Jahrbuch-Archiv: Band 27 (2017)

Band 27 (2017): Musikpsychologie – Akustik und musikalische Hörwahrnehmung

Band 27 wurde herausgegeben von Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn und Christoph Louven. Die redaktionelle Betreuung lag bei Isabel Bötsch, Fabian Greb und Jochen Steffens.

 

Der gedruckte Band ist 2017 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Themenschwerpunkt: Akustik und musikalische Hörwahrnehmung

Musik und Zeitempfinden – historische, akustische und psychologische Aspekte Music and time perception - historical, acoustic and psychological aspects [*]

Wolfgang Auhagen
Historische, akustische und psychologische Aspekte zum Thema "Musik und Zeitempfinden" werden besprochen. Die Theorie der "metrischen" Interpretation von Tempoangaben mittels Pendel oder Metronom von Willem Retze Talsma (1980), die eine sozusagen flächendeckende Fehldeutung von Tempoangaben aus dem 18. und frühen 19. Jahrhundert postuliert und dies mit einem Wandel des Zeiterlebens infolge der Industrialisierung begründet, wirft viele Fragen auf. Diese betreffen etwa die Physikgeschichte (Schwingungsbegriff), die Raumakustik (historische Konzertsäle), die Interpretationsforschung und die Musikpsychologie. Diesen Fragen wird anhand von überlieferten Aufführungsdauern, von raumakustischen Daten historischer Konzertsäle und von Vergleichen historischer und heutiger Aufführungstempi nachgegangen. Des Weiteren werden Theorien der Zeitwahrnehmung behandelt. Experimentell gewonnene Daten zeigen, dass das mehrfache Hören von (bis dahin) einem Hörer unbekannter Musik, ja selbst das innere Vorstellen von Musik, zu sehr genauen Vorstellungen über das optimale Aufführungstempo führen können. Solchen vergleichsweise eng begrenzten Tempopräferenzen von Hörern und einer hohen beobachtbaren Konstanz in der Wahl von Aufführungstempi bei Interpreten steht eine starke Kontextabhängigkeit des Erlebens von Dauer sowohl im Kurzzeitbereich (Rhythmus), als auch im Langzeitbereich gegenüber. Zudem gibt es akustische Täuschungen in der Wahrnehmung von Rhythmus, die auch mit Wissen um das Prinzip der Täuschung wirksam sind. Dies deutet auf unterschiedliche Verarbeitungsprozesse von zeitlichen Vorgängen im menschlichen Gehirn hin. Ältere Modelle eines inneren Zeitgebers ("Uhr") können die verschiedenen beobachtbaren Phänomene nicht hinreichend erklären. Hingegen scheint der Bezug der Zeitwahrnehmung zur Handlungsplanung und zur Körperwahrnehmung (Interozeption) neueren Untersuchungsergebnissen zufolge stärker zu sein als bislang angenommen.

lnfluence of distortion on guitar chord structures - acoustic effects and perceptual correlates Einfluss der Verzerrung auf Gitarrenakkordstrukturen - akustische Effekte und Wahrnehmungszusammenhänge [*]

