Jahrbuch-Archiv: Band 23 (2013)

Band 23: Musikpsychologie – Interdisziplinäre Ansätze

Band 23 wurde herausgegeben von Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn und Holger Höge. Die redaktionelle Betreuung lag bei Timo Fischinger, Richard von Georgi, Mirjam James und Kathrin Schlemmer.

 

Der gedruckte Band ist 2013 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Forschungsberichte zum Themenschwerpunkt

"The Music of Nature"? Zum Verhältnis von Musikpsychologie und Musiktheorie "The Music of Nature"? The relationship between music psychology and music theory [*]

Wolfgang Auhagen
In einem historischen Abriss wird das Verhältnis von Musiktheorie und Musik­psychologie zu unterschiedlichen Zeiten dargestellt. Ausgangspunkt ist hierbei die Gegenüberstellung zweier konträrer musiktheoretischer Positionen: • Musik als allgemeines Naturphänomen, • Musik als in der Psyche des Menschen verankertes Phänomen. Anhand musiktheoretischer Traktate lässt sich zeigen, dass musikalische Re­geln seit dem 17. Jahrhundert verstärkt auf menschliches Wahrnehmen, Den­ken und Erleben zurückgeführt wurden, also die zweite genannte Grundposi­tion an Bedeutung gewann. Bereits im 16. Jahrhundert waren mathematische Proportionen als a priori gültiges Regulativ nicht mehr unumstritten und be­durften einer zusätzlichen Legitimation. Der Rückbezug auf psychische Grundlagen setzte einen ,idealisierten' Hörer voraus, denn die Verbindlichkeit des jeweiligen Regelsystems sollte nicht in Frage gestellt werden. Experimen­telle musikpsychologische Forschungen der jüngeren Zeit haben allerdings gezeigt, dass es Diskrepanzen zwischen wahrgenommener Musikstruktur und deren musiktheoretischer Fundierung geben kann. Das Musikhören kann also nicht generell zur Stützung musiktheoretischer Konzepte herangezogen wer­ den. Von der Musikpsychologie bislang nur wenig erforscht, ist der musika­lische Schaffensprozess, sowohl im Hinblick auf Komposition als auch im Hinblick auf Improvisation. Über viele Jahrhunderte hinweg aber war Musik­theorie zumindest in der abendländischen Tradition eine Angelegenheit von Komponisten, Kapellmeistern und Instrumentalisten. So bietet sich gerade dieser Bereich für gemeinsame Forschungsprojekte von Musiktheorie und Musikpsychologie an.

Entwurf eines Forschungsparadigmas für die empirische Erforschung Populärer Musik: Multiple optimierte Passung in den Produktionsketten der Popmusik Design of a research paradigm for the empirical study of popular music: Multiple optimized fit in the production chains of popular music [*]

Andreas C. Lehmann
Forschung zur Populären Musik führt in der Musikpsychologie ein Schattenda­sein. Die Gründe hierfür sind vielfältig und das Forschungsdefizit widerspricht der großen gesellschaftlichen Bedeutung dieser Musik. Dieser theoretische Beitrag wurde durch die Kritik Appens (2012) stimuliert und wir argumentieren, dass die zurückhaltende Beschäftigung von Musikpsychologen mit Phänomenen der Populären Musik weniger an deren Orientierung an der Kunstmusik als an mangelnden empirischen Methoden in der bisherigen Popmusikforschung liegt. So bilden beispielsweise die häufig kollaborativen Prozesse bei der Entstehung Populärer Musik (beim Songwriting, der Studioproduktion oder der Entwicklung von Live-Konzepten) eine Herausforderung für das traditionelle psychologische Methodenrepertoire. Erst die Verbindung eines intraindividuellen mit einem interindividuellen Ansatz erlaubt neue Aufschlüsse über Kreativität, Expertisie­rung und Präferenzbildung in dieser Musik, die dem kulturwissenschaftlichen Zugang möglicherweise verborgen bleiben. Als Zukunftsperspektive für eine musikpsychologische Erforschung der Populären Musik skizzieren wir ein Forschungsparadigma, das diese Musik als Produktionskette auffasst, in der Popu­larität (und kommerzieller Erfolg) als Ergebnis iterativer multipler, optimierter Passung entsteht. Demnach muss von den Akteuren für jedes Musikstück zwi­schen den insgesamt sechs Ebenen kompositorische Struktur, Liedtext, Studio­produktion (Sound), Live-Performanz, Distribution (incl. Public Relations) und Hörer eine spezifische Passung gefunden werden. Diese Produktionskette kann durch die Matroschka-Puppe veranschaulicht werden: jede der miteinander verbundenen Puppen muss die jeweils kleinere umschließen und sich in die nächstgrößere einpassen. Andernfalls kann keine vollständige Passung zwischen allen Ebenen entstehen. Aus diesem Modell können prüfbare Hypothesen und konkrete Forschungsprogramme abgeleitet werden.

