Jahrbuch-Archiv: Band 22 (2012)

Band 22: Musikpsychologie – Populäre Musik

Band 22 wurde herausgegeben von Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn und Holger Höge. Die redaktionelle Betreuung lag bei Timo Fischinger, Richard von Georgi, Mirjam James und Kathrin Schlemmer.

 

Der gedruckte Band ist 2012 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Forschungsberichte zum Themenschwerpunkt

Populäre Musik als Herausforderung für die Musikpsychologie. Eine kritische Bilanz Popular music as a challenge for the psychology of music. A critical balance [*]

Ralf von Appen
Musikpsychologie und Popularmusikforschung haben sich in Deutschland in den vergangenen 25 Jahren weitgehend isoliert voneinander entwickelt, sodass der Korpus empirischer Studien mit direktem Bezug auf populäre Musik bis heute überschaubar geblieben ist. Dies ist nicht zwingend zu kritisieren, wenn man davon ausgeht, dass es der Anspruch der Musikpsychologie ist, systemati­sche Aussagen zu treffen, die unabhängig von konkreten Musikkulturen gültig sind. Tatsächlich muss man aber feststellen, dass der weitverbreitete Verzicht auf Beispiele und Stichproben aus dem Bereich der populären Musik etwa in Performance-, Lern-, Entwicklungs- oder Kompositionsforschung zur Folge hat, dass die Ergebnisse keineswegs Allgemeinheit beanspruchen dürfen und statt­ dessen nicht selten implizit eine bürgerliche Hochkultur-Ästhetik fortschreiben. Die Ursachen für die Distanz der beiden Disziplinen liegen z. T. in der per­sönlichen Sozialisation der Forscher und in ihrer zunehmenden Spezialisierung; vor allem aber - auf tieferer Ebene - in grundsätzlich differierenden Erkennt­nisinteressen und gesellschaftspolitischen Absichten begründet. Während es der Musikpsychologie mit dem Ziel nomothetischer Ergebnisse um das musikbezo­gene Verhalten, Erleben und Bewusstsein des ,Menschen an sich' geht, versucht die Popularmusikforschung, über das Medium der Musik etwas über das soziale Wesen Mensch in seiner gegenwärtigen Kultur zu erfahren - mitunter auch wertend und mit auf Veränderung zielendem Anspruch. Will sie nicht an Relevanz verlieren, muss sich die Musikpsychologie inten­siver mit der am weitesten verbreiteten Musikkultur unserer Zeit auseinander­ setzen und stärker als zuvor soziale und kulturelle Aspekte integrieren. Zugleich sollte auch die Popularmusikforschung ihren Horizont um die empirischen Me­thoden erweitern und das breite Angebot musikpsychologischer Publikationen nicht länger ignorieren, denn in vielen aktuellen Forschungsfeldern - etwa der (Rezeptions-)Analyse populärer Musik, der Ästhetik, der Identitätsbildung und der Distinktion, der Gender-Thematik oder der Kanonbildung - verspricht die multidisziplinäre Verzahnung den ergiebigsten Weg, die bestehenden Lücken zu schließen.

"Gib mir Energie". Zum Gebrauchen und Lesen populärer Texte "Give me energy". To use and read popular texts [*]