Jan-Peter Herbst
Die E-Gitarre avancierte mit dem Beginn der künstlerischen Nutzung von Verzerrung ab den 1950er-Jahren zu einem wesentlichen Instrument der populären Musik, insbesondere im Rock und Metal. Trotz dieser Entwicklung existiert kaum Forschung zum Gebrauch und zur Wahrnehmung von verzerrten Gitarrenakkorden. Ziel der vorliegenden Untersuchung war es, den Einfluss von Verzerrung auf Gitarrenakkorde zu bestimmen, den Zusammenhang zwischen akustischen Cha-rakteristika und Dissonanzempfinden zu untersuchen sowie Erklärungen für die verbreitete Nutzung von einfachen Akkordstrukturen in Rock und Metal Genres zu finden. Die Studie bestand aus einem zweistufigen experimentellen Design. Auf Grundlage des theoretischen Rahmens von musikalischer Konsonanz von Terhardt (1984) und Aures (1985) evaluierte die Hauptstudie akustische Eigen-schaften von 270 E-Gitarrenakkorden, die mit verschiedenen Klangeigenschaften, Instrumenten und Verstärkern produziert wurden. In einem zweiten Schritt wurden die Ergebnisse eines Hörexperiments mit 171 Teilnehmern mit den akustischen Werten trianguliert, um auch die Wahrnehmungsperspektive zu berücksichtigen. Die Resultate bestätigten größtenteils die negative Wirkung von Verzerrung auf den sensorischen Wohlklang, insbesondere bei komplexen Gitarrenakkorden. Die mit der MIR-Toolbox und der Loudness-Toolbox gemessenen Parameter des theoretischen Rahmens korrelierten stark mit den Höreindrücken. Überraschenderweise eignete sich Rauheit als das Hauptkriterium von Dissonanz in Helmholtz (1863/1913) Tradition am wenigsten, um den verringerten Wohlklang verzerrter Gitarrenakkorde zu erklären.

Musikstile als Prototypen - Teilreplikation einer Studie von Reiner Niketta (1990) am Beispiel von Black Metal Music styles as prototypes - partial replication of a study by Reiner Niketta (1990) using the example of Black Metal [*]

Claudia Bullerjahn, Florian Hantschel
Unsere Studie legt ihren Schwerpunkt auf Wahrnehmung und mentale Repräsentation von Musikstilen bei Rezipienten am Beispiel von Black Metal-Musik. Nicht ausschließlich die Wahrnehmung von Fans steht im Zentrum, sondern das kognitive Konzept bei Hörern mit unterschiedlicher Hörerfahrung, Musikexpertise und Präferenz. Situativ-verbale Urteile wurden mithilfe eines klingenden Fragebogens in einer Online-Erhebung mit umfangreicher deutscher Stichprobe (N=764) erfasst. Nikettas Studie zur Prototypikalität von Rockmusik aus dem Jahre 1990 diente als Vorbild. Sie wurde in einer Art forschungshistorisch-bedingter, kritisch-überarbeiteter Teilreplikation der damaligen Methodik und Er¬gebnislage auf den aktuellen Gegenstand übertragen, um in Form eines primär explorativen Forschungsansatzes Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Ergebnissen und daraus Hypothesen-Generierung für zukünftige Forschung zu ermöglichen. Weitere Auswertungen des Datenmaterials wurden bereits in Hantschel und Bullerjahn (2016) berichtet.

Der Klang der Marken - Untersuchungen zu branchentypischen Eigenschaften von Audiologos The sound of the brands - research on industry-specific characteristics of audio logos. [*]

Christoph Anzenbacher, Isabella Czedik-Eysenberg, Christoph Reuter, Michael Oehler
Auf der Grundlage einer (psycho-)akustischen und musikalischen Analyse werden im vorliegenden Beitrag die typischen klanglichen Eigenschaften von 200 Audiologos ermittelt. Mithilfe der via MATLAB/MIRtoolbox ermittelten Er¬gebnisse lassen sich hierbei die Audiologos in vielen Fällen allein schon aufgrund ihrer klanglichen Eigenschaften bestimmten Branchen oder Industriezweigen zuordnen. Besonders am spektralen Schwerpunkt (Spectral Centroid) und am Einschwingvorgang lassen sich direkte Bezüge zwischen klanglicher Ausgestaltung und Branchenzugehörigkeit feststellen. Mit anderen Worten: Vom Klang eines Audiologos lässt sich in vielen Fällen direkt auf seine Branchenzugehörigkeit schließen. Auf der Grundlage der vorliegenden Ergebnisse lassen sich somit direkte Vorgaben für ein branchencharakteristisches Sounddesign von neuen Audiologos erstellen.

