Jahrbuch-Archiv: Band 7 (1990)

Band 7: Musikpsychologie – Empirische Forschungen - Ästhetische Experimente
Band 7 wurde herausgegeben von Klaus-Ernst Behne, Günter Kleinen und Helga de la Motte-Haber.
Der gedruckte Band ist 1990 im Hogrefe-Verlag erschienen. Die Nutzungsrechte wurden durch die DGM zurückerworben und die Beiträge 2020 als OpenAccess-Publikation zur kostenlosen, freien Verwendung unter der CC-BY 4.0 Lizenz an dieser Stelle neu veröffentlicht.
Alle Beiträge liegen als durchsuchbares PDF vor, sind mit einer DOI versehen und in der PubPsych/PSYNDEX-Datenbank recherchierbar. Beitragstitel und Zusammenfassungen werden konsequent in deutscher und englischer Sprache angegeben.
Mit [*] gekennzeichnete Titel und Zusammenfassungen wurden aus der Ursprungssprache maschinell mit www.deepl.com übersetzt.
Forschungsberichte
Bewußtseinswirkungen und Heilsbotschaften der Musik. Eine Bilderauswertung unter kommunikationskritischen Gesichtspunkten Consciousness effects and healing messages of music. An evaluation of the pictures under communication-critical aspects [*]
Die Inhaltsanalyse von Bildern, die von Kindern im Alter von 6 bis 16 Jahren zum Thema "Musik kommuniziert" gemalt wurden, eröffnet einen tiefen Einblick in ihre musikalischen Lebenswelten. Die Bilder werden teilweise von den Schülerinnen und Schülern kommentiert. Dies ermöglicht es dem Autor, authentische Interpretationen zu geben. Texte und Bilder vermitteln eine subjektive Sicht der Dinge. Der Musikmarkt dominiert die musikalischen Vorlieben der Schülerinnen und Schüler. Die häufigste Situation ist eine Popgruppe auf der Bühne. Das Spielen von Musikinstrumenten kommt häufiger vor als das Hören von Musik über Kopfhörer oder andere technische Medien. Und der Besuch eines Live-Konzerts hat zudem eine sehr hohe Attraktivität. Aber Musik, insbesondere Musik, die durch technische Medien übertragen wird, wird als Mittel erlebt, um dem grauen Alltag zu entfliehen und ein warmes menschliches Gefühl zu vermitteln. Mit einer Stichprobe von 107 5 Bildern aus einem größeren Korpus wird es möglich, den Zusammenhang zwischen soziographischen Variablen wie Alter und Geschlecht und den dargestellten Kommunikationssituationen zu berechnen. Mit zunehmendem Alter wechseln die typischen Situationen von verschiedenen Formen der musikalischen Darbietung zu Träumen und Reflexionen, die durch die modernen Musikmedien erzeugt werden. Vor einem theoretischen Hintergrund kann dieser Wandel als "kulturelle Mutation" (Kurt Blaukopf) bezeichnet werden, die durch die technischen Medien hervorgerufen wird und zu einem reduzierten Realitätssinn führt. Mit den technischen Medien allein zu sein, bedeutet dennoch eine soziale Situation, und Musikkonsum kann als eine Form der Kommunikation charakterisiert werden. Musik ist der Traum von der Liebe und von einem besseren Leben. Auch wenn Musik durch technische Geräte produziert und präsentiert wird, wird sie als ein Symbol der Natur wahrgenommen, das die Erfahrung einer sicheren und gesunden Welt vermitteln kann. Aspekte einer reduzierten Kommunikation, die Ideologie der Natur und die Illusion, die Welt humaner zu machen, werden kritisiert. [*]
Was ist prototypische Rockmusik? Zum Zusammenhang zwischen Prototypikalität, Komplexität und ästhetischem Urteil What is prototypical rock music? On the connection between prototypicity, complexity and aesthetic judgement [*]
