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MuPsych App für Android Smartphones: Eine neue Möglichkeit für music experience sampling

MuPsych App for Android smartphones: A new approach for music experience sampling

Nicolas Ruth*a

Jahrbuch Musikpsychologie, 2018, Vol. 28: Musikpsychologie — Musik und Bewegung, Artikel e23, doi:10.5964/jbdgm.2018v28.23

Publiziert (VoR): 2018-08-13.

*Korrespondenzanschrift: Medien- und Wirtschaftskommunikation, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Oswald-Külpe-Weg 82, 97074 Würzburg, Deutschland. E-mail: nicolas.ruth@uni-wuerzburg.de

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Zusammenfassung

Um die alltägliche Musiknutzung zu erfassen, wurden bislang verschiedene Ansätze des Experience Sampling eingesetzt. Diese Methode wurde bereits in den 1980er Jahren entwickelt und vielfach in der Musik- und Mediennutzungsforschung eingesetzt. Dieser methodische Ansatz versucht es zu ermöglichen, dass Hörer im Alltag zu ihrem Konsum befragt werden können. Allerdings sind viele der Studien die auf Experience Sampling beruhen mit einigen Limitationen behaftet. Eine moderne und rezeptionsnahe Möglichkeit für die Messung alltäglicher Musiknutzung über internetfähige mobile Endgeräte mit einem Android Betriebssystem bietet die App MuPsych. Mithilfe dieses Programms können Nutzer direkt während der Musikrezeption oder zu weiteren bestimmten Zeitpunkten über ihr eigenes persönliches Endgerät befragt und ihr Musikkonsum fortlaufend erfasst werden. Der vorliegende Artikel stellt zunächst die Forschungstradition des Experience Sampling kurz dar, um dann auf die Funktionen, die die App MuPsych für diese Erhebungsmethode bietet einzugehen. Schließlich wird beschrieben wie die App nutzbar für eigene Forschungsvorhaben gemacht werden kann.

Schlüsselwörter: Experience Sampling, Software, Smartphone, Musiknutzung, mobil, Alltag

Abstract

Collecting data from everyday music consumption is a challenging task for research. A promising method that was introduced in the 1980s was the experience sampling method. With data provided from this method one could reconstruct the typical daily listening routines. However, experience sampling had some limitations like problems due to unhandy paper diaries, and the issue of the validity of self-reports about a retrospective course of the day. A modern method that can be used promptly when a music listening session starts is the application called MuPsych for Android smartphones. This app can provide surveys directly on the personal mobile device when the reception begins. Furthermore, the app itself can provide a pool of surveys that can be answered at every time during the use of the app. In this article, the history of the experience sampling method, followed by the possibilities that MuPsych provides are described.

Keywords: experience sampling, applications, smartphone, music use, mobile, everyday life

Einleitung

Um zu erfahren wie sich Musik auf Gedanken, Gefühle und Verhalten der Hörer auswirkt, ist es wichtig zu analysieren, wie Menschen alltäglich Musik hören (North, Hargreaves & Hargreaves, 2004). Bis heute ist dies eine schwierige Herausforderung für Forscher, da viele der gängigen Methoden in diesem Bereich schwerwiegende Limitationen mit sich bringen. Um objektiv und mit hoher Validität zu messen, wie Rezipienten Musik wahrnehmen, sind experimentelle Studien in einem Labor der passende Weg. Jedoch bringt diese Art der Untersuchung eine Unschärfe, in Bezug auf situative und externe Einflussgrößen einer Musikrezeption in natürlichen Umgebungen, mit sich. Retrospektive Befragungen dagegen werden häufig genutzt, um diese Probleme zu umgehen. Diese werden wiederum dafür kritisiert, dass Erinnerungen meist verfälscht sind und nur spezielle oder persönlich relevante Situationen von den Befragten rekonstruiert werden können. Auch qualitative Selbstauskünfte, in Form von Berichten oder Essays, sind von diesem Bias betroffen. Aber vor allem wenn es darum geht, Gefühle zu erinnern, kommen diese Methoden an ihre Grenzen.

Eine vielversprechende Lösung für die genannten Limitationen lieferte die, in den 1980er Jahren von Larson und Csikszentmihalyi (1983) entwickelte, Experience Sampling Method. Mithilfe von kurzen Fragebögen sollten Probanden an zufällig über den Tag hinweg ausgewählten Zeitpunkten ihre situativen Erfahrungen berichten. Bei ersten Studien dieser Art wurden Zeitpläne mit Messzeitpunkten herausgegeben, während in späteren Studien randomisierte Zeitpunkte präferiert wurden, die mittels Benachrichtigungen über Pager (z. B.: Sloboda, O’Neill & Ivaldi, 2001), Handcomputer (z. B.: Juslin et al., 2008) oder SMS (Greasley & Lamont, 2011) verschickt wurden. Dieses Vorgehen ermöglichte es den Forschern natürlichere, spontanere und nicht von Erinnerungen abhängige Daten zu erheben. Die zuvor genannten Studien ließen Versuchsteilnehmer für einen Zeitraum von ein bis zwei Wochen täglich ein- bis zweimal den Fragebogen zum Hörverhalten ausfüllen und konnten somit ein realistisches Bild der alltäglichen Musiknutzung der Teilnehmer zeichnen.

