Jahrbuch-Archiv: Band 17 (2004)

Band 17: Musikpsychologie – Musikalische Begabung und Expertise

Band 17 wurde herausgegeben von Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber. Die redaktionelle Betreuung lag bei Claudia Bullerjahn und Gunter Kreutz.

 

Der gedruckte Band ist 2004 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.

Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.

Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.

Forschungsberichte zum Themenschwerpunkt

Musikalisches Talent im Lichte der Hochbegabungs- und Expertiseforschung. Theoretische Modelle, Identifikations- und Förderansätze Musical talent in the light of the highly gifted and Research of expertise. Theoretical models, identification and promotion approaches [*]

Kurt A. Heller
Musikalische Begabungen oder Talente bezeichnen außergewöhnliche Fähigkeiten im Bereich der Musik, die freilich sehr unterschiedliche Facetten in dieser Domäne repräsentieren können. Während der Begabungsbegriff auf das individuelle Fähigkeitspotential fokussiert ist, bezieht sich der Expertisebegriff auf Leistungsexzellenz in einer bestimmten Domäne, z. B. Musik. Entsprechend ist die Begabungsforschung prospektiv angelegt, d. h. interessiert sich vor allem für die Talententwicklung und deren Prognose. Im Gegensatz dazu vergleicht die Expertiseforschung Experten m it Anfängern oder Laien in einer bestimmten Domäne (Experten-Novizen-Paradigma), um auf diese Weise vor allem lern- und motivationspsychologische sowie soziale Bedingungen von Leistungsexzellenz retrospektiv zu erfassen. Dabei wird den interindividuellen Begabungsunterschieden eher eine marginale Rolle zuerkannt. Erst in der neueren Talentforschung wird eine Kombination beider Paradigmen angestrebt. Im ersten Teil des Aufsatzes werden deshalb aktuelle Theorien zur Hochbegabung und Expertise unter besonderer Berücksichtigung musikalischer Talente dargestellt. Dabei interessiert vor allem, inwieweit diese Modelle Phänomene musikalischer Begabung beschreiben und erklären können. Im zweiten Teil des Aufsatzes wird auf neuere empirische Forschungsbefunde eingegangen, wobei Probleme der Erkennung (Identifikation) und Förderung hochbegabter Kinder und Jugendlicher im Mittelpunkt stehen. Unter musikpädagogischen Aspekten interessieren z. B. Frühindikatoren musikalischer Begabung, Interesse an Musik etc. , aber auch musikalisches Gedächtnis, absolutes Gehör, Fähigkeiten des Transponierens, Improvisierens und Komponierens, Beziehungen zwischen Musikalität und Kreativität sowie Intelligenz, zwischen Musikalität und visueller Wahrnehmung, Lateralitätshypothesen, das „Idiot-Savant-Syndrom" bzw. sog. „WilliamsSyndrom" und schließlich die Beziehung zwischen musikalischer Frühbegabung und musikalischer Expertise im Erwachsenenalter. Abschließend werden praktische Identifikations- und Förderansätze im Lichte der Hochbegabungs- und Expertiseforschung diskutiert.

Beliefs of Music Educators and Students Concerning the Major Determinants of Musical Talent Überzeugungen von Musikpädagogen und Musikstudenten bezüglich der wichtigsten Determinanten musikalischer Begabung [*]