Hans-Otto Hügel
Was sind Kennzeichen eines populären Textes? Wie wird er gelesen (bzw. im Fall eines Popsongs gehört) und gebraucht? Auf diese Fragen gibt der Beitrag anhand der zu einem Popsong von The Connells aus dem Jahre 1995 bei You Tube geposteten Kommentare Antworten: Populäre Texte sind allgemein zu­gänglich und nicht für irgendwie besondere Rezeptionsgemeinschaften oder Teilkulturen. Sie werden kognitiv erfasst, aktivieren Gefühle und machen Er­fahrungen bewusst. Ihr Praxisbezug, d. h. ihre alltagsphilosophischen Funktio­nen, lassen ihre Rezeption als ein Gebrauchen verstehen. Das schließt verste­hendes Lesen, ja explizite Verstehensbemühung als Rezeptionsweise aber nicht aus. Bei aller gegenüber hochkulturellen Texten gesteigerten Deutungskompe­tenz des populären Lesers und der damit gegebenen größeren Bandbreite für individuelle Rezeption bleibt der Gebrauch und das Verständnis aber rückge­bunden an den Text: Die Rede vorn populären Rezipienten „als Alleinherrscher" (Zillmann, 1994, S. 42) über die ästhetische Bewertung des populären Textes erweist sich als nicht stichhaltig. In einem zweiten Teil werden die unterhal­tungstheoretischen und historischen Voraussetzungen einer solchen Funktions­beschreibung populärer Texte erläutert und auf den Begriff gebracht.

Präferenzen der Musikrezeption und transnationale Verbindungen. Eine Untersuchung mit Kindern am Ende der Grundschulzeit Preferences of music reception and transnational connections. A study with children at the end of primary school [*]

Winfried Sakai
In bundesdeutschen Grundschulen ist mit einem weiterhin wachsenden Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund zu rechnen. Die Theorie des Transnationalis­mus unterstellt, dass Menschen im Kontext von Migration nationale Grenzen übergreifende soziale und kulturelle Verbindungen aufrechterhalten. Die vorlie­gende Studie geht der Frage nach dem erwartbaren Einfluss transnationaler mu­sikkultureller Verbindungen auf die Musikpräferenzen der Kinder in multikultu­reller Kindheit nach. Dabei werden die Präferenzen der Kinder mit türkischem Migrationshintergrund fokussiert. Von besonderem Interesse sind in diesem Zu­sammenhang die Differenzen zwischen den abendländischen und vorderorienta­lischen Musiksystemen. Mittels einer speziell für diese Studie erstellten interaktiven Software wurden 267 Kinder mit und ohne Migrationshintergrund in urbanem multikulturellem Kontext auf ihre Hörpräferenzen hin untersucht. Die zugrunde gelegte Musikpräsentation umfasst eine Auswahl transnationaler, lokaler und globaler Musikbeispiele. Grund­lage für die anschließende statistische Analyse sind die mittels der Software gemes­senen Hörzeiten. Dabei werden längere Hörzeiten eines Musikstücks als Präferenz interpretiert; kürzere Hörzeiten als Postferenz. Der erste mittels Hauptkomponen­tenanalyse auf die Gesamtstichprobe extrahierte Faktor deutet auf die besonderen Merkmale der (vorder-)orientalischen Tonsysteme. Eine geografisch orientierte Gruppierung der Probanden nach familiensprachlichem Hintergrund verweist auf signifikante Unterschiede zwischen dem (transnationalen) familiensprachlichen Hintergrund und den (geografisch) musikkulturell orientierten Musikpräferenzen. Die Ergebnisse legen weitere Studien nahe und verweisen auf die Notwendigkeit der besonderen Beachtung geografisch musikkultureller Zusammenhänge in der musikpsychologischen, musiksoziologischen, musikpädagogischen und kind­heitssoziologischen Forschung.

Freie Forschungsberichte

Urteilshomogenität und Klassengemeinschaft - Ein Beitrag zur Offenohrigkeitshypothese Judgment homogeneity and class community - A contribution to the open ear hypothesis [*]

