Die Praxis der Musikrezeption im Rahmen klassischer Konzerte ist von restriktiven Verhaltenskonventionen geprägt. Aktuelle kognitionswissenschaftliche und philosophische Ansätze, welche Musik-Erleben als verkörpert oder als über mehrere Individuen verteilt konzeptualisieren, scheinen daher für die Erklärung des Musik-Erlebens in klassischen Konzerten weniger geeignet. Vor diesem Hintergrund untersuchte die vorliegende explorative Studie das Auftreten koordinierter Körperbewegungen als nonverbale Synchronie im Rahmen eines klassischen Konzertes und den Zusammenhang zwischen den Synchronien innerhalb des Publikums und Aspekten des subjektiven Musik-Erlebens. Im Rahmen eines Forschungskonzerts wurden 22 Teilnehmern verschiedene Kammermusikwerke präsentiert, sowie dabei Selbstauskünfte zu Aspekten des Musik-Erlebens erhoben und Körperbewegungen mit drei stationären Kameras erfasst. Non-verbale Synchronie, als Indikator für koordinierte Körperbewegungen, wurde über die Korrelation von Bewegungsenergie-Zeitreihen ermittelt. Die Bewegungsenergie wurde als Anzahl der sich ändernden Pixel aufeinanderfolgender Frames operationalisiert. Es zeigte sich stark ausgeprägte Synchronie zwischen den Musikern sowie eine Synchronie kleiner bis mittlerer Effektstärke innerhalb des Publikums. Zwischen den Musikern und dem Publikum konnte hingegen keine Synchronie festgestellt werden. In Bezug auf das Verhältnis von Synchronie innerhalb des Publikums und dem subjektiven Musik-Erleben zeigten sich signifikante negative Zusammenhänge zwischen dem Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern, dem Grad der Absorption und der Synchronisierung innerhalb des Publikums. Dies lässt sich dahingehend interpretieren, dass bei einem stärkeren Fokus der Aufmerksamkeit und des Erlebens auf das Bühnengeschehen die Synchronisierung mit den anderen Mitgliedern des Publikums abnimmt. Die Ergebnisse dieser Studie stehen im Einklang mit Theorien zum verkörperten Musik-Erleben, sie stützen jedoch Ansätze nicht, die darunter die Nachahmung der klangproduzierenden Bewegungen der Musiker verstehen. Ebenso stehen die Befunde nicht in Einklang mit Ansätzen zum verteilten Musik-Erleben. Abschließend werden die Ergebnisse hinsichtlich ihrer musikpraktischen Relevanz bezüglich einer Diversifizierung klassischer Konzerte diskutiert.
Bodily movements and communication are not part of the accepted behavioral practice in classical concerts and therefore are avoided or suppressed by audience members. In this regard, recent approaches in cognitive science and aesthetics that conceptualize musical experience as embodied or distributed among several agents do not seem to be appropriate for the description of musical experience within classical concerts. Against this background we investigated whether coordinated bodily movements do occur in classical concerts within the audience and between audience members and musicians. Furthermore, we explored potential associations between non-verbal synchronies and various aspects of musical experience. We conducted a research concert with diverse pieces of chamber music being presented to 22 participants. After each piece, the participants filled out a questionnaire covering several aspects of their concert experience (liking of the piece and the interpretation, familiarity, feelings of connectedness to the musicians and co-listeners, absorption, impulse to move). Stage and audience were recorded with three stationary video-cameras. As an indicator for coordinated bodily movements, we measured nonverbal synchrony as correlations of motion energy time series. Motion energy was operationalized as amount of pixel-changes in consecutive frames of the video-signal. This method allowed us to investigate non-verbal synchronies among the musicians, within the audience and between audience and musicians. We found strong synchronization between musicians and small to medium synchronization within the audience. No synchronization was found between musicians and the audience. With regard to the relation of non-verbal synchrony and aspects of musical-experience, the association of individual synchronization with absorption and the feeling of being connected to the musicians was significantly negative. Consequently, a focus on the music performance might be interpreted as inhibiting the synchronization with co-listeners. Our findings are consistent with theories of embodied musical experience. However, they do not bolster varieties of embodied simulation theory, which assume a mimesis of sound producing actions. Furthermore, our results do not support the idea of musical experience being distributed among several agents when jointly listening to music in concert. This explorative study offers ways to empirically investigate embodied and distributed approaches to musical experience in a live concert setting. In the light of recent attempts to diversify classical concert experience, also by delivering potentials of interaction and bodily movement, it is also of relevance for musical practice.
Das klassische Konzert ist mit einer spezifischen Form der Musikrezeption verbunden, zu der vergleichsweise restriktive Verhaltenskonventionen gehören. Während der Aufführung sind verbale Äußerungen und körperliche Bewegungen auf Seiten des Publikums sowie die Kommunikation zwischen den Publikumsmitgliedern unerwünscht und werden von diesen weitgehend unterdrückt. Lediglich jeweils nach einem Stück bietet sich für die Publikumsmitglieder die Möglichkeit für Beifalls- oder gegebenenfalls auch Missfallensbekundungen (vgl.
Dem Bild eines passiven Rezipienten stehen jedoch diejenigen Ansätze innerhalb der Psychologie, der Philosophie und den Kognitionswissenschaften gegenüber, die Musik-Erleben oder auch ästhetische Erfahrungen generell als einen Prozess des aktiven Erschließens konzeptualisieren, der körperliche Aspekte miteinbezieht. Innerhalb der philosophischen Ästhetik wird der Einbezug des Körpers im Zuge ästhetischer Erfahrungen beispielsweise im Rahmen von Nachvollzugstheorien (
Die in jüngerer Zeit vorangetriebenen kognitionswissenschaftlichen Überlegungen betrachten jedoch nicht nur die Relevanz des eigenen Körpers für kognitive Prozesse, sondern auch die der Umwelt einschließlich der darin vorkommenden Interaktionspartner. Hiervon ausgehend lassen sich kognitive Prozesse und affektives Erleben in Gruppen als über mehrere Individuen verteilt konzeptualisieren (
Für eine empirische Untersuchung der Zusammenhänge zwischen Konzertform und Musik-Erleben ist die Frage, inwieweit Musik-Erleben im Konzert als verkörpert und inwieweit es als verteilt aufgefasst werden kann, von grundlegender Bedeutung. Entsprechend ist zu klären, auf welche Weise Aspekte eines körperlich verfassten und gemeinschaftlichen Musik-Erlebens empirisch zugänglich sind. Die vorliegende explorative Studie widmet sich dieser Fragestellung, indem sie das Auftreten koordinierter Körperbewegungen innerhalb des Publikums im Verhältnis zu Aspekten des subjektiven Musik-Erlebens im klassischen Konzert untersucht.
