Jahrbuch-Archiv: Band 21 (2011)

Band 21: Musikpsychologie – Musikselektion zur Identitätsstiftung und Emotionsmodulation

Band 21 wurde herausgegeben von Wolfgang Auhagen, Claudia Bullerjahn und Holger Höge. Die redaktionelle Betreuung lag bei Timo Fischinger, Richard von Georgi, Mirjam James und Kathrin Schlemmer.

 

Der gedruckte Band ist 2011 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Forschungsberichte zum Themenschwerpunkt

Zeichen der Zugehörigkeit und Mittel der Abgrenzung. Prozesse der Identitätsstiftung aus ethnomusikologischer Sicht Signs of belonging and means of demarcation. Processes of identity formation from an ethnomusicological perspective [*]

Gerd Grupe
Welche Rolle spielen Fragen des Verhältnisses von Musik und Identität in der Ethnomusikologie? Können deren spezifische Erkenntnisse, die sich aus der Erforschung der Musikkulturen der Welt ergeben, die Diskussion berei­chern, die in anderen Disziplinen, namentlich der Musikpsychologie, zu diesem Thema geführt wird? Anhand von Beispielen aus Afrika, Asien, La­teinamerika und dem Jazz versucht der vorliegende Beitrag, in einer kultur­übergreifenden Perspektive einen Überblick über die Rolle von Musik als identitätsstiftendes Medium zu geben. Auch die Folgen der Globalisierung und der damit einhergehenden Prozesse sind hier zu berücksichtigen.

Der Musikgeschmack im Grundschulalter – Neue Daten zur Hypothese der Offenohrigkeit Music taste in primary school age - New data on the hypothesis of Open-Earedness [*]

Marco Lehmann, Reinhard Kopiez
Das Ziel dieser Studie ist eine Übersetzung der sogenannten Offenohrig­keitshypothese in möglichst einfache experimentelle Hypothesen. Das Phä­nomen Offenohrigkeit bezeichnet eine tolerante Einstellung junger Kinder gegenüber für sie unkonventioneller Musik. Einzelne frühere Untersuchun­gen dazu werden kritisch diskutiert. Aus ihnen wird ein geeigneter Ver­suchsplan für die vier Grundschuljahrgänge abgeleitet, um zeitliche Über­gangspunkte von höherer zu geringerer Offenohrigkeit mittels sogenannter a-priori-Kontraste zwischen den Klassenstufen aufzudecken. Auf einem klingenden Fragebogen gaben 186 Grundschüler Gefallensurteile zu Mu­sikbeispielen unterschiedlicher Genres (Klassik, Avantgarde, Pop und ethni­sche Musik) ab. Die Ergebnisse zeigten eine Abnahme der Offenohrigkeit zwischen der ersten und zweiten Klassenstufe. Überraschenderweise ba­sierte diese Abnahme auf den Urteilen über klassische Musik. Das Ergebnis stimmt nicht überein mit einer Re-Analyse der Daten von Schellberg & Gembris (2003), in denen eine Abnahme zwischen der dritten und vierten Klassenstufe festgestellt wurde. Abschließend werden die Angemessenheit des vorliegenden Querschnitt-Designs und die Operationalisierung von „un­konventioneller" Musik diskutiert.

Authentizität des Ausdrucks – Intensität des Eindrucks. Zur Bedeutung des Emotionalen in der populären Musik Authenticity of expression - intensity of the impression. The importance of the emotional in popular music [*]

Ralf von Appen
Vorliegender Beitrag untersucht individuelle Bewertungen populärer Musik, speziell die Bedeutung der Zuschreibung emotionaler Qualitäten für das Erleben und Bewerten der Musik. Um verbreitete Bewertungsmuster zu­ nächst zu dokumentieren, wird eine Stichprobe von über 1.000 Kundenrezensionen der Amazon-Websites zu zehn besonders erfolgreichen Pop- und Rock-CDs inhaltsanalytisch auf zugrunde liegende Bewertungsmuster durch­leuchtet. Quantitative Verfahren stützen und erweitern die Resultate. Dabei ergibt sich, dass emotionale Qualitäten in einem großenTeil der Bespre­chungen ein zentrales Argument darstellen. Diese Qualitäten lassen sich in die Cluster „Gefühl" (mit den Subkategorien „gefühlvoll, persönlicher Aus­druck, Tiefe", „Entspannung" und „Schönheit") sowie „Energie" (mit den Subkategorien „motorische Aktivierung, kraftvoll, rockt" und „macht Spaß, Party, verbessert die Stimmung") differenzieren. Der Beitrag führt aus, was die Laien-Rezensenten mit den jeweiligen Kategorien verbinden und wel­che Qualitäten im konkreten Fall zu positiven Bewertungen führen. Ab­ schließend werden die ermittelten Werthaltungen zu anderen historischen Ästhetiken in Beziehung gesetzt und vor dem Hintergrund gegenwärtiger philosophisch-ästhetischerTheorie gedeutet.