Edda Leopold
Die Offenohrigkeitshypothese nimmt an, dass jüngere Kinder offener gegen­ über unkonventioneller Musik sind als ältere. Dieser Beitrag ist motiviert durch zwei Studien zu dieser Hypothese (Schellberg & Gembris, 2003 und Kopiez & Lehmann, 2008), die in Deutschland durchgeführt worden sind und die auf den ersten Blick unterschiedliche Ergebnisse zeigten. Die Daten, die diesen Studien zugrunde liegen, werden reanalysiert. Für jedes Paar von Klassenge­meinschaften wird ein statistischer Homogenitätstest durchgeführt. Es kann gezeigt werden, dass sich die Präferenzverteilungen verschiedener Klassengemeinschaften öfter unterscheiden als unter der Annahme identischer Vertei­lungen zu erwarten wäre. Die statistischen Unterschiede zwischen den beiden Studien sind jedoch nicht größer als die Unterschiede zwischen den Klassen­gemeinschaften innerhalb beider Studien. Deshalb scheint die Klassengemein­schaft ein wichtiger Faktor für die Entwicklung musikalischer Präferenzen zu sein.

Musikalische und sprachliche Fähigkeiten im Vorschulalter Musical and language skills in pre-school age [*]

Stephan Sallat
Die Frage, inwiefern sich die Entwicklung von sprachlichen und musikalischen Fähigkeiten im Vorschulalter wechselseitig beeinflussen, ist bislang nur unzu­reichend geklärt. Aus diesem Grund wurden die sprachlichen Fähigkeiten von Kindern im Alter von vier und fünf Jahren mit einem standardisierten Sprach­entwicklungstest für die Bereiche Verstehen, Produktion und Arbeitsgedächtnis erhoben und mit den Ergebnissen von Aufgaben zur musikalischen Verarbeitung in den gleichen Bereichen verglichen. In der Gegenüberstellung von Sprache und Musik zeigen sich weniger Kor­relationen als erwartet, vor allem im Bereich des Arbeitsgedächtnisses sind Beziehungen belegbar. Die Ergebnisse liefern darüber hinaus aber auch vielfäl­tige Informationen zur musikalischen Entwicklung zwischen dem 4. und 5. Lebensjahr. So gibt es einen Zuwachs an rhythmischen Fähigkeiten ebenso wie einen Zuwachs an Gedächtniskapazität im musikalischen Arbeitsgedächtnis. Im Gegensatz dazu zeigen sich keine Gruppenunterschiede für die Fähigkeit, be­ kannte Melodien zu erkennen, und bezüglich der Einschätzung bestimmter Pa­rameter beim Singen.

Genese und Modifikation von Emotionen bei der Rezeption von Musik. Eine appraisaltheoretische Modellierung Genesis and modification of emotions in the reception of music. An appraisal theoretical modelling [*]

Holger Schramm, Werner Wirth, Matthias Hofer
Die in diesem Beitrag vorgenommene Adaption eines Modells zur Erklärung der Genese und Modifikation von Emotionen (Emotions-Metaemotions-Regu­lations-Modell) knüpft an emotionspsychologische Theorien an, die Kognitionen - und hier vor allem Einschätzungen und Bewertungen („Appraisals") - als Ausgangspunkt oder zumindest zentralen Aspekt für die Emotionsgenese an­ nehmen. Ziel dieses Beitrages ist es, den Prozess der Emotionsgenese, -überwa­chung und -modifikation bei der Rezeption von Musik erstmalig aus einer kon­sequent appraisaltheoretischen Perspektive zu beschreiben. Diese Perspektive eröffnet neue Möglichkeiten, inter- und intraindividuelle Unterschiede im emo­tionalen Erleben von Musik, den Einfluss des sozialen Kontextes bei der Musi­krezeption oder auch das vermeintlich paradoxe positive Erleben von unangeneh­mer Musik zu erklären. Die Modellierung bietet einen Analyserahmen sowohl für die nicht-mediale als auch für die mediale Musikrezeption.

