Forschungsberichte

Psychische Belastung, Burnout, Perfektionismus, Optimismus, Pessimismus und Erholungskompetenz bei professionellen Sängerinnen und Sängern

Psychological Strain, Burnout, Perfectionism, Optimism, Pessimism and Recovery Skills in Professional Singers

Bastian Hodapp*a

Jahrbuch Musikpsychologie, 2018, Vol. 28: Musikpsychologie — Musik und Bewegung, Artikel e21, doi:10.5964/jbdgm.2018v28.21

Eingereicht: 2017-09-30. Akzeptiert: 2018-02-09. Publiziert (VoR): 2018-08-13.

Begutachtet von: Richard von Georgi; Stephan Bongard.

*Korrespondenzanschrift: Theodor-W.-Adorno-Platz 6, D-60323 Frankfurt am Main. Telefon: (069) 798-36382, Raum: 4. G169 (PEG). E-mail: hodapp@em.uni-frankfurt.de

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Zusammenfassung

Bislang existieren kaum (musik-)psychologische Studien, welche die gesundheitliche Situation von Berufssänger/innen adressieren. Mit N = 313 Teilnehmenden handelt es sich bei der hier vorgestellten Forschungsarbeit um eine der bislang größten Studien, in welcher gesundheitspsychologische Aspekte bei Profisänger/innen untersucht wurden. Es konnte gezeigt werden, dass die Sänger/innen trotz hoher beruflicher Belastungen in 16 von 27 Burnout-Kennwerten niedrigere Werte aufweisen als die Personen der repräsentativen Vergleichsstichprobe. Bei den elf anderen Burnout-Kennwerten zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen. Mit den in den Regressionsanalysen berücksichtigten Prädiktoren lassen sich bis zu 40 Prozent des Kriteriums Burnout erklären. Als aussagekräftigste Prädiktoren konnten die Variablen Erholungskompetenz, Optimismus und Pessimismus identifiziert werden. Perfektionismus als unter Musiker/innen häufig stark ausgeprägte Persönlichkeitseigenschaft trug wider Erwarten kaum zur Vorhersage der Burnout-Ausprägungen der Berufssänger/innen bei. Für präventive und rehabilitative Maßnahmen mit Profisänger/innen lässt sich aus den Befunden mit Blick auf eine (potenzielle) Burnout-Erkrankung die Empfehlung ableiten, sich eher auf die Ressourcen der Musiker/innen (Erholungskompetenz, Optimismus) zu konzentrieren und weniger auf deren scheinbare Defizite (Perfektionismus).

Schlüsselwörter: psychische Belastung, psychische Gesundheit, Sängerinnen, Sänger, Burnout, Perfektionismus, Optimismus, Pessimismus, Erholungskompetenz

Abstract

Only few (music-)psychological studies have investigated the health of professional singers up to now. The presented study, with a sample of N = 313 participants, is currently one of the most extensive studies that examines aspects of psychological health in professional singers. The study shows that professional singers have lower values in 16 out of 27 burnout markers in comparison with a representative sample. The other eleven burnout variables did not show a statistically significant difference between the two groups. The predictors of the regression analysis explained up to 40 percent of the variance of the criterion burnout. The strongest predictors were recovery skills, optimism and pessimism. Perfectionism, which is strongly pronounced in musicians, could not be identified as a significant predictor. With regard to preventive or rehabilitative interventions, it seems to be more effective to concentrate on the resources (recovery skills, optimism) instead of the allegedly negative aspects (perfectionism) when it comes to (potential) burnouts of professional singers.

Keywords: psychological strain, mental health, singers, burnout, perfectionism, optimism, pessimism, recovery skills

Einleitung und theoretischer Hintergrund

Tagtäglich sorgen Sänger/innen auf den Konzertbühnen dieser Welt dafür, dass das Publikum emotional bewegt nach Hause geht. Doch wie geht es den Sänger/innen selbst dabei? Über die psychische Gesundheit und das Wohlbefinden von professionellen Sänger/innen ist bislang wenig bekannt. Verschiedene Forscher/innen bemängeln eine diesbezüglich stark defizitäre Forschungslage (Clift et al., 2008; Hannig, 2004; Heller et al., 2015; Kreutz, 2014; Spahn et al., 2010). Die vorhandenen Studien sind häufig mit methodischen Mängeln behaftet und/oder wurden mit sehr kleinen Stichproben durchgeführt (vgl. dazu Clift et al., 2008). Besonders Studien mit professionellen Sänger/innen sind kaum vorhanden. Dass solche Studien jedoch notwendig sind, legen erste Befunde aus komparativ angelegten Forschungsarbeiten nahe.