Mit nonverbaler Synchronie, das heißt der Synchronisierung nonverbalen Verhaltens, wird die Angleichung von Körperbewegungen, Mimik, Gestik oder Physiologie im Zuge zwischenmenschlicher Interaktionen bezeichnet. Die Forschung widmet sich hierbei überwiegend dyadischen Interaktionen, beispielsweise zwischen Mutter und Kind oder Patient und Therapeut, und findet häufig einen Zusammenhang zwischen dem Ausmaß von Synchronie und positiven Aspekten wie Verbundenheitsgefühlen und Einigkeit in der jeweiligen sozialen Interaktion (vgl.
Der Idee, für die vorliegende Studie eine Methode zur Messung nonverbaler Synchronie in dyadischen Interaktionen zu verwenden, liegt die Frage zugrunde, zwischen welchen Akteuren eines klassischen Konzerts Synchronisationsprozesse stattfinden und wie sich diese messen lassen. Synchronisationsphänomene bezüglich der Körperbewegungen sind in drei Konstellationen möglich: (1) zwischen den ausführenden Musikern, (2) zwischen den Mitgliedern des Publikums und den ausführenden Musikern und (3) innerhalb des Publikums.
(1) Zwischen den Musikern lassen sich beim gemeinsamen Musizieren ausgeprägte Synchronisierungsprozesse erwarten (z.
(2) Eine weitere Interaktion, die sich für die Untersuchung von Synchronisierungsprozessen eignet, besteht zwischen dem Publikum und dem Bühnengeschehen, das heißt zwischen den Bewegungen des Publikums und den Bewegungen der Musiker entweder direkt oder vermittelt über den musikalischen Rhythmus als gemeinsame Bezugsgröße. Nonverbale Synchronien zwischen Publikumsmitgliedern und den Musikern sind vor dem Hintergrund aktueller Theorien zur verkörperten Simulation (
(3) Schließlich ist es auch möglich, dass Synchronisierungsprozesse innerhalb des Publikums auftreten. Dass die Verkörperung des Musik-Erlebens auch durch tatsächlich ausgeführte Körperbewegungen zum Ausdruck kommt, zeigt sich in der Rezeptionspraxis beispielsweise bei Heavy Metal-Konzerten, elektronischer Tanzmusik und in nicht-europäischen Kontexten (
Hinausgehend über die Betrachtung des Zusammenhangs zwischen nonverbaler Synchronie und Aspekten des Musik-Erlebens lässt sich nun fragen, ob die Synchronisierung nonverbalen Verhaltens, etwa innerhalb des Publikums, zu einer bestimmten Ausprägung von Erlebensaspekten führt, oder ob diese umgekehrt als Begleiterscheinung des Musik-Erlebens aufzufassen ist. Im gegebenen Zusammenhang erscheint es zunächst sinnvoll, Synchronie als ein Phänomen zu betrachten, das es zu erklären gilt. Demgegenüber stehen jedoch zahlreiche Studien, die zeigen, dass gemeinsame und koordinierte Bewegungen oder auch Handlungen zu einer größeren Verbundenheit, Kooperation und prosozialem Verhalten führen (
Im Rahmen dieser Studie wurden zwei grundlegende Fragestellungen untersucht:
Treten im Rahmen eines klassischen Konzertes Synchronisierungsprozesse in Bezug auf Körperbewegung zwischen den Musikern, innerhalb des Publikums und zwischen Musikern und Publikum auf?
Stehen diese gegebenenfalls auftretenden Synchronisierungsprozesse mit Aspekten des individuellen Musik-Erlebens in Zusammenhang?
Während die Untersuchung der Synchronisierung zwischen den Musikern insbesondere der Methodenevaluation diente, lag das Hauptaugenmerk auf der Untersuchung der Körperbewegungen und möglichen Synchronisierungsprozessen innerhalb des Publikums. In Bezug auf einen Zusammenhang zwischen der Synchronisierung innerhalb des Publikums und dem individuellen Musik-Erleben wurden die folgenden Vorannahmen formuliert:
Eine höhere individuelle Synchronisierung mit den anderen Mitgliedern des Publikums steht in Zusammenhang mit
einem stärker ausgeprägten Bewegungsbedürfnis;
einem stärker ausgeprägten Gefühl der Verbundenheit mit den anderen Publikumsmitgliedern;
einem stärker ausgeprägten Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern;
einer positiveren Bewertung der Stücke und der Interpretation.
Die Datenerhebung wurde im Rahmen eines Forschungskonzertes durchgeführt. Dieses Konzert wurde per E-Mail beworben und die verfügbaren Plätze wurden nach Reihenfolge der Rückmeldungen zugeteilt. Aufgrund der für die videobasierte Bewegungsanalyse bestehende Notwendigkeit die Teilnehmer einzeln, möglichst ohne Überlappungsbereich zu erfassen, wurde darauf geachtet, nicht mehr als etwa die Hälfte der 46 zur Verfügung stehenden Sitzplätze zu belegen. An dem Forschungskonzert nahmen schließlich 25 Zuhörer teil, von denen jedoch drei von der Analyse ausgeschlossen werden mussten, da sich für sie, aufgrund der eingenommenen Sitzpositionen, keine eindeutigen
Im Rahmen einer Vorbefragung wurden soziodemografische Daten, Fragen zur musikalischen Expertise (Anzahl der Jahre, in denen der Teilnehmer Instrumental- oder Gesangsunterricht erhalten hat, und Grad der Selbstbeschreibung als Musiker) und zur Anzahl und Art der in den letzten 12 Monaten besuchten Konzerte erhoben. Außerdem markierten die Teilnehmer den von ihnen eingenommenen Sitzplatz auf einem Sitzplan.