Françoys Gagné, Danielle Blanchard
Die vorliegende Studie erforschte die naiven Theorien von Musiklehrern und -studenten bezüglich der Hauptdeterminanten für die Entstehung von Talent. Die Teilnehmer (N = 650+) füllten einen Fragebogen mit geschlossenen Fragen aus zur Einschätzung der als wichtigste oder unwichtigste wahrgenommenen Gründe für Talentunterschiede zwischen hoch befähigten und bloß durchschnittlichen jungen Musikern. Zwei verschiedene Situationen wurden vorgeschlagen: Anfänger und fortgeschrittene Studenten. Drei Ergebnisse stechen hervor: (a) Die wahrgenommene Hierarchie der Kausalfaktoren zeigt sehr große individuelle Unterschiede, welche (b) dennoch Raum lassen für klare generelle Trends, die die Mehrheit teilt; ( c) diese Trends sind anscheinend zumeist unabhängig vom Talentniveau oder den Charakteristiken der Antwortenden. Musikalische Fähigkeiten stehen an erster Stelle, gefolgt von Ausdauer, Üben, Interesse und Persönlichkeitseigenschaften. Umwelteinflüsse (z.B. häusliches Musikmilieu, elterliche Unterstützung und Beaufsichtigung, Musiklehrer) und Zufallsfaktoren erhielten hintere Positionen. Die einzigen signifikanten Gruppenunterschiede, die beobachtet werden konnten, setzten die Lehrer etwas gegenüber den Studenten ab und unterschieden ein klein bisschen zwischen den zwei Situationen.

Musikalische Begabung aus Sicht der Cultural Studies Musical talent from the perspective of cultural studies [*]

Jan Hemming
Ein wichtiger Bestandteil der Cultural Studies ist die Identifikation und die Kritik essentialistischer Begriffe, zu denen auch der Terminus Begabung gezählt werden muss. Zu diesem Zweck wird eine Analyse des Gebrauchs dieses Begriffes in wissenschaftlichen, aber auch in alltäglichen Zusammenhängen vorgenommen. Diese Erschließung des „Diskursfeldes" ermöglicht zunächst einen alternativen Blick auf die Geschichte der Begabungsforschung. Daraus wird ersichtlich, dass die traditionelle Musikauffassung und der traditionelle Begabungsbegriff sich gegenseitig in ihrem kulturellen Wertesystem bestätigen. So wie die westlich-abendländische, tonale Musik als natürlich empfunden wird, erscheint auch Begabung als naturgegebene Anlage für eben diese Musik. In einer kulturwissenschaftlichen Argumentation, die vereinfacht als konsequente Anwendung der Frage „Begabung - wozu eigentlich?" charakterisiert werden kann, wird der Begriff dann aus seinem traditionellen Kontext herausgelöst. Der resultierende semantisch entleerte Begriff von Begabung ist der Ausgangspunkt für eine mögliche Neufassung des Begriffs, um diesen beispielsweise auf den Bereich der populären Musik übertragen zu können.

Freie Forschungsberichte

Musikpräferenzen und aggressive Einstellungen in der vierten Grundschulklasse Music preferences and aggressive attitudes in the fourth grade of primary school [*]

Gunter Kreutz, Gabriele Litta
Siebenundfünfzig Grundschüler und -schülerinnen im Alter von 9 bis 10 Jahren nahmen an einer Untersuchung mit einem schriftlichen Fragebogen, einem klingenden Fragebogen und dem Erfassungsbogen für aggressives Verhalten (EAS, Petermann & Petermann 2000) teil. Geschlechtsunterschiede bei den Aggressionswerten waren deutlich. Männliche wiesen durchschnittlich etwa doppelt so hohe Werte auf im Vergleich zu weiblichen Schülern. Geringe Aggressivität stand bei den Jungen nach einer Regressionsanalyse in Beziehung zur Vorliebe für einige Musikstile (Jazz, klassische Moderne, Techno). Eine kleine Gruppe von übermäßig aggressiv eingestellten Kindern ist zugleich durch eine hoch signifikante Bevorzugung schneller (populärer) Musik charakterisiert. Zusammenhänge zwischen musikalischen Aktivitäten und aggressiven Einstellungen wurden lediglich dahin gehend konstatiert, dass Kinder, die regelmäßig zu Musik tanzen, signifikant geringere Werte im Fragebogen für aggressives Verhalten im Vergleich zu Schülern zeigten, die nicht regelmäßig zu Musik tanzen.