Diese Untersuchung befasst sich mit dem Einfluss von Komplexität und Prototypizität der Musik auf das ästhetisch-evaluative Urteil. 37 Musikstücke wurden 74 Fächern im College-Alter in einem ausgewogenen, unvollständigen Blockdesign vorgespielt. Die Stücke variierten auf einem Jazz-Rock-Kontinuum. Die Ergebnisse zeigten keinen Zusammenhang zwischen den Einschätzungen der Prototypizität in Bezug auf Jazz und Rockmusik und den wertenden Urteilen, wohingegen ein negativer Zusammenhang zwischen Komplexität bzw. Unbekanntheit und den wertenden Urteilen gefunden wurde. Eine weitere Studie untersuchte, welche Merkmale für die Rockmusik prototypisch sind. In einer Q-Sortierung sortierten 38 Probanden 100 Merkmale. Die Ergebnisse deuten auf eine vorherrschende Verwendung von Attributen hin, die positiv erlebte Aktivierung beschreiben. Eine abschließende Diskussion schlägt vor, Prototypizität und Komplexität als Determinanten eines zweistufigen Evaluationsprozesses zu betrachten. Dieses Forschungsprojekt wurde teilweise von der Universität Bielefeld finanziert. [*]
Einige Aspekte der Wirkung von Gongs. Lautstärkeänderung und Gefühlswahrnehmung Some aspects of the effect of gongs. Volume change and emotional perception [*]
In den letzten Jahren haben Therapeuten damit begonnen, die Möglichkeiten der vielen verschiedenen Gongs und Tamtams zu erforschen, die von den verschiedenen Kulturen Asiens entwickelt wurden. Es können sowohl Trancezustände als auch verschiedene emotionale Reaktionen erzeugt werden. Bisher gibt es jedoch noch keine empirischen Arbeiten auf diesem Gebiet. Deshalb wurde eine erste Studie mit einem Tarn-Tarn durchgeführt, um die emotionalen Auswirkungen von Lautheit zu messen. Dazu wurde ein Fragebogen mit neun Skalen verwendet: Freude, Traurigkeit, Aggression, Gleichgewicht, Lethargie, Stimulation, Drama, Angst, Transzendenz. Die Antworten stiegen jedoch nicht einfach linear mit der Lautheit an. Lauteres Spielen führte zu einer Polarisierung der Antworten in der Gruppe der Zuhörer, insbesondere bei den Skalen Angst und Aggression. Um dies zu erklären, wird die Hypothese der persönlichen Disposition vorgeschlagen. Es werden weitere Arbeiten durchgeführt, um dies zu beweisen. [*]
Situationsbezogene Präferenzen und erwünschte Wirkungen von Musik Situation-related preferences and desired effects of music [*]
Die Studie, über die in diesem Beitrag berichtet wird, ist Teil eines größeren Projekts, das sich mit den folgenden Fragen befasst: 1. Wie unterscheiden sich musikalische Vorlieben in Situationen unterschiedlicher Stimmung? 2. Welche Funktionen hat Musik in emotional unterschiedlichen Situationen und welche musikalischen Wirkungen werden vom Zuhörer gewünscht? 3. Gibt es Korrelationen zwischen musikalischen Vorlieben und Funktionen in bestimmten Situationen einerseits und Persönlichkeitsvariablen andererseits? In dieser Pilotstudie wurde 46 Probanden eine Beschreibung von vier emotional unterschiedlichen Situationen vorgelegt. Präferenzen und Persönlichkeitsvariablen wurden mittels Papier- und Bleistifttests gemessen. Die Ergebnisse deuten darauf hin: 1. die Präferenzen sind nicht stabil, sondern variieren je nach Art der Situation; 2. es gibt verschiedene Muster von Präferenzen innerhalb einer bestimmten Situation, die mit verschiedenen Funktionen der Musik verbunden sind; 3. offenbar gibt es komplexe Muster von Korrelationen zwischen Persönlichkeitsvariablen und musikalischen Präferenzen in verschiedenen Situationen. [*]
Zur kommunikativen Wirkung von Singstimmen The communicative effect of singing voices [*]
Unsere Erfahrungen mit dem Polaritätsprofil führen zu dem Ergebnis, daß es in differenzierter Weise Kommunikationsaspekte, wie sie sich beim Hören von Gesangsdarbietungen ergeben, erfaßt . Das Profil ermöglicht Aussagen, wie verschiedene Musikstücke wirken, Rückschlüsse auf den Interpreten und auf dessen kommunikative Prägnanz und den Nachweis von unterschiedlichen Beurteiler Gruppen. Bei der Beurteilung der Gesangsstücke ist darauf zu achten, daß die Beurteiler entsprechende verbale Fähigkeiten aufweisen müssen, um diese Methode zu handhaben. Versuche mit den o. a. Bildzuordnungen, deren Veröffentlichung wir planen, haben im Hinblick auf Durchführbarkeit und Zufriedenheit sowie Interpretationstiefe gute und vergleichbar interessante Ergebnisse erbracht.