Dennoch gibt es auch bei diesen Arbeiten Kritikpunkte in Bezug auf die Handhabung. Die externe Validität wurde durch den Einsatz fremder technischer Endgeräte und einer zusätzlichen Belastung der Teilnehmer durch Papierfragebögen, die mitgeführt und handschriftlich ausgefüllt werden mussten, eingeschränkt. Durch diese Verfahren entstanden nach wie vor Verzögerungen zwischen Benachrichtigung und Antwort.

Heutzutage werden auf Erfahrungen basierte Daten vermehrt mithilfe der privaten internetfähigen mobilen Endgeräte der Teilnehmer erhoben. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung und der kontinuierlich weiterentwickelten Angebote der Musikstreaming-Anbieter erscheint eine Datenerfassung über das persönliche Smartphone auch für die Musikforschung sehr sinnvoll. Der Ausarbeitung dieses Ansatzes haben sich die Forscher Will M. Randall und Nikki S. Rickard aus Australien seit einigen Jahren gewidmet. Das Ergebnis ihrer Arbeit (Randall & Rickard, 2012) war eine Applikation für Smartphones, die für musikwissenschaftliche Zwecke genutzt werden kann und im Folgenden schlaglichtartig dargestellt werden soll.

Darstellung der Funktionen von MuPsych

MuPsych ist eine App für mobile internetfähige Endgeräte, die zur Musikwiedergabe genutzt werden können. Sie dient dazu in Echtzeit situationsbezogene, extern valide Daten zur Musiknutzung zu sammeln, ohne dass eine Verzerrung durch retrospektive Einschätzung entsteht. Wenn eine Person an einer Studie mit MuPsych teilnimmt, kann sie oder er sich die App auf dem eigenen Smartphone installieren. Anschließend kann die Person angeben, was das standardmäßige Programm ist, über das Musik auf dem Gerät angehört wird und zu welcher Zeit die App Benachrichtigungen schicken darf (siehe Abbildung 1). Fortan erfasst MuPsych, welche Musik (Titel, Interpret, Dauer) von der teilnehmenden Person über die gewählte Software rezipiert wird.

Abbildung 1

Persönliche Einstellungen der MuPsych App.

Darüber hinaus kann die Applikation dazu genutzt werden die Nutzer zu befragen. Dies geschieht mit den folgenden drei Optionen:

  1. Music ESRs (experience sampling reports): Wann immer eine Versuchsperson die Musikwiedergabe startet, wird per Zufall ein kurzer Fragebogen zur aktuellen Situation eingeblendet. Je nach Untersuchungsanlage kann derselbe nochmals oder ein Folge-Fragebogen während der andauernden Musikrezeption eingeblendet werden (z. B.: Drei und zehn Minuten nach Beginn der Wiedergabe).

  2. Non-Music ESRs: Um Vergleichswerte zu bekommen, kann die App auch zu zufälligen Zeitpunkten ohne Musikwiedergabe dem App-Nutzer Fragebögen einblenden. Auch in diesem Fall können Fragen zur aktuellen Situation gestellt werden, auf die sich ein späterer Fragebogen (z. B.: nach 5 Minuten) beziehen kann. Für beispielhafte ESR siehe Abbildung 2.

  3. Surveys: Zudem kann in der App eine beliebige Anzahl an psychometrischen Tests hinterlegt werden, die der Teilnehmende jederzeit während der Nutzung ausfüllen kann (siehe Abbildung 3).

Abbildung 2

Beispielhafte Screenshots von Experience Sampling Reports.

Abbildung 3

Beispielhafte Screenshots von der Fragebögen Auswahl und einer Fragebogenseite.