So konnten Grape et al. (2003) mittels der Erfassung physiologischer und psychologischer Maße zeigen, dass sich zwischen Berufs- und Laiensänger/innen deutliche Unterschiede nach der Teilnahme an einer Gesangsstunde mit Blick auf physiologische und emotionale Parameter finden lassen:

„The professionals were more physiological fit for singing, but did not experience the same well-being as amateurs seemed to do. The amateurs experienced more well-being and were clearly more enthusiastic. They also reported increased joy after the lesson, which the professionals did not.” (S. 73)

Gemeinsam sei beiden Gruppen, dass sie sich nach dem Gesangsunterricht energiegeladener und entspannter fühlten. Die Profisänger/innen seien während der Gesangsstunde zielorientierter gewesen und hätten sich auf gesangstechnische Aspekte, den Vokaltrakt oder den Körper fokussiert. Die Laiensänger/innen hingegen hätten die Gesangsstunde eher als Möglichkeit zur Selbstverwirklichung und zum Selbstausdruck benutzt, um dadurch emotionale Anspannungen abbauen zu können.

In der Studie von Hannig (2004) wurde die Prävalenz und Selbsteinschätzung psychischer Störungen bei professionellen Opernsänger/innen (N = 169) untersucht. Hannig (2004) konnte zeigen, dass sich bei mehr als einem Viertel der untersuchten Sänger/innen (27%) ein Verdacht auf das Vorliegen einer psychischen Störung ergab. Besonders gefährdet scheinen jüngere Sänger/innen unter 40 Jahren, Sängerinnen sowie Befragte mit unsicherer Arbeitsplatzsituation zu sein. Fast 40 Prozent der Opernsänger/innen gaben in dieser Untersuchung an, unter psychischen Problemen (39%) und Überanstrengung (37%) zu leiden. Ebenfalls fast 40 Prozent der befragten Profisänger/innen haben schon einmal darüber nachgedacht, den Beruf aufgrund psychischer Belastungen zu wechseln.

Beck et al. (2000) untersuchten in ihrer Studie professionelle Chorsänger/innen (N = 41) während zweier Proben und eines Auftritts. Mittels einer von den Forschenden selbst konstruierten Singers Emotional Experiences Scale konnten sie zeigen, dass die Sänger/innen beim Auftritt sowohl die positiven Emotionen (Freude, Aufregung) als auch die negativen (Angst) stärker erlebten als in Probensituationen.

In der Studie von Kwak et al. (2014) wurden drei verschiedene Gruppen von Sänger/innen (N = 110; „undergraduate“, „master's“, „doctoral/young artists“) miteinander verglichen. Die Gruppe der erfahrensten Sänger/innen zeigte signifikant mehr Angst vor dem Besuch eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes als die beiden anderen Gruppen mit den weniger erfahrenen Sänger/innen. Als eine mögliche Erklärung für diesen Befund führen die Autor/innen an, dass fortgeschrittene Sänger/innen mehr zu verlieren haben mit Blick auf die Entdeckung potentiell leistungseinschränkender Verletzungen oder Erkrankungen. Zwischen den drei Gruppen gab es jedoch keine signifikanten Unterschiede bezüglich der Ängste vor Stimmerkrankungen, dem Besuch eines Logopäden/einer Logopädin sowie umfangreichen medizinischen Untersuchungen.

Aufgrund der bisherigen Forschungslage ist nach wie vor unklar, ob bei Profisänger/innen eher die protektiven Wirkungen des Singens zum Tragen kommen oder ob es durch die mit dem Beruf verbundenen Belastungen zu einer erhöhten emotionalen Erschöpfung kommt. Ein theoretisches Modell, mit welchem sich sowohl potentiell positive als auch negative Effekte des Singens erklären lassen, wurde von von Georgi, Bötsch und Fedorov (2016) mit dem sogenannten „Integrativen Person-Environment-Fit Modell“ vorgelegt. Entscheidend sei hierbei das Wechselspiel zwischen personalen Ressourcen, Tätigkeitsanforderungen und Umweltgegebenheiten. Eine negative Passung zwischen Person und Umwelt, bei welcher die physischen und psychischen Ressourcen einer Person geringer sind, als es die jeweiligen Umgebungsbedingungen und Aufgabenmerkmale erfordern, könne zu körperlicher und psychischer Belastung, Stress, Überforderung, Angst und Vermeidung führen. Auch eine positive Passung, bei welcher die Ressourcen der Person höher sind als die Erfordernisse der jeweiligen Tätigkeit, sei nicht wünschenswert, da es hierbei zu Langeweile, Unterforderung, Desinteresse, Ablenkung sowie einem Tätigkeitswechsel kommen könne. Ziel ist ein ausgewogener Fit zwischen den physischen und psychischen Ressourcen einer Person und den Umgebungsbedingungen sowie Aufgabenmerkmalen einer Tätigkeit (von Georgi et al., 2016). Dies führe zu positivem Affekt und positiver Aktiviertheit, Selbstkongruenz, Flowerleben und subjektivem Wohlbefinden.