Nach jedem Stück wurden mit einem Fragebogen zum Musik-Erleben über drei Items Gefallensurteile bezüglich des Musikstücks (Gefallen (Stück)) und dessen Interpretation (Gefallen (Interpretation)) sowie die Vertrautheit mit der soeben gehörten Art von Musik (Vertrautheit) erhoben (7-stufige Ratingskala mit verbalisierten Polen und Skalenmittelpunkt: gar nicht; teilweise; sehr). Über vier weitere Items wurden spezifische Aspekte des Musik-Erlebens abgefragt, für die ein Zusammenhang mit nonverbaler Synchronie vermutet wurde (7-stufige Ratingskala zur Bewertung von Aussagen mit verbalisierten Polen und Skalenmittelpunkt: trifft nicht zu; teils-teils; trifft zu): das individuelle Bedürfnis sich zu bewegen (Bewegungsbedürfnis), das Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern (Verbindung zu Musikern) sowie mit den anderen Publikumsmitgliedern (Verbindung zum Publikum) und die Absorption (Absorption). Ein zumindest vereinzelt auftretendes Bewegungsbedürfnis auf Seiten von Konzertbesuchern konnte im Rahmen qualitativer Vorstudien auch bei Publikumsmitgliedern klassischer Konzerte identifiziert werden. Die den nonverbalen Synchronien zugrunde liegenden Körperbewegungen könnten also durch ein entsprechendes Bewegungsbedürfnis motiviert sein, auch wenn in klassischen Konzerten diesem Bedürfnis üblicherweise nicht bewusst nachgegangen wird. Verbundenheitsgefühle und nonverbale Synchronie werden im Rahmen dyadischer Interaktionen als in einem positiven Zusammenhang stehend betrachtet (
Letztlich adressieren die Items unterschiedliche Fragestellungen und sind nicht als Faktoren eines latenten Konstrukts konzipiert. Die vollständigen Fragebögen zur Vorbefragung und zum Musik-Erleben befinden sich im Anhang.
Das eingesetzte Verfahren für die Analyse nonverbaler Synchronie als Ausdruck der Bewegungskoordination besteht aus zwei Analyseschritten, die unabhängig voneinander zu betrachten sind (
Um die Bewegung der am Konzert beteiligten Akteure zu erfassen, wurden die Musiker und das Publikum mit drei stationären und fernsteuerbaren PTZ-Kameras mit 25 Halbbildern pro Sekunde in HD (1920 x 1080 Pixel) aufgezeichnet (Musiker: Panasonic AW-HE60; Publikum: 2 x Panasonic AW-HE130). Die Kameras wurden dabei mit einem zentralen Taktgenerator (Evertz 5601MSC) bezogen auf die koordinierte Weltzeit (UTC) synchronisiert. Die Kameraposition und die Beleuchtungssituation blieben während der Aufzeichnung konstant, lediglich der Bildausschnitt der auf die Musiker gerichteten Kamera wurde zwischen den Stücken an die wechselnde Besetzung und Aufstellung angepasst. Die Kameras zur Erfassung des Publikums und der Musiker waren an der Decke montiert und von den Besuchern des Konzertes und den Musikern kaum wahrnehmbar.
An dem so entstandenen Videomaterial wurde eine Analyse der Bewegungsenergie durchgeführt (
Für die Erfassung der Bewegungsenergie wurde die von Ramseyer entwickelte und frei verfügbare Applikation MEA (Version 3.06) eingesetzt (abrufbar unter:
Mithilfe der MEA-Applikation wurden geeignete ROIs definiert und Zeitreihen der Bewegungsenergie erstellt. Die ROI für die Erstellung der Bewegungsenergie-Zeitreihen für die Musiker wurden so gewählt, dass der überlappungsfrei erfassbare Bewegungsradius abgedeckt wurde. Es wurde also darauf geachtet, dass jede ROI nur eine Person oder einen Körperbereich erfasst. Wenn möglich wurden für die Musiker zwei ROI definiert, um den Rumpfbereich inklusive der Arme und Hände, in dem insbesondere bei Streichern und Pianisten systematische Spielbewegungen stattfinden, vom Kopfbereich, dessen Bewegungen einen eher kommunikativen und expressiven Charakter aufweisen, zu trennen (s.
Aufnahme der Musiker mit definierten ROI. 1a (links): Lied-Duo (Schubert); 1b (rechts): Duo für Viola und Snaredrum (Steen-Andersen). Die Gesichter der Musiker wurden nachträglich unkenntlich gemacht.
Für den Bereich des Publikums wurde für jeden Teilnehmer eine ROI definiert (siehe
Publikum mit 8 definierten ROI. Die Gesichter der Mitglieder des Publikums wurden nachträglich unkenntlich gemacht.
Nach der Erfassung der Bewegungsenergie lagen pro Stück 3 beziehungsweise 4 Bewegungsenergie-Zeitreihen für die jeweils ausführenden Musiker (in Abhängigkeit von der Besetzung und der Möglichkeit, Kopf- und Rumpfbereich getrennt zu erfassen) und 22 Bewegungsenergie-Zeitreihen für die Studienteilnehmer (eine ROI je Teilnehmer) vor. Diese bildeten das Ausgangsmaterial für die Analyse nonverbaler Synchronie.
