Jahrbuch-Archiv: Band 16 (2002)

Band 16: Musikpsychologie – Wirkungen und kognitive Verarbeitung in der Musik

Band 16 wurde herausgegeben von Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber. Die redaktionelle Betreuung lag bei Claudia Bullerjahn und Hans Neuhoff.

 

Der gedruckte Band ist 2002 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Forschungsberichte zum Themenschwerpunkt

Understanding the Expressive Performance Movements of a Solo Pianist Die expressiven Vortragsbewegungen eines Solo-Pianisten verstehen [*]

Jane Davidson
Psychologische Studien haben gezeigt, dass die Körperbewegungen des Interpreten eine wichtige Informationsquelle für die Wahrnehmung einer musikalischen Darbietung darstellen. Es hat sich gezeigt, dass visuelle Informationen selbst erfahrenen Musikern einen stärkeren Hinweis auf die explizite Ausdrucksabsicht eines Interpreten geben können als Klanginformationen. Die Forschung in diesem Artikel konzentrierte sich auf eine einzelne Fallstudie eines Solo-Pianisten, um herauszufinden, wie sich der Körper während der Aufführung bewegt und welche Bewegungen den Beobachtern auffällige visuelle Hinweise geben. Die Analyse von drei unterschiedlich beabsichtigten Aufführungen desselben Musikstücks ergab, dass ein einzelner Pianist unterschiedliche Arten von identifizierbaren Bewegungen und Bewegungsgraden verwendete. Es gab Zusammenhänge zwischen der Größe der Bewegung und dem Grad der expressiven Intention in den Darbietungen, wobei die expressivste Darbietung den größten Grad an Bewegung erzeugte. Darüber hinaus wurden bestimmte Stellen in der musikalischen Struktur gefunden, die besondere Arten von expressiven Bewegungen hervorriefen, z.B. die Ausführung einer entscheidenden Vorwärtsbewegung, wenn ein Kadenzpunkt erreicht wurde. Aber der Zusammenhang zwischen der Art und Größe der Bewegung und der musikalischen Struktur war nicht einfach. So waren z.B. die expressiven Informationen in bestimmten Bereichen des Körpers offensichtlicher als in anderen; bei einigen Gelegenheiten waren die Bewegungen in den drei Aufführungsabsichten von ähnlicher Art, während zu anderen Zeiten die Bewegung unterschiedlich war, obwohl sie sich an identischen strukturellen Punkten in der Musik befanden. Diese Ergebnisse sind nicht eindeutig, und so schließt der vorliegende Beitrag mit einer Diskussion darüber, was die Ergebnisse über die Natur des körperlichen Ausdrucks bei der Aufführung implizieren. [*]

Selbstaufmerksamkeit als Persönlichkeitsmerkmal von Musikern Self attention as a personality trait of musicians [*]

Claudia Spahn, Ina Zschocke
Selbstaufmerksamkeit als Persönlichkeitsmerkmal erscheint gerade bei Musikern interessant, da das Spielen eines Instrumentes oder das Singen eine hohe Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert, welche auf Aspekte der eigenen Person gerichtet ist. Ziel der vorliegenden Studie war es deshalb, das Ausmaß der Selbstaufmerksamkeit bei Musikstudenten zu erfassen. Im Rahmen einer Querschnittstudie an der Freiburger Musikhochschule füllten 197 Musikstudenten den „Fragebogen zur Erfassung dispositionaler Selbstaufmerksamkeit" sowie den „Epidemiologischen Fragebogen für Musikstudenten" aus. Es zeigte sich, daß die Musikstudenten eine mit Psychologie- und Lehramtsstudenten vergleichbar hohe Selbstaufmerksamkeit besitzen. Außerdem zeigten diejenigen Musikstudenten, welche musikbezogene Probleme mit einem seelischen Anteil angaben und eine Körpermethode als präventive Maßnahme anwendeten, eine höhere private Selbstaufmerksamkeit. Die Ergebnisse können dahingehend interpretiert werden, daß hohe private Selbstaufmerksamkeit bei Musikstudenten einerseits mit einer höheren Bereitschaft zu präventiven gesundheitsbezogenen Maßnahmen einhergeht und andererseits zu einer Verunsicherung im seelischen Bereich mit daraus folgenden Nachteilen für das Spielen und Auftreten führen könnte.