In Memoriam
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Werner Deutsch

Rolf Oerter

Hans Günther Bastian

Gunter Kreutz

Nahaufnahmen

Über das schwierige Verhältnis Deutschlands zur Neuen Musik und die Unerträgliche Leichtigkeit des Musikerseins von Vinko GlobokarOn Germany's difficult relationship to New Music and the unbearable lightness of Vinko Globokar [*]

Sabine Beck

Gewohnt und ungewohntFamiliar and unfamiliar [*]

Marcus Aydintan

Im Jahre 3 nach Michael JacksonIn the year 3 after Michael Jackson [*]

Manfred Nusseck

Spots

PreX - interaktive Software zur Aufzeichnung von Hörzeitenwerten zu einer Auswahl präsentierter Klangbeispiele mit integriertem Kontextfragebogen PreX - interactive software for recording listening time values for a selection of presented sound examples with integrated context questionnaire [*]

Winfried Sakai

Statistische Poweranalyse als Weg zu einer 'kraftvolleren' Musikpsychologie im 21. Jahrhundert Statistical power analysis as a path to a 'more powerful' music psychology in the 21st century [*]

Friedrich Platz, Reinhard Kopiez, Marco Lehmann

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Eckhard Altenmüller, Mario Wiesendanger & Jürg Kesselring (Eds.): Music, MotorControl and the Brain

Clemens Wöllner

Blanka Bogunovic: Musical Talent and Successfulness

Ksenija Rados

Herbert Bruhn, Reinhard Kopiez & Andreas C.Lehmann (Hrsg.): Musikpsychologie.Das neue Handbuch

Franziska Olbertz

Bundesministerium für Bildung und Forschung (Hrsg.): Macht Mozart schlau? Die Förderung kognitiver Kompetenzen durch Musik

Kathrin Schlemmer

Susan Hallam, Ian Cross & Michael Thaut (Eds.): The Oxford Handbook of Music Psychology

Clemens Wöllner

Georg Hübner: Musikindustrie und Web 2.0 - Die Veränderung der Rezeption und Distribution von Musik durch das Aufkommen des „Web 2.0"

Kai Lothwesen

Gary E. McPherson, Jane W. Davidson & Robert Faulkner: Music in our lives: Rethinking musical ability, development and identity

Klaus-Ernst Behne

Jens Knigge: Intelligenzsteigerung und gute Schulleistungen durch Musikerziehung. Die Bastian-Studie im öffentlichen Diskurs

Kathrin Schlemmer

Helga de la Motte-Haber (Hrsg.): Handbuch der Systematischen Musikwissenschaft

Herbert Bruhn

Marco Lehmann: Soziale Einflüsse auf die Musik-Elaboration Jugendlicher

Thomas Schäfer

Stephan Sallat: Musikalische Fähigkeiten im Fokus von Sprach­entwicklung und Sprachentwicklungsstörungen

Herbert Bruhn

Helga Sprung unter Mitarbeit von Lothar Sprung: Carl Stumpf - eine Biografie. Von der Philosophie zur Experimentellen Psychologie

Helga de la Motte-Haber

Robert Walker: Music Education. Cultural Values, Social Change and Innovation

Heike Gebauer

Stefan Weinacht und Helmut Scherer (Hrsg.): Wissenschaftliche Perspektiven auf Musik und Medien

Christoph Jacke

Andrew Williams: Portable Music and its Functions

Ingo Roden

Clemens Wöllner: Zur Wahrnehmung des Ausdrucks beim Dirigieren

Christoph Louven

Tagungsberichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

7th Triennial Conference of the European Society for the Cognitive Sciences of Music 12.-16.August 2009 in Jyväskylä, Finland

Marco Lehmann, Kathrin Schlemmer & Reinhard Kopiez

Musikpsychologie und populäre Musik - Tagung der DGM 2009 in Kassel

Thomas Schäfer

Thema Nr.1 - Sex und populäre Musik - 20. Arbeitstagung des Arbeitskreis Studium Populäre Musik (ASPM) 25.-27.September 2009 in Halle

Yvonne Thieré

Evaluationsforschung in der Musikpädagogik - AMPF-Jahrestagung 8.-10.Oktober 2009 in Hösbach

Julia Wadewitz