Persönlichkeit und Emotionsmodulation mittels Musik bei Heavy-Metal-Fans Personality and emotion modulation through music for heavy metal fans [*]

Richard von Georgi, Hubertus Kraus, Katherina Cimbal, Miriam Schütz
Eine Reihe von Studien deuten immer wieder an, dass eine Präferenz für harte Musik mit Merkmalen wie sensation seeking und Psychotizismus aber auch mit Risikofaktoren wie Suizidalität und Depressivität einherzugehen scheint. Unterschiedliche Aspekte sprechen jedoch gegen eine direkte Bezie­hung zwischen Persönlichkeit und den genannten Variablen. So sind unter­schiedliche Formen der Anwendung von Musik zur Emotionsmodulation bei Hörern harter Musik bisher nicht quantitativ untersucht worden. Mit der vor­liegenden Studie sollte untersucht werden, in wie weit sich echte Heavy­ Metal-Fans in ihrer Gesundheit, Persönlichkeit, ihrem Selbstbild und unter­ schiedlichen Modulationsstrategien von Hörern „normaler" Musik und Anhängern von harter Musik unterscheiden. Zudem soll untersucht werden, ob die Ergebnisse aus der Literatur auf „echte" Metal-Fans übertragbar sind. 200 Besuchern von Heavy-Metal-Festivals, 117 Studenten mit einer Präfe­renz für Popmusik und 181 mit einer Präferenz für harte Musik wurde der SKI, das PANAS, die BIS/BAS, die P-Skala des EPP-D sowie das IAAM vorgelegt. Die Ergebnisse zeigen, dass Heavy-Metal-Fans keine Auffälligkei­ten in den Gesundheitsvariablen besitzen (p > 0,05). Des weiteren sind Heavy­ Metal-Fans weniger zwanghaft und eher kooperationsbereit (SKI), besitzen eine positive und negative Affektivität (PANAS), einen positiven Antrieb (BAS), sind impulsiver (P-EPP-D), jedoch nicht sensationssuchend (p < 0,05). Die Analyse der IAAM-Skalen ergibt, dass Heavy-Metal-Fans vermehrt Musik im Alltag zur positiven und negativen Emotionsmodulation verwen­den. Hierbei besteht eine Altersabhängigkeit vor allem in der Strategie, eine negative Anspannung zu modulieren. Insgesamt bestehen zudem starke Ge­schlechterunterschiede. Die Diskriminanzanalyse deutet darauf hin, dass die bestehenden Forschungsergebnisse nicht problemlos auf die Gruppe der ech­ten Metal-Fans übertragen werden dürfen und neu überdacht werden sollten.

Besuch von Konzerten klassischer Musik – eine Frage des Alters oder der Generation? Attending classical music concerts - a question of age or generation? [*]

Thomas K. Hamann
Das deutsche Klassikpublikum ist gegenwärtig im Vergleich zur Gesamtbe­völkerung deutlich überaltert. Welche Bedeutung diese Situation für die künf­tige Entwicklung der Größe des Publikums für klassische Musik hat, war bislang unklar: Droht das Klassikpublikum in den nächsten Jahrzehnten lang­sam auszusterben? Oder halten die familiäre und berufliche Situation die jüngeren Erwachsenen nur vorübergehend vom Besuchen klassischer Kon­zerte ab? Die in diesem Beitrag beschriebenen Datenanalysen legen nahe, dass die Klassikhörer und damit das Klassikpublikum vor allem einem Kohorten- und kaum einem Alters- bzw. lebenszyklischen Effekt folgen. Mit dem Aufkommen der Pop-/Rockmusik nach dem Zweiten Weltkrieg scheinen sich die Rahmenbedingungen der musikalischen Sozialisation zugunsten der Pop-/Rockmusik und zum Nachteil der klassischen Musik gewandelt zu haben. Während ausschließlich aufgrund der demografischen Veränderungen in Deutschland zwischen 1993/94 und 2004/05 ein Anstieg des Klassikpub­likums um 1,0 Mio. Personen zu erwarten gewesen wäre, bewirkten andere Einflussfaktoren wie der musikgeschmackliche Wandel einen gegenläufigen Effekt in Höhe von 4,3 Mio. Personen, so dass die Besucher von klassischen Konzerten insgesamt um 3,3 Mio. Personen zurückgegangen sind.

Freie Forschungsberichte

Kognitive Verarbeitung von Dreiklängen – ein Reaktionszeit-Experiment zur Unterscheidung von Dur und Moll im Kontext westlich-europäischer Tonalität Cognitive processing of triads - a reaction time experiment on the distinction between major and minor in the context of Western European tonality [*]