Ein ähnliches Modell, welches sich explizit auf Burnout bezieht, findet sich bei Geuenich und Hagemann (2014). Im Rahmen der Entwicklung der Burnout-Screening-Skalen (BOSS) haben die Autoren ein „Multifaktorielles Arbeitsmodell des BOSS“ (S. 19 ff.) entwickelt. Bei diesem Modell werden ebenfalls Umweltbedingungen (Belastungen und Ressourcen) von Merkmalen der Person (Belastungen und Ressourcen) unterschieden. Zu den Umweltbedingungen zählen der Beruf, die Familie, die Partnerin/der Partner und der Freundeskreis. Die Belastungen und Ressourcen der Person umfassen die drei Ebenen Körper, Kognition und Emotion. Aus diesen persönlichen und umweltbezogenen Bedingungen ergeben sich sowohl direkte Effekte als auch mediierte Effekte, welche die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Lebenszufriedenheit einschränken oder stärken können (Geuenich & Hagemann, 2014).

Burnout und emotionale Erschöpfung

Im Rahmen der vorliegenden Studie wird Burnout gefasst als ein „Zustand der psychischen und mentalen Erschöpfung“ (Geuenich & Hagemann, 2014, S. 17), welcher einhergeht „mit zahlreichen psychischen und psychosomatischen Beschwerden, insbesondere depressiven Symptomen und körperlichen Dysfunktionen“ (Geuenich & Hagemann, 2014, S. 17).

Eine Berufsgruppe, die besonders intensiv mit Blick auf Erschöpfungszustände und Burnout untersucht wurde, sind Lehrer/innen (Geuenich & Hagemann, 2014; Hofbauer, 2017). So erreichen nur 10 Prozent der Lehrkräfte das reguläre Rentenalter (Hofbauer, 2017). Gerade Musiklehrer/innen seien deutlich höher belastet als Lehrer/innen anderer Fächer. Darüber hinaus leiden bereits Schulmusikstudierende unter Stress- und Burnout-Symptomen (Hofbauer, 2017). Auch andere Berufsgruppen wie beispielsweise Mediziner/innen sind überdurchschnittlich stark von Burnout betroffen (Geuenich & Hagemann, 2014). Daneben gibt es Berufsgruppen, deren Burnoutbelastung unterhalb des Durchschnitts liegt. Dazu zählen etwa Tänzer/innen. So konnten Nordin-Bates, Raedeke und Madigan (2017) in ihrer Studie mit professionellen (angehenden) Tänzer/innen zeigen, dass diese nur niedrige bis mäßig ausgeprägte Burnoutsymptome aufweisen.

Darüber, inwieweit auch professionelle Sänger/innen von solchen Erschöpfungszuständen und Burnout betroffen sind, ist bislang kaum etwas bekannt. Eine Untersuchung mit 2 536 Orchestermusiker/innen aus Deutschland ergab, dass über 90 Prozent der befragten Berufsmusiker/innen angaben, aktuell bei ihrer Musikausübung unter Lampenfieber zu leiden (Gembris & Heye, 2012). Bei einer Untersuchung mit 2 212 Orchestermusiker/innen aus den USA zeigte sich folgendes Bild: 21 Prozent der Profimusiker/innen gaben an, unter akuter Angst zu leiden, 24 Prozent unter Depressivität, 19 Prozent hatten Schlafstörungen und 40 Prozent litten unter Auftrittsangst (Fishbein et al., 1988).

Fest steht, dass es sich bei der Tätigkeit einer Sängerin/eines Sängers um einen Beruf handelt, dessen Ausübung von einer Reihe möglicher Stressoren begleitet wird. Als Beispiele können innerer und äußerer Leistungsanspruch, Konkurrenzdruck, Stellenknappheit, Umfang des zu erlernenden Repertoires, rasantes Arbeitstempo während der Proben, künstlerische Einschränkung durch die Dirigentin/den Dirigenten, die Erwartungshaltung des Publikums und Belastungen durch ständiges Üben genannt werden (für eine Übersicht vgl. Hofbauer, 2017). Für Hannig (2004) gibt es kaum eine andere Berufsgruppe, „die solch hohen punktuellen Stressbelastung[en]” (S. 1) ausgesetzt ist.