Audio-visual quality perception in musical performance videos Audiovisuelle Qualitätswahrnehmung bei Musikvideos [*]

David Hammerschmidt, Clemens Wöllner
Eine zentrale Fragestellung der audiovisuellen Qualitätswahrnehmung ist, wie sich der rezeptive Gesamteindruck konstruiert. Während über alle Videogenres hinweg der Videoqualität der größte Einfluss auf die audiovisuelle Qualitätsbeurteilung zugeschrieben wird, ist der Einfluss der Audioqualität auf das qualitative Gesamturteil bei Musikvideos stärker im Vergleich zu anderen Videotypen. Die vorliegende Studie untersuchte anhand von drei professionellen Musikvideos, inwieweit die unimodalen Qualitäten den audiovisuellen Gesamteindruck sowie sich gegenseitig beeinflussen. Hierfür beurteilten Probanden die subjektiv wahrgenommenen Qualitäten des Audio- und Videosignals sowie dessen Kom¬bination (audiovisuelle Qualität). Die Ergebnisse zeigen, dass die beiden unimodalen Qualitäten die wahrgenommene audiovisuelle Gesamtqualität bei Musikvideos gleich stark beeinflussen und nicht von der Videoqualität dominiert wird. Des Weiteren wurde die wahrgenommene Audioqualität von der Videoqualität beeinflusst jedoch nicht umgekehrt. So waren die Bewertungen der Versuchsteilnehmer für die Videoqualität nicht von der simultan präsentierten Audioqualität betroffen, die Bewertungen der Audioqualität jedoch von der Videoqualität. Dies spricht für eine stärkere Beeinflussung der wahrgenommenen Audioqualität durch die Videoqualität bei Musikvideos als umgekehrt.

Freie Forschungsberichte

Auftrittsangst und Auftrittserlebnis bei Musikstudierenden - eine Mixed-Methods­ Studie zu Einflussfaktoren, biografischer Entwicklung und Vorbereitungsstil Performance anxiety and performance experience among music students - a mixed-methods study on influencing factors, biographical development and preparation style [*]

Judith Zimmermann, Christoph Louven
Die vorliegende Studie untersucht das individuelle Auftrittserlebnis Musikstudierender im Kontext situativer Einflussfaktoren, Auftrittsvorbereitung und biografischer Entwicklung. In einer Stichprobe von Studierenden nicht künstlerischer Musikstudiengänge (N=62) berichteten 91.9 Prozent der Befragten kurzfristige Variationen im Auftrittserlebnis in Abhängigkeit von Rahmenbedingungen des Auftritts wie Ensemble(-größe), Publikumsgröße und -zusammensetzung, Vorbereitungsintensität und Auftrittskontext. Langfristig wird das Auftrittserlebnis von 38.7 Prozent der Befragten als stabil beschrieben, wogegen 61.3 Prozent Veränderungen des Auftrittserlebnisses im Verlauf ihrer Musikerbiografie berichteten. In der Stichprobe konnten sieben Probanden als „Positiv-Performer" und 17 Probanden als „Negativ-Performer" identifiziert werden. Signifikante Unterschiede zwischen diesen beiden Gruppen betreffen die Antizipation von Auftritten und das Bedürfnis, mehr Hilfe für die optimale Vorbereitung von Auftritten zu erhalten. Insgesamt gaben 54.8 Prozent der Befragten an, Interesse an einem Lehrangebot zur Auftrittsvorbereitung zu haben. Hier zeigt sich gegenüber künstlerischen Musikstudiengängen ein deutlicher Nachholbedarf im Hinblick auf die Integration derartiger Lehrangebote in den Studienverlauf.