Im Rahmen des angewendeten Analyseverfahrens wurde die Synchronie zweier Zeitreihen über ihre Kreuzkorrelation berechnet (die Methodik ist ausführlich in
Die Effektstärke der Synchronie lag damit als eine Zahl vor, in die die aggregierten Kreuzkorrelationen und die Surrogat-Synchronien eingegangen ist. Die Effektstärke, interpretiert gemäß Cohens
Die Datenerhebung fand im Rahmen eines Konzertes statt, das im ArtLab des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik durchgeführt wurde. Das ArtLab beherbergt einen Konzertsaal mit 46 Sitzplätzen in terrassierter Anordnung. Anlass des Konzertes war die Demonstration der raumakustischen Qualität des Saals. Zu diesem Zweck wurde ein Programm zusammengestellt, das innerhalb des Rahmens klassischer Kammermusik einen Bereich vom romantischen Kunstlied bis zu einem zeitgenössischen Duo für Violine und Snaredrum umfasste. Die einzelnen Werke, ihre Besetzung und Dauer sind
Nr. | Komponist | Stück | Besetzung | Dauer |
---|---|---|---|---|
1 | Franz Schubert | Im Frühling D. 882a | Gesang (Tenor), Klavier | 04:15 Min. |
2 | Franz Schubert | Musensohn D. 764 | Gesang (Tenor), Klavier | 01:49 Min. |
3 | Salvatore Sciarrino | La Malinconia | Violine, Viola | 03.20 Min. |
4 | Simon Steen-Andersen | NEXT TO BESIDE BESIDES | Viola, Snaredrum | 03:47 Min. |
5 | Claude Debussy | Klaviertrio, G-Dur, 2. Satz: Scherzo. Intermezzoa | Violine, Violoncello, Klavier | 03:22 Min. |
6 | Claude Debussy | Klaviertrio, G-Dur, 4. Satz: Finale | Violine, Violoncello, Klavier | 05:26 Min. |
aStück wurde in der Analyse nicht berücksichtigt (Begründung im Text).
Vor Beginn des Konzertes wurden von allen Teilnehmern eine Einverständniserklärung sowie Selbstauskünfte im Rahmen der Vorbefragung eingeholt. Zudem wurden die Teilnehmer über die Konstruktion des ArtLab und über den Ablauf des Forschungskonzertes informiert. Die Forschungsfragen und theoretischen Vorannahmen der Studie waren hingegen nicht Bestandteil der Vorinformation. Die Teilnehmer erhielten ein Programm mit Angaben zu den aufgeführten Werken und den ausführenden Musikern. Alle Werke wurden von Studierenden der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt am Main aufgeführt. Nach jedem Stück, beziehungsweise zwischen den einzelnen Sätzen eines Stückes, wurde eine Befragung mit dem Fragebogen zum Musik-Erleben in Papierform durchgeführt. Nach dem ersten Stück konnte keine Publikumsbefragung durchgeführt werden, da die Musiker nicht die geplante Pause einhielten. Dieses Stück wurde folglich bei der Analyse nicht berücksichtigt. Auch der zweite Satz des Klaviertrios von Debussy fand keine Berücksichtigung. Auf diese Weise konnte ein möglichst heterogenes Ausgangsmaterial für die Analyse erstellt werden, in dem jeder Komponist und jede Besetzung nur einmal vertreten war.
Für die Analyse der nonverbalen Synchronien zwischen den Musikern wurden die für jedes Stück verfügbaren ROI herangezogen. Einige Beispiele für in Bezug auf diese ROI ermittelte Bewegungsenergie-Zeitreihen, die den Berechnungen zugrunde liegen, sind in
Bewegungsenergie-Zeitreihen ausgewählter ROIs. 3a (oben): Lied-Duo (Schubert), Kopfbereich des Sängers (Voc_Kopf) und Pianist (Klav); 3b (unten): Duo für Viola und Snaredrum (Steen-Andersen), Rumpfbereiche des Bratschisten und des Perkussionisten (Vla_Rumpf; Snare_Rumpf). Bewegungsenergie = Anzahl der Pixel mit Luminanzänderung zwischen konsekutiven Frames.
Zunächst wurde für jedes Stück der Mittelwert der berechneten Effektstärken der nonverbalen Synchronie betrachtet (
Kombinationen |
ESa | ||
---|---|---|---|
Variable 1 | Variable 2 | ||
Schubert | -0,70 | ||
Klav | Voc_Kopf | -0,67 | |
Klav | Voc_Rumpf | -0,73 | |
Voc_Kopf | Voc_Rumpf | 7,02b | |
Sciarrino | 3,67 | ||
Vl_Kopf | Vl_Rumpf | 5,98b | |
Vl_Kopf | Vla_Kopf | 4,03 | |
Vl_Kopf | Vla_Rumpf | 1,22 | |
Vl_Rumpf | Vla_Kopf | 3,42 | |
Vl_Rumpf | Vla_Rumpf | 6,01 | |
Vla_Kopf | Vla_Rumpf | 8,74b | |
Steen-Andersen | 16,77 | ||
Snare_Kopf | Vla_Kopf | 11,92 | |
Snare_Kopf | Vla_Rumpf | 13,76 | |
Snare_Kopf | Snare_Rumpf | 25,19b | |
Snare_Rumpf | Vla_Kopf | 18,26 | |
Snare_Rumpf | Vla_Rumpf | 23,12 | |
Vla_Kopf | Vla_Rumpf | 16,46b | |
Debussy | 2,28 | ||
Vcl | Vl | 0,57 | |
Klav | Vl | 2,24 | |
Klav | Vcl | 4,02 |
aDie Effektstärke (ES) ist der an der Standardabweichung der Surrogat-Synchronie normierte Unterschied zwischen genuiner Synchronie und Surrogat-Synchronie; bIntraindividuelle Synchronien, die nicht in den Mittelwert eingingen.
Die nonverbale Synchronie zwischen den Musikern und dem Publikum wurde für jedes einzelne Publikumsmitglied im Verhältnis zu der Summe der Bewegungsenergie aller Musiker berechnet. Die resultierenden Effektstärken für alle Teilnehmer über alle Stücke lagen im Mittel bei -0,39 (
Für jedes Publikumsmitglied wurde für jedes Stück eine individuelle Bewegungsenergie-Zeitreihe ermittelt, anhand derer die nonverbale Synchronie berechnet werden konnte. Beispiele für entsprechende Bewegungsenergie-Zeitreihen sind in
Bewegungsenergie-Zeitreihen für die ROIs bezüglich der Sitzpositionen B8 (vorne links), sowie E1 und E2 (hinten rechts, nebeneinander) innerhalb des Publikums für 4a (oben): Lied-Duo (Schubert); 4b (unten): Duo für Viola und Snaredrum (Steen-Andersen). Bewegungsenergie = Anzahl der Pixel mit Luminanzänderung zwischen konsekutiven Frames.