Bislang liegen keine Untersuchungen dazu vor, inwieweit diese und andere Belastungsfaktoren und Beanspruchungen auch bei Sänger/innen zu emotionaler Erschöpfung und Burnout führen. Zusätzliche Relevanz bekommt eine solche Untersuchung dadurch, dass sich Gefühle sowie psychische Unsicherheiten bei Sänger/innen direkt auf deren stimmliche Leistungsfähigkeit auswirken (können) (Spahn et al., 2010). Als Sänger/in besteht darüber hinaus durch das intensive Einbringen der Persönlichkeit eine besonders starke Identifizierung mit dem eigenen Beruf (Hannig, 2004).

Ein weiteres Indiz dafür, dass es sich bei professionellen Sänger/innen um eine stark belastete Berufsgruppe handelt, ist der verbreitete Missbrauch von Genussmitteln und Medikamenten. In der Studie von Hannig (2004) gaben 16 Prozent der Opernsänger/innen an, zur Bewältigung von übermäßiger Anspannung und Nervosität Alkohol oder Medikamente einzunehmen.

Perfektionismus

Ähnlich wie Sportler/innen (Madigan et al., 2016) könnten auch Sänger/innen durch das intensive Üben und die permanente Wettbewerbssituation besonders anfällig für Burnout sein. Ein Faktor, der immer wieder in Zusammenhang mit Burnout diskutiert wird, ist das Persönlichkeitsmerkmal Perfektionismus (Geuenich & Hagemann, 2014; Ortmann, 2016). Im Kontext der hier präsentierten Forschungsarbeit wird Perfektionismus gefasst als „die Überzeugung, dass perfekte Zustände existieren und dass Menschen versuchen sollten, sie zu erreichen“ (Spitzer, 2016, S. 26).

Als Heuristik werden in der Perfektionismusforschung auf Basis des Zwei-Faktoren-Modells beziehungsweise des hierarchischen Perfektionismus-Modells zwei unterschiedliche Perfektionismusdimensionen unterschieden: perfektionistisches Streben (PS) und perfektionistische Bedenken (PB) (Hill, Jowett & Mallinson-Howard, 2018). PS umfasse hohe persönliche Ansprüche, selbstbezogenen Perfektionismus und perfektionistisches Streben. Zur Dimension PB zählen Sorgen über mögliche Fehler, negative Reaktionen in Bezug auf unvollkommene Leistungen sowie sozial vorgeschriebener Perfektionismus (Hill et al., 2018).

Ebenso wie beim Sport und Tanz (Hill et al., 2018), liegt es auch mit Blick auf die Ansprüche einer professionellen Musikausübung nahe, Perfektionismus als zentralen Aspekt der Musikerpersönlichkeit zu betrachten (Mor et al., 1995). So verlangt die Tätigkeit als Berufsmusiker/in ausgereifte Fähigkeiten in unterschiedlichen Bereichen (unter anderem motorische Fähigkeiten, Koordination von Bewegungsmustern, Aufmerksamkeit, Gedächtnisleistungen, ästhetische und interpretative Leistungen), wobei diese durch jahrelanges Training, das Üben in sozialer Abgeschiedenheit sowie intensive Selbstevaluation in nahezu perfekte musikalische Leistungen münden (Kenny et al., 2004). Spahn et al. (2010) weisen darauf hin, dass dieser Zusammenhang zwischen hohen Anforderungen und deren (notwendigerweise) nahezu perfekter Erfüllung bei gleichzeitig zu erbringender Emotionsarbeit auch bei Profisänger/innen zu finden ist: „The requirements a vocal performer has to meet are high: ‚artificial‘ feelings are to be presented with absolute technical mastery and perfection“ (S. 175).

In einer aktuellen Meta-Analyse untersuchten Hill und Curran (2016) den Zusammenhang zwischen verschiedenen Dimensionen von Perfektionismus und Burnout. Sie fanden heraus, dass PS niedrige negative Korrelationen oder nicht-signifikante Zusammenhänge mit Burnout aufweist. Demgegenüber zeigten sich für PB moderate bis hohe positive Effektstärken.