Ästhetik, Kunst und Empirie - Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten Aesthetics, art and empiricism - In search of common ground [*]

Holger Höge
Ende des 19. Jahrhunderts war Ästhetik als philosophische Disziplin etabliert, definiert als Wissenschaft vom Schönen und der Kunst. Allerdings lag das Missverständnis darin, dass Schönheit am Objekt selbst gesucht wurde. Die Grund­idee, dass der Vergleich jener Dinge, die schön sind, dazu führen müsse, das Phänomen der Schönheit mit Notwendigkeit zur Erscheinung zu bringen, war nicht erfolgreich (Destillationstheorie), die Substantivierung des Schönen wurde aufgegeben. Nicht mehr das schöne Objekt ist Mittelpunkt der Betrachtung, sondern das erlebende, urteilende Subjekt. Damit ist Ästhetik ein Gebiet der empirischen Psychologie geworden. Dass dieses oder jenes Objekt schön sei, wird als Prädikat verstanden, dessen Verleihung nicht bzw. nicht vollständig vom Objekt abhängt. Zu den ästhetischen Phänomenen gehören nicht nur Musik, Literatur, Malerei etc., sondern auch alles, was uns im Alltag begegnet, auch das Erleben der Natur. Dadurch sind viele einzelne Forschungsfelder entstanden, die einer zusammenfassenden Schau unterzogen werden müssten, wenn man am Ziel festhalten will, eine einzige Theorie ästhetischen Erlebens zu erhalten. Kann dies gelingen?

Freie Forschungsberichte

Wer klingelt denn da? Theoretische Überlegungen zur gesellschaftlichen und persönlichen Relevanz von Klingeltönen und eine explorative Studie zur Klingeltonselektion Who's that ringing? Theoretical considerations on the social and personal relevance of ringtones and an exploratory study on ringtone selection [*]

Claudia Bullerjahn, Stefan Erbe, Henrik Groß
Der vorliegende Artikel gibt einen Forschungsüberblick zum Thema Handyklingeltöne und fasst dabei die wesentlichen theoretischen Erkenntnisse und bisherigen empirischen Ergebnisse zusammen. Diese betreffen vor allem die Klingeltontechnik, kulturelle Unterschiede im Gebrauch von Klingeltönen, die Funktion von Klingeltönen als Lebensstilbestandteil, Identitätsstifter, Distink­tionsmittel, kulturelle Performance und Gedächtnistrigger sowie den Einfluss von Klingeltönen auf Klanglandschaften durch die Aufhebung der Grenzen zwischen öffentlichen und privaten Raum. Außerdem wird eine explorative Studie vorgestellt, die untersucht, ob es einen Zusammenhang zwischen der generellen Musikpräferenz und der Wahl des Klingeltons gibt, den jemand auf seinem Handy einstellt. Hierfür wurden 135 Passanten einer städtischen Fuß­gängerzone (9-56 Jahre alt, 52 weibl. u. 83 männl.) mithilfe einer standardisier­ten Interview-Anweisung befragt. Diese beinhaltete u. a. die Bitte um das Vor­ spielen des auf ihrem Mobiltelefon eingestellten Standardklingeltons. Hinzu traten Fragen zur allgemeinen Musikpräferenz, Auswahlgrund des Klingeltons und dessen Herkunft. zusammenhänge zwischen dem präferierten Musikgenre und dem gewählten Klingeltongenre wurden deutlich. Klingeltontechnik, -her­kunft und -auswahlgrund sorgten für eine unterschiedlich starke Übereinstim­mung von Klingelton- und Musikpräferenz. Auch das Alter der befragten Per­sonen erwies sich als bedeutungsvoll.