Herbert Bruhn
Die Experimente aus dem Jahr 2002 schließen an die Arbeiten von Bha­rucha und Stoeckig (1986, 1987) an. In ihren Experimenten wurden Dur und Moll-Akkorde beurteilt, nachdem ein Ankerreiz (prime) eine Tonalität wachgerufen hatte. Die Ergebnisse von Bharucha und Stoeckig konnten präzisiert werden. (1) Die Zeiten der 10 männlichen und 10 weiblichen Ex­perten waren deutlich kürzer als in allen anderen Studien, in denen Akkord­beurteilungen vorgenommen wurden. (2) Ein tonaler Ankerreiz verlängert die Beurteilungszeit geringfügig, aber signifikant. (3) Bei den Verbindun­gen zwischen einem Dur-Ankerreiz und einem Dur-Zielakkord verlängerte sich die Beurteilungszeit mit jeder zusätzlichen Quinte Abstand um 5 bis 10 ms, aber nur wenn man die Reaktionen betrachtet, die länger als 450 ms dauerten. (4) Sobald Zielakkord und/oder Ankerreiz in Moll gespielt wur­den, zeigte die Verteilung der Antwortzeiten Besonderheiten, die darauf schließen lassen, dass mit Mollankerreizen eine verwandte Durtonart aktiviert wird. (5) Die besonders schnellen richtigen Reaktionen (266 bis 440 ms) zeigen keine Beziehung zum tonalen Gefüge des Ankerreizes.

Die Beziehung zwischen Tonalitätsverstehen und kognitiven Fähigkeiten The relationship between tonality understanding and cognitive abilities [*]

Johanna Maier-Karius, Gudrun Schwarzer
Die vorliegende Untersuchung befasst sich mit der Frage, wie sich das to­nale Verstehen entwickelt und inwieweit es mit der Entwicklung anderer kognitiver Fähigkeiten wie dem allgemein-logischen Schlussfolgern und dem räumlichen Vorstellungsvermögen im Zusammenhang steht. Es wurden 105 5- bis 10-jährige Kinder untersucht. Das Tonalitätsverstehen wurde mit der Probetonmethode (vgl. z. B. Krumhansl, 1990) erfasst, bei der die Probanden die Aufgabe haben, Schlusstöne kurzer Melodien zu bewerten. Das allgemein-logische Schlussfolgern wurde mit dem Culture-Fair-Test (CFT 20-R, Weiß, 2006 bzw.CFT 1, Cattell et al., 1997) und das räumliche Vorstellungsvermögen mit dem Mosaik-Test (HAWIK-III, Tewes et al., 2000 bzw. HAWIVA, Eggert, 1976) gemessen. Die Ergebnisse zeigen eine zunehmende Internalisierung der tonalen Regeln der westlichen Musik im Alter von fünf bis zehn Jahren. Zusammenhänge zwischen Tonalitätsverste­hen und räumlichem Vorstellungsvermögen ließen sich kaum nachweisen; es zeigte sich jedoch ein Zusammenhang zwischen allgemein-logischem und tonalem Schlussfolgern bei den Kindern mit differenzierterem tonalem Verstehen. Dies wird im Hinblick auf einen Wechsel in der Strategie bei der Beurteilung von Schlusstönen diskutiert.

In Memoriam
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Diether de la Motte

Klaus-Ernst Behne

Reiner Niketta

Holger Höge

Nahaufnahmen

David Bowies postmodernes Spiel mit IdentitätenDavid Bowie's postmodern game with identities [*]

Ralf von Appen

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Antje Bersch-Burauel: Entwicklung von Musikpräferenzen im Erwachsenenalter. Eine explorative Untersuchung

Franziska Olbertz

Irene Deliege & Geraint A. Wiggins (Hrsg.): Musical Creativity. Multidisciplinary Research in Theory and Practice

Martin Pfleiderer

Marcel Dobberstein: Die Natur der Musik

Ernst Dombrowski

Reiner Gembris (Hrsg.): Musical Development from a Lifespan Perspective

Maria Spychiger

David Huron: Sweet Anticipation. Music and the Psychology of Expectation

Martin Pfleiderer

Susanne Keuchel: Das Auge hört mit... Rezeptionsforschung zur klassischen Musik im Spielfilm

Mirjam James

Klaus Miehling: Gewaltmusik - Musikgewalt. Populäre Musik und die Folgen

Richard von Georgi

Lothar Mikos & Claudia Wegener (Hrsg.): Qualitative Medienforschung. Ein Handbuch

Silke Borgstedt

Daniel Muzzulini: Genealogie der Klangfarbe

Christoph Reuter

Martin Neukorn: Signale, Systeme und Klangsynthese. Grundlagen der Computermusik

Bernd Enders

Mirjam Schlemmer-James: Schnittmuster. Affektive Reaktionen auf variierte Bildschnitte bei Musikvideos

Marco Kobbenbring

Albert van der Schoot: Die Geschichte des goldenen Schnitts. Aufstieg und Fall der göttlichen Proportion

Holger Höge

David Temperley: Music and Probability

Daniel Müllensiefen, Marcus Pearce, Christophe Rhodes & David Lewis

Corinna Thaon de Saint Andre: Experimentelle Untersuchung zur Formwahrnehmung in der Musik

Christoph Louven

Dina Weindl: Musik & Aggression. Untersucht anhand des Musikgenres Heavy Metal

Richard von Georgi

Tagungsberichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Begabungsförderung und Begabungsforschung in der Musik. Interdisziplinäre Tagung in Paderborn am 19. und 20.September 2008

René Hornstein

Musikpsychologie im Kontext -Tagung zum 25. Gründungsjubiläum der DGM in Hannover

Markus Büring