Die Grundlage für die Berechnung der nonverbalen Synchronie innerhalb des Publikums bildeten die Effektstärken der nonverbalen Synchronien zwischen allen Publikumsmitgliedern, das heißt zwischen allen möglichen Paarungen innerhalb des Publikums. In der Folge wurde verschiedene Mittelwerte berechnet, um Aussagen über die Synchronisierung innerhalb des Publikums treffen zu können. Für die einzelnen Teilnehmer wurde die individuelle Synchronisierung als die mittlere Effektstärke der Synchronisierung mit den jeweils anderen Teilnehmern berechnet (
Verteilung der individuellen Synchronisierung für alle Teilnehmer und für alle Stücke (
Für jedes Stück wurde die mittlere Effektstärke der nonverbalen Synchronie über alle Teilnehmer berechnet (
Stück | t | p | d | |||
---|---|---|---|---|---|---|
Debussy | 0,34 | 1,64 | 3,12 | 230 | 0,002 | 0,21 |
Schubert | 0,32 | 1,17 | 4,22 | 230 | < 0,001 | 0,28 |
Sciarrino | 0,09 | 0,94 | 1,46 | 230 | 0,146 | 0,10 |
Steen-Andersen | 0,68 | 1,93 | 5,34 | 230 | < 0,001 | 0,35 |
Die individuelle Synchronisierung innerhalb des Publikums für jedes Stück sowie die Synchronisierung zwischen den Publikumsmitgliedern sind als Netzwerk-Grafik in den
Es zeigt sich auch in dieser Darstellung die stärker ausgeprägte Synchronisierung bei Steen-Andersen. Zudem wird deutlich, dass eine Synchronisierung nicht vorzugsweise zwischen Teilnehmern die direkt neben- oder hintereinander saßen erfolgte, sondern dass sich diese auch über größere Entfernungen zwischen Teilnehmern einstellte, die sich zudem teilweise nicht sehen konnten. Des Weiteren zeigten sich keine oder nur in sehr geringem Ausmaß stabile Synchronien zwischen zwei Teilnehmern über mehrere Stücke hinweg. Ebenfalls ließen sich keine stabilen individuellen Unterschiede bezüglich der Synchronisierung über mehrere Stücke hinweg erkennen.
Netzwerkdarstellung der nonverbalen Synchronie innerhalb des Publikums. Die Graustufen der Netzwerkknoten geben die individuelle Synchronisierung zu jeweils allen anderen Publikumsmitgliedern an, die Dicke der Netzwerkkanten die Synchronisierung zwischen jeweils zwei Teilnehmern. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden nur Kanten für Effektstärken dargestellt, die über dem Mittelwert aller gemessenen Effektstärken innerhalb des Publikums liegen (
Deskriptive Statistiken zu den Selbstauskünften der Teilnehmer für die einzelnen Stücke bezüglich des Gefallens von Stück (Gefallen (Stück)) und Interpretation (Gefallen (Interpretation)), der Vertrautheit mit den Stücken (Vertrautheit), dem Bedürfnis sich zu bewegen (Bewegungsbedürfnis), der Absorption (Absorption), sowie der Verbindung zu den Musikern (Verbindung zu Musikern) und den anderen Publikumsmitgliedern (Verbindung zum Publikum), sind in
Stück | Gefallen (Stück) |
Gefallen (Interpretation) |
Vertrautheit |
Verbindung zu Musikern |
Bewegungs-bedürfnis |
Absorption |
Verbindung zu Publikum |
|||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Schubert | 5,64 | 0,95 | 5,64 | 0,85 | 4,64 | 1,73 | 5,27 | 1,12 | 4,32 | 1,89 | 5,05 | 0,84 | 2,68 | 1,43 |
Sciarrino | 4,59 | 1,89 | 5,95 | 1,16 | 3,41 | 2,04 | 4,64 | 1,73 | 1,64 | 0,79 | 4,68 | 2,06 | 2,27 | 1,24 |
Steen-Andersen | 3,91 | 1,80 | 5,23 | 1,15 | 3,27 | 1,96 | 4,18 | 1,79 | 2,36 | 1,79 | 3,77 | 1,90 | 2,14 | 1,08 |
Debussy | 6,27 | 0,77 | 6,23 | 0,75 | 5,27 | 1,24 | 4,82 | 1,68 | 4,45 | 1,44 | 5,36 | 1,40 | 2,64 | 1,26 |
Um die Messwiederholungen innerhalb der Teilnehmer zu berücksichtigen, wurden gemischte lineare Modelle mit zufälligen Effekten für Teilnehmer und der individuellen mittleren Synchronie als abhängiger Variablen modelliert (Random intercept-Modelle). Diese Vorgehensweise gründet auf der Auffassung, dass Synchronie im gegebenen Zusammenhang sinnvollerweise als zu erklärendes Phänomen und damit als Zielvariable zu betrachten ist (s. Einleitung). Da die Items zum Musik-Erleben verschiedene Fragestellungen adressieren und unabhängig voneinander konzipiert wurden, wurden sie jeweils einzeln als fester Effekt in einem eigenen Modell getestet (s. den Abschnitt zum Fragebogen im Methodenteil). Um auch den Einfluss der Stücke auf die individuellen Synchronien zu berücksichtigen, wurden die Stücke als Kovariaten in den Modellen inkludiert (Referenzkategorie: Steen-Andersen). Um Effekte durch Unterschiede zwischen Personen auszuschließen, wurden alle Items am individuellen Mittelwert einer Person zentriert. Die so zentrierten Variablen stellen somit eine Abweichung vom persönlichen Mittelwert einer Person dar. Die Ergebnisse sind in
Prädiktoren | Schätzung ( |
||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|
Modell 1 | Modell 2 | Modell 3 | Modell 4 | Modell 5 | Modell 6 | Modell 7 | |
Fixierte Effekte | |||||||