Den Teilnehmern kann mehrmals (häufig auf dreimal limitiert) am Tag Music ESRs und Non-Music ESRs eingeblendet werden. In der Regel kann der Erhebungszeitraum selbst bestimmt werden, wobei ein bis zwei Wochen am gängigsten sind. Etablierte Skalen wie Big Five Inventory (BFI; John & Srivastava, 1999), Behavioral Inhibition System und Behavioral Activiation System (BIS/BAS; Carver & White, 1994), Positive and Negative Affect Scale (PANAS; Watson, Clark & Tellegen, 1988) und noch einige weitere sind bereits in englischer Sprache in der App verfügbar. In Zusammenarbeit mit Will M. Randall hat der Autor dieses Artikels alle vorgefertigten Music und Non-Music ESRs ins Deutsche übersetzt und deutschsprachige Versionen einiger der hinterlegten Skalen implementiert.

Nutzungsmöglichkeiten

Grundsätzlich können alle Forschenden die App unentgeltlich für eigene wissenschaftliche Studien verwenden. Über die Webseite des Entwicklers: www.mupsych.com/research/ können sich Interessenten anmelden, um eine individualisierte Studie zu erstellen. Anschließend kann man online alle Messinstrumente, die man verwenden möchte, auswählen und den eigenen Vorstellungen entsprechend anpassen. Darüber hinaus können auch eigene Messungen ungepflegt werden. Die finale App wird letztlich im Google Playstore bereitgestellt und kann von den Teilnehmern über einen individualisierten Link heruntergeladen werden.

Derzeit ist die MuPsych App nur für Smartphones mit einem Android-basierten Betriebssystem nutzbar. Zukünftige Versionen sollen auch für iOS betriebene Geräte zur Verfügung gestellt werden, was derzeit aufgrund von rechtlichen Bedingungen von Apple nicht möglich ist.

Die App wird durch das Entwicklerteam immer weiterentwickelt und soll in Zukunft noch weitere Funktionalitäten (vgl. Randall, Rickard & Vella-Brodrick, 2014), wie sensorische und physiologische Messungen mittels Fitnessarmbänder oder Smartwatches und analytische Messungen musikalischer Parameter mithilfe der MIR-toolbox, ermöglichen.

Finanzierung

Der Autor hat keine Finanzierung für das Forschungsprojekt erhalten.

Interessenkonflikte

Der Autor hat erklärt, dass keinerlei konkurrierende Interessen bestehen.

Danksagung

Ich danke herzlich Will M. Randall, dem Entwickler der App, der es mir ermöglichte an der MuPsych App zu arbeiten und sie für meine Tätigkeiten in Forschung sowie Lehre nutzbar zu machen.

Literatur

  • Carver, C. S., & White, T. L. (1994). Behavioral inhibition, behavioral activation, and affective responses to impending reward and punishment: The BIS/BAS Scales. Journal of Personality and Social Psychology, 67, 319-333. doi:10.1037/0022-3514.67.2.319

  • Greasley, A. E., & Lamont, A. (2011). Exploring engagement with music in everyday life using experience sampling methodology. Musicae Scientiae, 15, 45-71. doi:10.1177/1029864910393417

  • John, O. P., & Srivastava, S. (1999). The Big Five trait taxonomy: History, measurement, and theoretical perspectives. In L. A. Pervin & O. P. John (Eds.), Handbook of personality: Theory and research (pp. 102–138). New York, NY, USA: Guilford Press.

  • Juslin, P. N., Liljestrom, S., Västfjäll, D., Barradas, G., & Silva, A. (2008). An experience sampling study of emotional reactions to music: Listener, music, and situation. Emotion, 8, 668-683. doi:10.1037/a0013505

  • Larson, R., & Csikszentmihalyi, M. (1983). The experience sampling method. In H. T. Reis (Ed.), Naturalistic approaches to studying social interaction: New directions for methodology of social and behavioral sciences (pp. 41-56). San Francisco, CA, USA: Jossey-Bass.

  • North, A. C., Hargreaves, D. J., & Hargreaves, J. J. (2004). Uses of music in everyday life. Music Perception, 22, 41-77. doi:10.1525/mp.2004.22.1.41

  • Randall, W. M., & Rickard, N. S. (2012). Development and trial of a mobile experience sampling method (m-ESM) for personal music listening. Music Perception, 31, 157-170. doi:10.1525/mp.2013.31.2.157

  • Randall, W. M., Rickard, N. S., & Vella-Brodrick, D. A. (2014). Emotional outcomes of regulation strategies used during personal music listening: A mobile experience sampling study. Musicae Scientiae, 18, 275-291. doi:10.1177/1029864914536430

  • Sloboda, J. A., O’Neill, S. A., & Ivaldi, A. (2001). Functions of music in everyday life: An exploratory study using the experience sampling method. Musicae Scientiae, 5, 9-32. doi:10.1177/102986490100500102

  • Watson, D., Clark, L. A., & Tellegen, A. (1988). Development and validation of brief measures of positive and negative affect: The PANAS scales. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 1063-1070. doi:10.1037/0022-3514.54.6.1063