Musikpsychologie und Popularmusikforschung haben sich in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren weitgehend isoliert voneinander entwickelt, sodass der Korpus empirischer Studien mit direktem Bezug auf populäre Musik bis heute überschaubar geblieben ist. Dies ist nicht zwingend zu kritisieren, wenn man davon ausgeht, dass es der Anspruch der Musikpsychologie ist, systematische Aussagen zu treffen, die unabhängig von konkreten Musikkulturen gültig sind. Tatsächlich muss man aber feststellen, dass der weitverbreitete Verzicht auf Beispiele und Stichproben aus dem Bereich der populären Musik etwa in Performance-, Lern-, Entwicklungs- oder Kompositionsforschung zur Folge hat, dass die Ergebnisse keineswegs Allgemeinheit beanspruchen dürfen und statt dessen nicht selten implizit eine bürgerliche Hochkultur-Ästhetik fortschreiben. Die Ursachen für die Distanz der beiden Disziplinen liegen z. T. in der persönlichen Sozialisation der Forscher und in ihrer zunehmenden Spezialisierung; vor allem aber - auf tieferer Ebene - in grundsätzlich differierenden Erkenntnisinteressen und gesellschaftspolitischen Absichten begründet. Während es der Musikpsychologie mit dem Ziel nomothetischer Ergebnisse um das musikbezogene Verhalten, Erleben und Bewusstsein des ,Menschen an sich' geht, versucht die Popularmusikforschung, über das Medium der Musik etwas über das soziale Wesen Mensch in seiner gegenwärtigen Kultur zu erfahren - mitunter auch wertend und mit auf Veränderung zielendem Anspruch. Will sie nicht an Relevanz verlieren, muss sich die Musikpsychologie intensiver mit der am weitesten verbreiteten Musikkultur unserer Zeit auseinander setzen und stärker als zuvor soziale und kulturelle Aspekte integrieren. Zugleich sollte auch die Popularmusikforschung ihren Horizont um die empirischen Methoden erweitern und das breite Angebot musikpsychologischer Publikationen nicht länger ignorieren, denn in vielen aktuellen Forschungsfeldern - etwa der (Rezeptions-)Analyse populärer Musik, der Ästhetik, der Identitätsbildung und der Distinktion, der Gender-Thematik oder der Kanonbildung - verspricht die multidisziplinäre Verzahnung den ergiebigsten Weg, die bestehenden Lücken zu schließen.