Anreize für die Teilnahme am mittelhessischen Regionalwettbewerb „Jugend musiziert" - eine Fragebogenstudie Incentives for participation in Central Hessian regional competition "Youth makes music" - a questionnaire survey [*]

Claudia Bullerjahn, Florian Hantschel, Thomas Hirchenhein
Vorliegende Studie analysiert Anreize für eine Teilnahme am Regionalwettbewerb „Jugend musiziert" in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht, familiärer Musikbetätigung, Solo- vs. Ensemblevorspiel, Unterrichtsdauer, Übezeit, Fähigkeitsselbsteinschätzung und bisherigen Wettbewerbserfahrungen wie -erfolgen. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 108 Teilnehmer (w = 67, m = 41) des 51. rnittelhessischen Regionalwettbewerb (2014) im Alter von 7 bis 25 Jahren direkt im Anschluss an ihr Wertungsspiel mit einem für diesen Kontext entwickelten Fragebogen befragt. Dieser enthält u. a. 72 vor motivationspsychologischem Hintergrund und in Anlehnung an Roth (2012) formulierte Statements. Eine explorativ genutzte Hauptkomponentenanalyse extrahierte sechs Faktoren, aus denen wir theoriegeleitet fünf Skalen mit insgesamt 29 Items konstruierten. Als wichtigste Anreizklassen erwiesen sich „Flow" und „Hoffnung auf Anschluss", gefolgt von „Leistung" und „Macht" sowie „Furcht vor Zurückweisung", was sich von der Gewichtung her deutlich von vorherigen Studien mit gleichwohl unterschiedlichen Fragestellungen und Methoden unterscheidet. Im Vergleich ebenfalls überraschend sind das geringere Übepensum, das gute Abschneiden beider Geschlechter und die geringe bis fehlende Bedeutung der familiären Musikbetätigung.

Spot

Chancen und Risiken des Computereinsatzes in der Musikpsychologie Opportunities and risks of computer use in music psychology [*]

Klaus Frieler, Elke B. Lange

Nahaufnahmen

Im Dienste musikalischer Erfindung und einer neuen Wahrnehmung - Pierre Boulez und das IRCAM In the service of musical invention and a new perception - Pierre Boulez and the IRCAM [*]

Elena Ungeheuer

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Patricia Shehan Campbell und Trevor Wiggins (Eds.): The Oxford Handbook of Children's Musical Culture

Andreas C. Lehmann

Wilfried Gruhn & Annemarie Seither-Preisler (Hrsg.): Der musikalische Mensch. Evolution, Biologie und Pädagogik musikalischer Begabung

Franziska Dege

Jan Hemming: Methoden der Erforschung populärer Musik

Christoph Jacke

Robert Heyer, Sebastian Wachs & Christian Palentien (Hrsg.): Handbuch Jugend- Musik- Sozialisation

Kai Lothwesen

Anna Wolf: "Es hört doch jeder nur, was er versteht". Konstruktion eines kompetenzbasierten Assessments für Gehörbildung

Daniel Fiedler

Richtigstellung
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Christoph Louven: Das Osnabrücker Konzept zur Messung der Offenohrigkeit- eine Richtigstellung zum Beitrag von Bötsch und Rothmann (2016)

Christoph Louven

Erwiderung
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Das Osnabrücker Konzept zur Messung der Offenohrigkeit- Antwort auf die Richtigstellung von Christoph Louven (2017)

Isabell Bötsch

Berichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Interdisziplinäre Tagung zur Kultur, Nutzung, Wirkung und Ökonomie von Musikcastingshows, 03.-05. Dezember 2015, Würzburg

Marius Fietz

International Conference of Students of Systematic Musicology (SysMus), 08.-10. Juni 2016, Jyväskylä (Finnland)

Diana Kayser

14th International Conference on Music Perception and Cognition (ICMPC), 05.-09. Juli 2016, San Francisco (USA)

Taren Ackermann, Daniel Fiedler & Nora Schaal

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie (DGM), 09.-11. September 2016, Wien (Österreich)

Philipp Raatz

Jahrestagung des Arbeitskreises musikpädagogischer Forschung (AMPF), 07.-09. Oktober 2016, Freising

Tim Voßen

Zweite IASPM D-A-CH Konferenz, 20.-23. Oktober 2016, Graz (Österreich)

Nicolas Ruth

Jahrestagung der Gesellschaft für Popularmusikforschung (GfPM), 18.-20. November 2016, Hamburg

Fabrizio Costantino