Musik nach Maß. Situative und personenspezifische Unterschiede bei der Selektion von Musik Music made to measure. Situational and personal differences in the selection of music [*]

Peter Vorderer, Holger Schramm
Trotz des hohen Stellenwerts von Musik im Alltag der Menschen und der Bedeutung von individuellen Unterschieden beim Auswählen von Musik ist die Forschung zum Thema ,Musikselektion' noch vergleichsweise defizitär (Sloboda & O' Neill 2001) . Die in diesem Artikel dargestellte explorative Untersuchung ist Teil eines DFG-Projekts, das sich diesem Thema annimmt. 150 Personen wurden zufällig ausgewählt und über das Telefon nach ihren Musikpräferenzen in acht verschiedenen Situationen befragt. Es handelte sich hierbei um vier Stimmungs- und vier Aktivitätenkontexte. Die Ergebnisse liefern Hinweise über Zusammenhänge zwischen situativen Musikpräferenzen (entsprechend des Iso- oder Kompensationsprinzips) und personenspezifischen Faktoren. Insbesondere bei Trauer/Melancholie und Wut/Ärger gehen die befragten Personen unterschiedlich mit Musik um . Diese Unterschiede lassen sich auf Personenmerkmale wie Alter, Geschlecht, Bildung und Musikbezug zurückführen. Die Ergebnisse bilden vermutete situative Musikpräferenzen ab und sind Grundlage für die Entwicklung von Hypothesen, die reale Musikselektionen in spezifischen Situationskontexten postulieren und die in nachfolgenden Experimenten überprüft werden könnten.

Von der „Physik der Klangfarben" zur „Psychologie der Klangfarben" From the "physics of timbres" to the "psychology of timbres" [*]

Christoph Reuter
Sowohl in der Musikpsychologie als auch in der musikalischen Akustik und in der Musikpraxis haben Begriffe wie „Klangfarbe" oder „Verschmelzung" eine vielschichtige und manchmal auch missverständliche Bedeutung. Dabei hat sich das seit ca. 1929 gängige Formantprinzip sowohl für den Akustiker als auch für den Musikpsychologen als ein brauchbares Werkzeug zur Beschreibung von Instrumentenklangfarben und deren Wahrnehmung und Unterscheidbarkeit erwiesen. Auf dieser Grundlage wurde in den letzten Jahren das hier vorgestellte Prinzip der partiellen Verdeckung und Verschmelzung aufgebaut, mit dessen Hilfe sich Phänomene wie Spalt- und Verschmelzungsklang eindeutig erklären und auf die spektralen Eigenschaften der beteiligten Klänge zurückführen lassen. Darüber hinaus lassen sich mit diesem Modell Voraussagen über die Homogenität der Klangfarbe zusammen spielender Instrumente treffen. Diese Voraussagen lassen sich nicht nur mit akustischen und wahrnehmungspsychologischen Methoden bestätigen, sondern stimmen auch mit den tradierten Regeln aus mehr als 75 Instrumentationslehren und ähnlichen Traktaten der letzten Jahrhunderte überein.

Die Beeinflussbarkeit emotionalen Erlebens von Musik durch olfaktorische Reize The ability to influence the emotional experience of music through olfactory stimuli [*]

Günther Rötter, Uwe Ligges
69 Probanden hörten in Einzelversuchen einen Ausschnitt aus der Komposition „Ungarischer Marsch" von Hector Berlioz. Dabei wurden die phasischen Hautreaktionen SRR gemessen. Neben einer Kontrollgruppe wurden die übrigen Probanden drei unterschiedlichen Düften ausgesetzt. Die beiden angenehmen Düfte führen zu den geringsten Hautreaktionen, die Kontrollgruppe und ein aversiver Duft führen zu starken Reaktionen. Die Hautwiderstandsänderungen reagieren auf Strukturmerkmale der Musik, es besteht aber kein Zusammenhang zwischen den physiologischen Daten und der Beurteilung des Stückes durch die Probanden.