Gefallen (Stück) | -0,06 (0,03) | ||||||
Gefallen (Interpretation) | -0,07 (0,05) | ||||||
Vertrautheit | 0,01 (0,04) | ||||||
Verbindung zu Musikern | -0,12 (0,03)*** | ||||||
Bewegungsbedürfnis | -0,02 (0,03) | ||||||
Absorption | -0,08 (0,03)* | ||||||
Verbindung zum Publikum | -0,03 (0,05) | ||||||
Debussy | -0,20 (0,13) | -0,28 (0,12)* | -0,36 (0,13)** | -0,27 (0,10)** | -0,30 (0,13)* | -0,22 (0,11) | -0,33 (0,11)** |
Schubert | -0,25 (0,12)* | -0,33 (0,11)** | -0,36 (0,12)** | -0,23 (0,11)* | -0,31 (0,13)* | -0,26 (0,11)* | -0,34 (0,11)** |
Sciarrino | -0,55 (0,11)*** | -0,56 (0,11)*** | -0,59 (0,11)*** | -0,54 (0,10)*** | -0,60 (0,11)*** | -0,52 (0,11)*** | -0,58 (0,11)*** |
Zufällige Effekte | |||||||
0,07 | 0,07 | 0,06 | 0,09 | 0,06 | 0,08 | 0,06 |
*
Lediglich zwei subjektive Erlebensurteile (Verbundenheit mit den Musikern und Absorption) zeigten kleine, aber signifikante Effekte auf die Synchronie der Teilnehmer. Das heißt, dass sich die Teilnehmer während des Konzertes mit steigendem Verbundenheitsgefühl mit den Musikern und mit erhöhter Absorption weniger mit den anderen Publikumsmitgliedern synchronisiert haben. Die Analyse der in den Modellen als Kovariaten berücksichtigten Stücke zeigt einen deutlichen Einfluss dieser auf die durchschnittliche Synchronisierung im Publikum. In allen sieben Modellen erwiesen sich diese als signifikant und zeigten, dass während des Stückes von Steen-Andersen die größte durchschnittliche Synchronie im Publikum auftrat und bei allen anderen Stücke die Synchronie geringer ausgeprägt war. Die Varianz des zufälligen Effektes für die Teilnehmer wurde für alle Modelle sehr klein geschätzt und erwies sich als nicht signifikant. Abschließend wurden in allen Modellen Interaktionen aus Stück und subjektivem Erleben getestet. Hierbei erweis sich keine Interaktion als signifikant.
Die im Vorfeld formulierten Annahmen bezüglich eines positiven Zusammenhangs zwischen der individuellen Synchronisierung und Aspekten des Musik-Erlebens konnten somit nicht bestätigt werden.
Bezugnehmend auf theoretische Ansätze zum verkörperten und verteilten Musik-Erleben untersuchte die vorliegende explorative Studie das Auftreten synchronisierter Körperbewegungen im Rahmen eines klassischen Konzertes und den Zusammenhang zwischen der Synchronie innerhalb des Publikums und Aspekten des subjektiven Musik-Erlebens.
Mit der eingesetzten Methode konnten Körperbewegungen als Bewegungsenergie und deren Synchronisation auch in einem so verhaltensrestriktiven Rahmen wie einem klassischen Konzert für die Musiker auf der Bühne und auch innerhalb des Konzertpublikums gemessen werden. Die nonverbale Synchronie zwischen den ausführenden Musikern war erwartungsgemäß überwiegend stark ausgeprägt. Zwischen den Musikern und dem Konzertpublikum konnte hingegen keine Synchronie festgestellt werden. Innerhalb des Publikums wurden signifikante Synchronien kleiner bis mittlerer Effektstärke gemessen. Die Annahmen bezüglich des Zusammenhangs zwischen nonverbaler Synchronie innerhalb des Publikums und dem Musik-Erleben konnten nicht bestätigt werden. Es zeigten sich vielmehr signifikante negative Zusammenhänge zwischen dem Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern, dem Grad der Absorption und der Synchronisierung innerhalb des Publikums.
Die beim gemeinsamen Musizieren zu erwartende systematische Ähnlichkeit der Körperbewegungen wird durch die gemessenen Synchronien zwischen den ausführenden Musikern bestätigt. Dies verdeutlicht die prinzipielle Eignung der eingesetzten Methode.
Das Auftreten nonverbaler Synchronie innerhalb des Publikums steht im Einklang mit Theorien zum verkörperten Musik-Erleben (siehe etwa
Auch Theorien zum gemeinschaftlichen Musikerleben können die Ergebnisse dieser Studie nicht stützen (vgl.
Die Analyse der nonverbalen Synchronie zwischen den Musikern, die zur Überprüfung der grundsätzlichen Eignung und zur Validierung der Methode durchgeführt wurde, ergab ein differenziertes Bild. Die nur geringe Synchronisierung zwischen den ausführenden Musikern des Schubert-Liedes lässt sich mit den sehr unterschiedlichen musizierspezifischen Bewegungsanforderungen und dem vergleichsweise größeren Freiheitsgrad möglicher Körperbewegungen beim Singen gegenüber dem Klavierspielen erklären. Im Gegensatz dazu zeigte sich bei dem Stück von Sciarrino für Violine und Viola, das von beiden Musikern stehend musiziert wurde und bei dem diese vergleichbare instrumentenspezifische Körperbewegungen ausführten, eine starke Synchronisierung. Die sehr großen Effektstärken bei Steen-Andersen sind in der Konzeption des Stückes begründet. Die beiden Musiker nehmen unabhängig von den jeweils von ihnen gespielten Instrumenten (Viola und Snaredrum) eine identische Spielhaltung ein (s.