Die Verarbeitung musikalischer Stimuli im Arbeitsgedächtnis The processing of musical stimuli in working memory [*]

Elke Beatriz Lange
In der vorliegenden Studie wurde ausgehend von dem Arbeitsgedächtnismodell nach Baddeley (1986) untersucht, wie musikalische Gedächtnisaufgaben verarbeitet werden. Dabei wurde die Frage aufgeworfen, inwiefern bei musikalischer Verarbeitung auch verbale oder visuell-räumliche Komponenten des Gedächtnisses beteiligt sein könnten, oder inwiefern es ein eigenes musikalisches Subsystem gibt. Experiment 1 und 2 lassen mehrere Schlüsse zu, die eigens experimentell zu untersuchen wären. Die musikalischen Aufgaben wurden durch die verbalen Sekundäraufgaben verhältnismäßig gering gestört, so daß die Störung eher durch die zusätzliche Belastung als durch verbale Interferenz zu erklären ist. Insofern scheint die Verarbeitung musikalischer Gedächtnisaufgaben im verbalen Subsystem fraglich. Die Beteiligung visuell-räumlicher Prozesse oder Strukturen an der Verarbeitung musikalischer Stimuli kann aufgrund der Ergebnisse nicht ausgeschlossen werden. Jedoch konnte diese Frage nicht abschließend geklärt werden. Die Störanfälligkeit für Rhythmus- und Melodieaufgaben war hinsichtlich verbaler oder visuell-räumlicher Sekundäraufgaben gleich stark. Dies spricht nicht für eine getrennte Verarbeitung von Melodie und Rhythmus im Rahmen der zwei Subsysteme (verbal-auditiv, visuell-räumlich) des Arbeitsgedächtnismodells von Baddeley (1986), wäre aber kompatibel mit der Annahme musikalischer Subsysteme. Die Befunde werden in Zusammenhang mit musikpsychologischer Forschung zum Arbeitsgedächtnis diskutiert.

"Jede Sehnsucht hat eine Melodie". Basisemotionen in der Musik und im Alltag "Every longing has a melody". Basic emotions in music and in everyday life [*]

Gunter Kreutz
Es werden zwei Datenerhebungen über stereotype Emotionen in der Musik vorgenommen und verglichen. Ziel ist es, alltägliche mit musikalischen Basisemotionen in Beziehung zu setzen. Der erste Datensatz betrifft subjektive Urteile (Ratings) über eine Serie von Emotionsbegriffen. Es wurden drei Fragen gestellt, nämlich inwiefern Musik Emotionen (1) darstellen, (2) evozieren oder (3) beeinflussen kann. Der zweite Datensatz betrifft eine Datenbank mit 2933 deutschsprachigen Kunstliedern aus mehreren Jahrhunderten. Zur Ermittlung der Häufigkeit des Auftretens von Emotionsstereotypen wurden hier Wortfelder verwendet. Die Mittelwertprofile der subjektiven Ratings weisen untereinander hohe Korrelationen, aber auch signifikante Unterschiede bezüglich einzelner ltems aus. Ferner zeigen sich ausgeprägte korrelative Zusammenhänge mit den Häufigkeiten der Begriffe in den Liedtexten. Es wird gefolgert, daß Musik vornehmlich jene Emotionen anspricht, welche nach aller Wahrscheinlichkeit entweder genetisch verankert sind oder sehr früh erlernt werden und daß daher musikalische nur dann mit allgemeinen Basisemotionen vergleichbar sind, sofern Aspekte des Lernens spezifischer sozialer Codes vernachlässigbar sind.

Eine Studie zur analgetischen Wirkung von Musik A study on the analgesic effect of music [*]

Diana Karow, Günther Rötter
In dieser experimentellen Studie wurde untersucht, ob Musikhören die thermische Schmerzschwelle des Menschen verändern und den natürlichen Sensibilisierungsvorgang ( d. h. ein mit fortschreitender Reizeinwirkung kontinuierliches Absinken der Schmerzschwelle) beeinflussen kann. Darüber hinaus wurde der Einfluß weiterer Variablen überprüft, darunter Geschlecht, Musiker oder Laie, emotionale und kognitive Schmerzverarbeitungsmerkmale sowie Coping-Strategien der Vpn und hinsichtlich der Musik Stilrichtung, Tempo und Lautstärke. Als Schmerzinduktor diente eine dem sog. Hardy-Dolorimeter ähnliche Apparatur, die durch Strahlungshitze Schmerz erzeugt. Als Maß für die Reizintensität galt die gemessene Hauttemperatur. Es zeigte sich, daß die thermische Schmerzschwelle durch Musikhören signifikant erhöht werden konnte. Ebenso konnte Musikhören den Sensibilisierungsvorgang signifikant verhindern. Die Studie deutet darauf hin, daß Musikhören als kognitive Bewältigungsstrategie auf der Grundlage der Gate-Control-Theorie (Melzack & Wall 1965) zur Erhöhung der Schmerztoleranz führen kann, wobei offenbar unterschiedliche Hörstrategien und Zugangsweisen zur Musik sowie unterschiedliche Grade der Aufmerksamkeitszuwendung eine wichtige Rolle spielen.