Nahaufnahme

Duft und Klang: Die immateriellen Installationen von Katja Kölle Scent and sound: The immaterial installations of Katja Kölle [*]

Helga de la Motte-Haber

Spot

musikabbau01

Cornelius Pöpel

Rezensionen
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Philipp Brunner: Profane Leidenschaft. Explorative Studie zur Soziologie des Sammelns am Beispiel von Plattensammlern in Wien

Gunter Kreutz

Claudia Bullerjahn: Grundlagen der Wirkung von Filmmusik

Gunter Kreutz

Claudia Bullerjahn & Hans-Joachim Erwe (Hrsg.): Das Populäre in der Musik des 20. Jahrhunderts. Wesenszüge und Erscheinungsformen

Günter Kleinen

Annette Cramer: Grundlagen und Möglichkeiten der Musik- und Klangtherapie als Behandlungsmaßnahme bei Tinnitus

Eva Mittmann

Peter Desain & Luke Windsor (Eds.): Rhythm perception and production

Reinhard Kopiez

Jürgen Flender: Didaktisches Audio-Design. Musik als instruktionales Gestaltungsmittel in hypermedial basierten Lehr-Lern-Prozessen

Gunter Kreutz

Wilfried Gruhn (Hrsg.): Aspekte musikpädagogischer Forschung

Kathrin Hahn

David J.Hargreaves, Dorothy Miell & Raymond A.R. MacDonald (Eds.): Musical Identities

Renate Müller

Milton D. Heifetz: Sexuality, Curiosity, Fear, and the Arts. Biology of Aesthetics

Gunter Kreutz

Holger Höge: Schriftliche Arbeiten im Studium. Ein Leitfaden zur Abfassung wissenschaftlicher Texte

Lorenz Luyken

Diemut Anna Köhler: Gehörbildung für Absoluthörer. Musikpsychologische Grundlagen und Lehrkonzept

Wolfgang Auhagen

Katharina Müller & Gisa Aschersleben (Hrsg.): Rhythmus. Ein interdisziplinäres Handbuch

Jörg Langner

Renate Müller, Patrick Glogner, Stefanie Rhein & Jens Heim (Hrsg.): Wozu Jugendliche Musik und Medien gebrauchen. Jugendliche Identität und musikalische und mediale Geschmacksbildung

Sabine Vogt

Richard Parncutt & Gary McPherson (Eds.): Tue Science and Psychology of Music Performance: Creative Strategies for Teaching and Learning

Gunter Kreutz

Ulrich Seidler-Brandler: Die Verarbeitung tonaler Information im Arbeitsgedächtnis

Gunter Kreutz

Bob Snyder: Music and Memory: An Introduction

Ulrich Seidler-Brandler

Manfred Spitzer: Musik im Kopf. Hören, Musizieren, Verstehen und Erleben im neuronalen Netzwerk

Wilfried Gruhn

Stefanie Stadler Eimer: Kinder singen Lieder: Über den Prozess der Kultivierung des vokalen Ausdrucks

Günter Kleinen

Nikola Vatterodt: Boygroups und ihre Fans. Annäherung an ein Popphänomen der neunziger Jahre

Sabine Vogt

Tagungsberichte
Die Beiträge in dieser Rubrik liegen in einem Sammel-PDF vor.

Musik im Alltag - Sozialpsychologie der Musik. Jahrestagung der DGM in Hildesheim vom 21. bis 23. September 2001

Marco Kobbenbring

Stimme und Singen - Psychologische Aspekte. Jahrestagung der DGM in Magdeburg vom 27. bis 29. September 2002

Kathrin Hahn & Andreas C. Lehmann

Musikalische Begabung in der Lebenszeitperspektive. Internationale Tagung anlässlich des 10jährigen Bestehens des Instituts für Begabungsforschung und Begabtenförderung (IBFF) an der Universität Paderborn vom 18. bis 19. Oktober 2002

Daina Langner