Neurophysiologische Verlaufsuntersuchungen zum Musiksinn unter dem Einfluß psychiatrischer Krankheiten Neurophysiological studies of the sense of music under the influence of psychiatric diseases [*]
Die Studie zeigt, dass psychiatrische Erkrankungen einen Zusammenbruch des Ausdrucks und der Rezeption von Musik implizieren. [*]
Musikalische Rezeptionsstrategien und Differenziertheit des musikalischen Urteils in verschiedenen sozialen Situationen Musical reception strategies and differentiation of musical judgement in different social situations [*]
Ziel dieser Forschung ist es, die Beziehung zwischen sozialen Situationen und individuellen Strategien der Musikbeurteilung und -wahrnehmung zu untersuchen. Ausgehend von einer Theorie des sozialen Gebrauchs von Musik werden vier mehr oder weniger restriktive Situationen der Musikwertschätzung und -wahrnehmung durch verschiedene Arten von offenen Fragen konstruiert. Sie unterscheiden sich im Hinblick darauf, ob den Probanden die Musik, um die es hier geht, vertraut ist, ob sie gehört wird und ob die Probanden explizit dazu ermutigt werden, gründlich wahrzunehmen und zu verbalisieren. Aussagen zur Musik in den vier Situationen werden anhand von fünf Wahrnehmungsstrategien verglichen: Orientierung an primären Komponenten (Melodie, Harmonie, Rhythmus, Struktur), sekundäre Komponenten (Instrumentation, Gesang, Klang, Genre/Stil, Spezialeffekte), Inhalt, emotionale Einschätzung, Verwendung von Musik. Die Daten der Schülerinnen und Schüler der Klassen vier bis zehn werden mittels t-Test analysiert. Die Ergebnisse dieser Studie sind: Je weniger restriktiv eine Situation ist, desto größer ist die Vielfalt der angewandten Wahrnehmungsstrategien und desto mehr stimuliert sie die Wahrnehmung. Die Auswahl der Wahrnehmungsstrategien ist je nach Situation unterschiedlich; d. h. in verschiedenen Situationen dominieren unterschiedliche Wahrnehmungsstrategien. [*]
Der Einfluß grafischer vs. verbal-analytischer kognitiver Strukturierung beim Erlernen eines Musikstücks The influence of graphical vs. verbal-analytical cognitive structuring when learning a piece of music [*]
In einem Experiment wurden folgende Lernmethoden verglichen: Gruppe "A" lernte ein Musikstück nur mental auswendig unter der Bedingung einer gegebenen verbalen Analyse und Gruppe "B" lernte mental mit Hilfe einer farbig-grafischen Analyse. Die Ergebnisse zeigten, dass die Gruppe "B" mit der nonverbalen, farbig-grafischen Analyse die größere Leistung erreichte. Wir kamen zu dem Schluss, dass die traditionelle Art der Analyse das Auswendiglernen eines Musikstücks nicht wirksam unterstützt. Dies könnte ein Vorschlag für die Musiktheorie sein, andere Arten der Analyse zu entwickeln, die besser für das Lernen von Musikern angewandt werden könnten. [*]
Beethovens Metronomisierungsproblem Beethoven's metronomization problem [*]
Untersuchungsgegenstand ist die Schwierigkeit der Komponisten, ihre Werke zu metronomisieren, sowie die der Interpreten, dem "Gedanken" von Tempo und Komposition nachzuspüren. Den experimentellen Zugang ermöglichen Wittes (1960, 1966) Bezugssystemtheorie und Wever und Zeners (1928) Methode des absoluten Urteils. In Experiment A spielen Musiker ein Allegro am Klavier in verschiedenen Tempi und beurteilen deren Eignung zur Interpretation. In Experiment B hören "Laien" und "Musiker" einen Ausschnitt des nämlichen Allegro in Kombinationen verschiedener Tempi und Interpretationsweisen. Die Darbietungen werden hinsichtlich der Tempi absolut beurteilt. Es gibt bisher keine Methode des Tempoübens. Die Ergebnisse besagen, daß das musikalische Tempo auch nicht inzidentell gelernt wird. Die Tempobezugssyteme der Interpreten stimmen mangelhaft überein und sind auch Funktion der technischen Beherrschung des Instruments, die Tempowahrnehmung wird im Lauf musikalischer Ausbildung nicht differenzierter, das Tempogedächtnis ist fragwürdig. Weitere Ergebnisse sind, daß die Tempowahrnehmung auch durch die Interpretationsweise beeinflußt wird, also komplexer als gemeinhin angenommen ist, und daß, da Systemweiten existieren und verschiedene Bezugssysteme "gelernt" werden, das "ideale Tempo" einer Komposition ein "guter Vertreter" geeigneter Tempi (sensu Zimmer 1 980) ist, der sich, funktional von unscheinbaren Polen abhängig, einstellt. Das Problem der Metronomisierung wird im Licht der Ergebnisse und der Bezugssystemtheorie gesehen. Vorgeschlagen wird eine Methode des Metronomisierens und des Tempoübens.