Auch innerhalb des Konzertpublikums konnten bezüglich der Ausprägung der Synchronisierung Unterschiede zwischen den Stücken festgestellt werden. Bemerkenswert ist hierbei, dass bei dem Stück von Steen-Andersen, bei dem sich die ausführenden Musiker am stärksten synchronisierten, auch innerhalb des Publikums eine größere mittlere Effektstärke der nonverbalen Synchronie gemessen wurde als bei den anderen Stücken. Im Gegensatz dazu konnten keine nonverbalen Synchronien zwischen Musikern und dem Publikum festgestellt werden. Der positive Zusammenhang zwischen der Synchronisierung zwischen den Musikern und der Synchronisierung innerhalb des Publikums bei Steen-Andersen wurde also nicht durch eine Synchronisierung zwischen den Musikerbewegungen und den Bewegungen des Publikums hergestellt. Ob ein entsprechender Zusammenhang grundsätzlich hergestellt werden kann, ist mit Blick auf die anderen Stücke fraglich. Bei Sciarrino konnte im Gegensatz zu der ausgeprägten Synchronisierung zwischen den Musikern keine Synchronisierung innerhalb des Publikums beobachtet werden. Es ist zu vermuten, dass das Stück von Steen-Andersen aufgrund seiner spezifischen Konzeption, welche synchrone Bewegungen der Musiker einfordert, eine Sonderstellung einnimmt und daher nicht ohne weiteres mit den anderen Stücken verglichen werden kann. Die Ergebnisse lassen deutlich werden, dass eine weitere Erforschung möglicher Zusammenhänge zwischen den Bewegungen und den Synchronisationsprozessen zwischen den Musikern und jenen innerhalb des Publikums notwendig ist.
Als geeigneter Ansatz für die Konzertforschung weist sich das im Rahmen dieser Studie zur Anwendung gebrachte Verfahren insbesondere dann aus, wenn die erfassten Synchronisierungsprozesse mit dem individuellen Musik-Erleben im Konzert in irgendeiner Weise in Zusammenhang stehen. Die Sichtung des Forschungsstands zu nonverbalen Synchronien in der Psychotherapie und theoretische Vorüberlegungen führten zu konkreten Annahmen bezüglich positiver Zusammenhänge, die allerdings durch die Ergebnisse der vorliegenden Studie nicht bestätigt werden konnten. So konnte kein Zusammenhang zwischen der individuellen Synchronisierung und verschiedenen Aspekten des Musik-Erlebens (dem Bewegungsbedürfnis, dem Gefühl der Verbundenheit mit den anderen Publikumsmitgliedern, dem Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern oder dem Gefallen der Stücke bzw. der Interpretation) nachgewiesen werden. Für das Gefühl der Verbundenheit mit den Musikern und dem Grad der Absorption zeigte sich jeweils ein negativer Zusammenhang zur individuellen Synchronisierung. Dieser Befund lässt sich dahingehend interpretieren, dass mit einem stärkeren Fokus auf das Bühnengeschehen bzw. das eigene innere Erleben die Synchronisierung mit den anderen Mitgliedern des Publikums abnimmt.
Die Ergebnisse dieser Studie stehen somit nicht im Einklang zu dem innerhalb der Forschung zu nonverbaler Synchronie häufig gefundenen positiven Zusammenhang zwischen nonverbaler Synchronie und Verbundenheitsgefühlen oder anderen positiven Aspekten. Offenkundig sind dyadische Interaktionen im Rahmen von verbalen sozialen Interaktionen nicht ohne Weiteres mit den Beziehungen und Interaktionen innerhalb des Publikums und zwischen Publikum und Musikern vergleichbar. Während in einem klassischen Konzert Interaktionen in erster Linie zwischen den Musikern sowie zwischen den Musikern und dem Publikum stattfinden, konnten im Rahmen dieser Studie nur zwischen den Musikern und innerhalb des Publikums nonverbale Synchronien beobachtet werden. Mit Blick auf den Zusammenhang mit dem individuellen Musik-Erleben ist letztlich festzustellen, dass die Frage, wie es ist, ein Mitglied eines Publikums (in einem klassischen Konzert) zu sein und welche Rolle die anderen Publikumsmitglieder für das eigene Musikerleben spielen, theoretisch wie empirisch bislang noch unzureichend erforscht ist (siehe hierzu aber u.a.
Die Befunde sind jedoch insbesondere in Hinblick auf die Wirkung der spezifischen Rahmung eines klassischen Konzerts zu betrachten. Das Forschungskonzert wurde, abgesehen von der kurzen Einführung und den Unterbrechungen für die Erhebung von Selbstauskünften nach jedem Stück, als ein typisches klassisches Konzert durchgeführt. Der Veranstaltungsort einschließlich der dort gegebenen Bühnensituation und Sitzanordnung entsprach diesem Rahmen. Aufgrund der damit verbundenen hohen ökologischen Validität ist anzunehmen, dass sich die Teilnehmer an den eingangs beschriebenen Verhaltenskonventionen eines klassischen Konzerts orientiert haben. Die Angaben bezüglich der Art der in den letzten 12 Monaten besuchten Konzerte weisen darauf hin, dass die Mehrheit der Teilnehmer mit den entsprechenden Verhaltenskonventionen vertraut war. Da innerhalb des Publikums durchaus Körperbewegungen und Synchronisierungsprozesse beobachtet werden konnten, liegt der Schluss nahe, dass der spezifische Rahmen des klassischen Konzerts auf differenzierte Weise den Zusammenhang zwischen der Synchronisierung innerhalb des Publikums und verschiedenen Aspekten des Musik-Erleben beeinflusste. Die geringere Synchronisierung bei einer stärkeren Fokussierung auf das Bühnengeschehen erscheint in diesem Rahmen plausibel. Andere Aspekte des Musik-Erlebens standen hingegen in keinem Zusammenhang mit der Synchronisierung innerhalb des Publikums, das heißt, dass die gemessenen Körperbewegungen und Synchronisierungsprozesse für diese Aspekte des Musik-Erlebens keine Rolle spielten. Vielmehr traten hier vermutlich die im klassischen Konzert soziokulturell sanktionierten Erlebensweisen in den Vordergrund. Ausgehend von dieser Interpretation wäre durch zukünftige Forschung zu untersuchen, inwieweit in einem anderen Rahmen (beispielsweise bei einem Rockkonzert oder in einem Club), in dem Körperbewegungen und zwischenmenschliche Interaktionen zur Praxis der Musikrezeption dazugehören, auftretende nonverbale Synchronie in einem positiven Zusammenhang zum Beispiel mit Gefallensurteilen oder Verbundenheitsgefühlen steht (siehe hierzu etwa
Im Rahmen der Interpretation der Ergebnisse ist schließlich zu bedenken, dass bei der eingesetzten Methode zur Berechnung nonverbaler Synchronie über den gesamten Verlauf eines Stückes gemittelt wurde. Auch die Selbstauskünfte zum Musik-Erleben wurden am Ende eines jeden Stückes und nicht etwa kontinuierlich während dessen Darbietung erhoben. Zeitliche Veränderungen der nonverbalen Synchronie während eines Stückes oder zeitlich begrenzte Zusammenhänge zwischen Synchronie und Musik-Erleben konnten somit nicht erfasst werden. Vor dem Hintergrund dieses konservativen Ansatzes sind insbesondere die gefundenen kleinen bis mittleren Effektstärken der Synchronie innerhalb des Publikums von Bedeutung.
