsychologie, Bd.2)

Wolfgang Auhagen

Sabrina Paternoga: Arbeits- und Berufszufriedenheit im Orchester­musikerberuf. Eine empirische Untersuchung im Kontext arbeits-, freizeit- und persönlichkeitspsychologischer sowie musiker­medizinischer Konzepte

Sabine Boerner

Christoph Reuter: Klangfarbe und Instrumentation.Geschichte - Ursachen - Wirkung

Timo Fischinger

Holger Schramm: Mood Management durch Musik. Die alltägliche Nutzung von Musik zur Regulierung von Stimmungen

Christoph Jacke

Thomas H.Stoffer & Rolf Oerter (Hrsg.): Allgemeine Musik­psychologie. (Enzyklopädie der Psychologie, Themenbereich D: Praxisgebiete, Serie V II: Musikpsychologie, Bd.1)

Jan Hemming

Jan Strack: Musikwirtschaft und Internet

Golo Föllmer

Elke Winkelhaus: Zur kognitionspsychologischen Begründung einer systematischen Melodielehre

Daniel Müllensiefen

Tagungsberichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

„Keiner wird gewinnen: Populäre Musik im Wettbewerb". 15. Arbeits­tagung des Arbeitskreises Studium Populärer Musik (ASPM) in Rauischholzhausen, 29. bis 31. Oktober 2004

Ralf von Appen & Andre Doehring/div>

„The Neurosciences and Music" - Konferenz vom 5. bis 8. Mai 2005 in Leipzig

Tobias Overath

Forschung als Anliegen der Musiklehrer - Bericht von der Jahrestagung des AMPF 2005

Wolfgang Feucht

Musik und Gedächtnis. Jahrestagung der DGM in Würzburg vom 9. bis 11. September 2005

Marco Knobbenbring

Musik und Krise - Tagung des Militärmusikdienstes und der Gruppe Wehrpsychologie der Bundeswehr im Zentrum für Innere Führung, Koblenz vom 1. bis 2. März 2006

Antje Bersch-Burauel