Freude am Singen bei 10- bis 12-Jährigen: Möglichkeiten der musikpädagogischen Einflussnahme Joy of singing in 10 to 12 year olds: Possibilities of influencing music education [*]

Anna Wolf, Lea Wolpert, Reinhard Kopiez
In der vorliegenden Fragebogenstudie wurden Schüler im Alter von 10 bis 12 Jahren gefragt (n = 142), ob sie sich auf das Singen im Allgemeinen und im Musikunterricht freuen, da eine positive Einstellung zum Singen notwendig ist, um in Erwägung zu ziehen, z. B. einem Chor beizutreten. Die befragten Schüler singen größtenteils gern und nehmen an, dass Singen durch Übung besser wird, also eine erlernbare Fertigkeit und keine angeborene Begabung ist. Wichtige Faktoren, die die Freude am Singen beeinflussen, sind Funktionen der Stimmungsregulierung sowie des Gefühlsausdrucks. Außerdem haben die Schüler, die die Stücke im Musikunterricht sowie den Musiklehrer mögen, auch größere Freude am Singen. In der 5. und 6. Klasse zeigen Schüler noch positive Einstellungen zum Sin­ gen, die jedoch im Laufe der Pubertät zurückgehen können (Behne, 2009). Pä­dagogische Handlungsmöglichkeiten zeigen sich beispielsweise in der Gründung von Schulchören mit Schwerpunkt in der Popularmusik oder durch Rockbands. Es sollte problematisiert werden, dass die Verringerung des Musikunterrichtes in der 7. und 8. Klasse, wie dies beispielsweise in Niedersachsen der Fall ist, zu einem ungünstigen Zeitpunkt erfolgt: Gerade in dieser Zeit finden entwicklungspsychologische Veränderungen in der Musiknutzung der Schüler statt sowie Veränderungen auf physiologischer Ebene im Stimmapparat, sodass regelmäßi­ger Musikunterricht mit theoretischem und praktischem Anteil weiterhin von großer Bedeutung für Jugendliche ist.

Anreize des Übens und Musizierens bei 15- 16-jährigen Schülern und bei Schulmusikstudierenden und ein erster Vergleich mit 10- 11-jährigen Schülern Incentives for practicing and making music among 15- to 16-year-old pupils and among school music students and a first comparison with 10- to 11-year-old pupils [*]

Barbara Roth
Der Frage danach, welche Arten von Anreizen beim Üben und Musizieren bei Instrumentalschülern und Schulmusikstudierenden zum Tragen kommen, wurde in der Musikpsychologie und -pädagogik bisher wenig nachgegangen. Die Mo­tivationspsychologie legt nahe, leistungsthematische Anreize (Fortschritte auf dem Instrument zu erzielen), machtthematische Anreize (andere zu übertreffen oder zu beeindrucken) und anschlussthematische Anreize (von der Gruppe der Musizierenden akzeptiert zu werden) in den Blick zu nehmen. Doch könnten auch in emotionalen Erfahrungen während des Übens (z. B. dem Erleben von Glücksgefühlen), dem Flow-Erleben - d. h. dem völligen Aufgehen in der Tätigkeit - sowie in den Folgen des Übens Anreize liegen; die Fähigkeit, trotz Unlust zu üben (d. h. volitionales Kontrollvermögen einzusetzen), kann ebenfalls einen Anreiz darstellen. Für die Konstruktion eines Fragebogens sollen die Anreize des Übens und Musizierens möglichst präzise und in ihrer Vielfältigkeit erfasst werden. Es zeigte sich, dass Anreizklassen gebildet werden können. Während die Werte der 10- bis 11-jährigen (n = 39) für fast alle Anreizskalen deutlich über den Werten der 15- bis 16-jährigen Instrumentalschüler liegen, bestehen zwischen den 10- bis 11-jährigen Instrumentalschülern und den Schulmusikstudierenden nur we­nige Unterschiede. Zwischen 15- bis 16-jährigen Instrumentalschülern (n = 44) und Schulmusikstudierenden (n = 44) bestehen ebenfalls nur wenige Unter­ schiede in den Anreizpräferenzen. Leistungsthematische und flow-thematische Anreize sowie verschränkte gruppenbindungs-flow-thematische Anreize gehören bei allen drei Probandengruppen zu den am meisten präferierten.