Eine Einschränkung der eingesetzten Methode zur Erfassung der Bewegungsenergie und der nonverbalen Synchronie liegt in der Abhängigkeit des Messbereiches von der praktisch verfügbaren Kameraposition im Verhältnis zu der Sitzanordnung des Publikums bzw. der Position der Musiker. In der vorliegenden Studie hatte dies zur Folge, dass einzelne Teilnehmer von der Analyse ausgeschlossen werden mussten. Zudem konnten möglicherweise aufgetretene charakteristische Körperbewegungen innerhalb des Publikums, wie etwa das Mitwippen mit den Füßen, nicht erfasst werden. Diesen Einschränkungen stehen jedoch die einfache Durchführbarkeit und die Non-Invasivität dieser Methode als positive Aspekte gegenüber. Für die Konzertforschung, in der ein ökologisch valides Setting angestrebt wird und bei der eine größere Anzahl von Teilnehmern gleichzeitig für die Messung vorbereitet werden muss, sind dies wichtige Kriterien.
Die eingesetzte Software lieferte keine Informationen bezüglich der Gesamtsumme der Pixel innerhalb einer definierten ROI. Da somit nur absolute Angaben zum Wertebereich der Anzahl sich ändernder Pixel und zur mittleren Anzahl der sich ändernden Pixel vorlagen, konnten keine interpretierbaren Ergebnisse zur Bewegungsenergie berichtet werden. In Hinblick auf die Analyse der nonverbalen Synchronie und die Berichterstattung der Effektstärken war dies jedoch nicht relevant.
Für die Berechnung der individuellen Synchronisierung innerhalb des Publikums wurde für jeden Teilnehmer der Mittelwert der Effektstärken der nonverbalen Synchronien zu den jeweils anderen Mitgliedern des Publikums berechnet (
Die Ergebnisse dieser Studie bieten Anknüpfungspunkte für weitere Forschungen. Aus der Untersuchung des Verhältnisses von Musikerbewegungen und Publikumsbewegungen ließen sich Erkenntnisse zur Triftigkeit von Nachahmungstheorien zum Musik-Erleben gewinnen. Im Rahmen von Folgestudien könnte auch die Musik, bzw. das aufgenommen Audiosignal, in die Analyse einbezogen werden, um zu untersuchen, inwieweit die Synchronisation der Körperbewegungen von Musikern und Publikum über die Musik, das heißt insbesondere über den musikalischen Rhythmus, vermittelt wird. Ein weiteres Themengebiet umfasst die Interaktions- und Bewegungspotentiale innerhalb des Konzertpublikums sowie deren Relevanz für das Musik-Erleben. Interessant ist hierbei insbesondere die Frage, ob sich durch eine Modifizierung des klassischen Konzertformats Interaktion und Bewegung wieder stärker in das Musik-Erleben integrieren ließen. Hier könnten sich Möglichkeiten für eine Diversifizierung von Konzertangeboten und -formaten eröffnen, die den vielfältigen möglichen Verhaltensweisen im Konzert möglicherweise besser gerecht werden können (vgl.
Für eine empirisch informierte kritische Einschätzung der verschiedenen Ansätze zu einem verkörperten oder verteilten Musik-Erleben bietet diese Studie erste Anhaltspunkte. Sie deutet damit die Möglichkeiten an, die durch den Einsatz des hier vorgestellten Verfahrens im Rahmen weiterführender Studien gegeben sind.
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Ich habe eine Verbindung zu den Musikern gespürt. (Verbindung zu Musikern)
Ich hatte das Bedürfnis, mich zu bewegen. (Bewegungsbedürfnis)
Ich war ganz in die Musik versunken. (Absorption)
Ich habe mich mit den anderen Zuhörern verbunden gefühlt. (Verbindung zum Publikum)
Ihre Anmerkungen und Kommentare
Die im eingereichten Artikel berichtete Studie wurde in Übereinstimmung mit den relevanten ethischen Standards und Prinzipien durchgeführt. Sie ist durch den Forschungsethik-Rahmenantrag abgedeckt, der am 18. Februar 2015 vom Ethikrat der Max-Planck-Gesellschaft bewilligt wurde.
Rohdaten der Selbstauskünfte, der erhobenen Ratings und der Bewegungsenergie-Zeitreihen sind als
Die Autoren haben keine Finanzierung zu berichten.
Wir danken Alexander Lindau und Jonas Schändlinger für ihre Unterstützung bei der Durchführung des Forschungskonzertes, Sandro Wiesmann für die Fragebogen-Transkription, Klaus Frieler und Wolff Schlotz für ihre Unterstützung bei der Datenanalyse und Interpretation sowie Felix Bernoully für seine Hilfestellung im Zuge der Erstellung der Netzwerk-Grafiken. Den beiden anonymen GutachterInnen danken wir für ihre wertvollen Anmerkungen und Kommentare.
Fabian Greb ist Mitglied des Redaktionsteams von JBDGM, war aber nicht an der redaktionellen Bearbeitung dieses Artikels beteiligt und auch nicht in irgendeiner Form in den Begutachtungsprozess involviert.
Zu diesem Artikel sind die folgenden ergänzenden Materialien im PsychArchives Repositorium verfügbar (
Rohdaten der Selbstauskünfte im Rahmen der Vorbefragung
Rohdaten der während des Forschungskonzerts erhobenen Ratings
Rohdaten der Bewegungsenergie-Zeitreihen bezüglich der Musiker und der Publikumsmitglieder für die vier analysierten Stücke (Schubert, Sciarrino, Steen-Andersen, Debussy)