Freier Forschungsbericht

"lt don't mean a thing if it ain't got that swing". Überlegungen zur mikrorhythmischen Gestaltung in populärer Musik "lt don't mean a thing if it ain't got that swing Reflections on microrhythmic design in popular music [*]

Martin Pfleiderer
In verschiedenen afroamerikanisch geprägten Stilbereichen der populären Musik spielen mikrorhythmische Gestaltungsspielräume eine zentrale Rolle. Der Bewegungscharakter der Musik und damit die motionalen und emotionalen Wirkungen der musikalischen Prozesse stehen in engem Zusammenhang mit Phänomenen wie groove, drive und swing. Innerhalb der Musikpsychologie sind hierzu bisher kaum Untersuchungen durchgeführt worden. In der Popmusik- und Jazzforschung gibt es dagegen erste Studien, die insbesondere im Zusammenspiel mehrerer Musiker innerhalb eines Ensembles mikrorhythmische Abweichungen von einer metronomisch regelmäßigen Schlagfolge empirisch nachgewiesen haben und die Bedeutung dieser Timing-Eigenheiten für das Erleben der jeweiligen Musik betonen. Einige dieser Forschungsansätze und -ergebnisse, durch die das Spektrum der Fragestellungen in der Performanceforschung um neue Aspekte erweitert wird, sollen im folgenden Aufsatz dargestellt werden.

Biographie
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Edwin E. Gordon

Günter Kleinen

Nahaufnahme

Einheit und Differenz von Hören und Sehen. Zu den Installationen von Ulrich Eller Unity and difference of hearing and seeing. On the installations of Ulrich Eller [*]

Helga de la Motte-Haber

Spot

Gesamtkunstwerk mit 50 Eingängen und 50 Ausgängen. Der „Klangkörper Schweiz" auf der EXPO 2000 in Hannover Total work of art with 50 entrances and 50 exits. The "Klangkörper Schweiz" at the EXPO 2000 in Hannover [*]

Ludolf Baucke

Rezensionen
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Rolando O. Benenzon: Music Therapy. Theory and Manual. Contributions to the Knowledge of the Nonverbal Contexts

Helga de la Motte-Haber

Karl-Heinz Blomann und Frank Sielecki: Hören - eine vernachlässigte Kunst?

Helga de la Motte-Haber

Herbert Bruhn: Musiktherapie. Geschichte - Theorien - Methoden

Helga de la Motte-Haber

Hermann Gottschewski: Die Interpretation als Kunstwerk. Musikalische Zeitgestaltung und ihre Analyse am Beispiel von Welte-Mignon-Klavieraufnahmen aus dem Jahre 1905

Isolde Vetter

Robert Jourdain: Das wohltemperierte Gehirn. Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt

Klaus-Ernst Behne

Thorsten Quandt: Musikvideos im Alltag Jugendlicher

Silke Borgstedt

Rudolf E. Radocy und J. David Boyle: Psychological Foundations of Musical Behavior

Helga de la Motte-Haber

Udo Rauchfleisch: Musik schöpfen, Musik hören. Ein psychologischer Zugang

Günter Kleinen

Günther Rötter: Musik und Zeit. Kognitive Reflexion versus rhythmische Interpretation

Marcel Dobberstein

Susanne Schedtler: Das Eigene in der Fremde. Einwanderer-Musikkulturen in Hamburg

Martin Greve

Carina Schmiedke-Rindt: „Express Yourself - Madonna Be With You". Madonna-Fans und ihre Lebenswelt

Stefanie Rhein

Robert A. Sharpe: Music and Humanism. An Essay in the Aesthetics of Music

Ulrich Pothast

Stadler Eimer, Stefanie: Spiel und Nachahmung. Über die Entwicklung der elementaren musikalischen Aktivitäten

Renate Bekkers

Tagungsberichte
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Musikalische Wahrnehmung und ihr Kontext. Jahrestagung der DGM in Karlsruhe vom 17. bis 19. September 1999

Anja Bökeler

6th International Conference on Music Perception and Cognition, 5.-10. August 2000, Keele University, UK

Mirjam Schlemmer

Musikalische Begabung und Expertise. Internationale Jahrestagung der DGM in Freiburg vom 21. bis 23. September 2000

Anke Pirling