In Memoriam
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Robert Francès

Holger Höge, Hana Gottesdiener

Nahaufnahme

Die Thereminvox: Instrumente und auditive Wirkung - ein ÜberblickThe Thereminvox: Instruments and auditory effects - an overview [*]

Matthias Sauer

Spot

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Rolf Bader, Christiane Neuhaus & Ulrich Morgenstern (Eds.): Concepts, Experiments, and Fieldwork: Studies in Systematic Musicology and Ethnomusicology

Kai Lothwesen

Dorothea Baumann: Music and Space. A systematic and historical investigation into the impact of architectural acoustics on performance practice followed by a study of Handel's Messiah

Daniel Muzzulini

Alf Gabrielsson: Strong experiences with music. Music is so much more than just music

Clemens Wöllner

Reinhard Kopiez, Jessika Dressel & Marco Lehmann: Vom Sentographen zur Gänsehautkamera. Entwicklungsgeschichte und Systematik elektronischer Interfaces in der Musikpsychologie

Mats B. Küssner

Andreas C. Lehmann, John A. Sloboda & Robert H. Woody: Psychology for Musicians und Aaron Williamon (Ed.): Musical Excellence: Strategies and techniques to enhance performance

Mirjam James

Johanna Maier-Karius: Beziehungen zwischen musikalischer und kognitiver Entwicklung im Vor- und Grundschulalter

Kai Lothwesen

Gary E. McPherson, Jane W. Davidson & Robert Faulkner: Music in our lives: Rethinking musical ability, development and identity

Flemming Kristensen

Franziska Olbertz: Musikalische Hochbegabung. Frühe Erscheinungsformen und Einflussfaktoren anhand von drei Fallstudien

Anja-Maria Hakim

Barabara Roth: Die Bedeutung von Motivation und Willen für das Üben von Instrumenten. Eine Studie zum musikalischen Lernen von älteren Schülern und Schulmusikstudierenden

Georg Wissner

Thomas Schäfer: Statistik I. Deskriptive und Explorative Datenanalyse und Statistik II. Inferenzstatistik

Johannes Hasselhorn

Tagungsberichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

11th International Conference on Music Perception and Cognition, Seattle (USA), 23.-27. August 2010

Friedrich Platz & Reinhard Kopiez

Gemeinsame Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie (DGM) und der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) in Würzburg vom 7.-10. Oktober 2010

Timo Fischinger

"Driven by Sound" - Zweiter Audio Branding Congress der Audio Branding Academy in Hamburg, 05. November 2010

Hanna Ruf

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Musikpsychologie in Osnabrück vom 09.-11. September 2011

Caroline Cohrdes

Jahrestagung des Arbeitskreises musikpädagogische Forschung (AMPF) vom 7.-9. Oktober 2011 in Stuttgart

Florian Hantschel

Populäre Inszenierung/Inszenierung des Populären in der Musik: 22. Arbeitstagung des Arbeitskreises Studium Populärer Musik (ASPM) in Paderborn vom 18.-20. November 2011

Isabell Bötsch

Joint conference 12th International Conference on Music Perception and Cognition (ICMPC) - 8th Triennial and Conference of the European Society for the Cognitive Sciences of Music (ESCOM), Thessaloniki (Griechenland), 23.-28. Juli 2012

Anna Wolf & Silvia Müller