Für den Leistungssport liegen mehrere Fallbeispiele vor, welche die kritischen Einflüsse einer perfektionistischen Einstellung, des damit verbundenen Stresses und der emotionalen Erschöpfung auf die Leistung dokumentieren (Hill et al., 2018). Gleichzeitig wird dem Perfektionismus auch ein hohes Motivationspotential zugeschrieben (Hill et al., 2018). Hill et al. (2018) konstatieren in ihrer aktuellen Forschungssynopse, dass sich für PS positive Zusammenhänge sowohl für adaptive als auch maladaptive Kriteriumsvariablen finden lassen. Mit Blick auf Studien, in denen der Zusammenhang zwischen Perfektionismus und Burnout bei Athlet/innen untersucht wurde, kommen die Forschenden zu dem Schluss, dass gerade höhere PB-Ausprägungen dazu beitragen könnten, dass die Sportler/innen die an sie gerichteten Anforderungen nicht mehr bewältigen können.

In einer Längsschnittstudie mit jungen Athlet/innen (N = 111, M = 24,8, SD = 5,1) untersuchten Madigan, Stoeber und Passfield (2016) den Zusammenhang zwischen Perfektionismus und Burnout. Die Forschenden fanden heraus, dass die Perfektionismuswerte zum ersten Messzeitpunkt ein geeigneter Prädiktor sind, um die Burnoutsymptome zum zweiten Messzeitpunkt (3 Monate später) vorherzusagen: PB erwies sich im Rahmen regressionsanalytischer Untersuchungen als signifikanter Prädiktor für eine höhere Burnoutausprägung, wohingegen höhere PS-Werte niedrigere Burnoutausprägungen vorhersagen konnten.

In einer Studie mit professionellen (angehenden) Tänzer/innen konnten Nordin-Bates, Raedeke und Madigan (2017) zeigen, dass diese mittlere bis hohe Perfektionismuswerte aufwiesen und niedrig bis mäßig ausgeprägte Burnoutsymptome. Besonders Tänzer/innen mit bestimmten Perfektionismusprofilen („mixed perfectionism“ und „ECP“) berichteten von häufigen Burnoutsymptomen. Mit Blick auf die Burnout-Komponente „Erschöpfung“ konnten die Forscher/innen nachweisen, dass sich bei den Tänzer/innen mit den geringsten Perfektionismuswerten auch die geringsten Burnoutausprägungen fanden.

In einer Studie mit Studierenden wurde gezeigt, dass der Zusammenhang zwischen Stress und Depressivität nur bei Personen signifikant wurde, welche auf einer Skala zur Erfassung perfektionistischer Einstellungen Werte oberhalb des Medians aufwiesen (Hewitt & Dyck, 1986). So zeigte sich bei dieser Gruppe ein Zusammenhang von r(45) = ,27, p < ,05 zum ersten Messzeitpunkt und von r(52) = ,32, p < ,05 zum zweiten Messzeitpunkt, wohingegen sich in der Gruppe mit Perfektionismuswerten unterhalb des Medians nur Korrelationen von r(56) = -,10, p > ,05 (Messzeitpunkt 1) und r(49) = ,01, p > ,05 (Messzeitpunkt 2) ergaben.

Mit Blick auf die skizzierten Befunde ist es umso erstaunlicher, dass Perfektionismus bislang bei Profimusiker/innen kaum untersucht wurde (Kenny et al., 2004).

Eine (übertrieben) selbstkritische Haltung ist bei Sänger/innen durchaus nicht selten: So gaben in einer Befragung 17 Prozent der professionellen Opernsänger/innen an, dass sie selten oder fast nie die Leistungen erbringen können, die sie von sich selbst erwarten (Hannig, 2004). Mor et al. (1995) untersuchten den Zusammenhang zwischen Perfektionismus, Kontrolle und verschiedenen Aspekten der Auftrittsangst bei professionellen Künstler/innen (Musiker/innen, Schauspieler/innen, Tänzer/innen). Das Forschungsteam fand heraus, dass Künstler/innen mit höheren Perfektionismusausprägungen („personal standard of perfection“, Beispielitem: „I must work to my full potential at all times“; „social standard of perfection“; Beispielitem: „The people around me expect me to succeed at everything I do“) gleichzeitig auch mehr sie einschränkende Angst erlebten als dies bei Künstler/innen mit niedrigeren Perfektionismuswerten der Fall gewesen ist. In einer Regressionsanalyse erwiesen sich sowohl die beiden Haupteffekte „selbstbezogener Perfektionismus“ und „Kontrolle“ als auch der Interaktionsterm der beiden Haupteffekte als signifikant bei der Vorhersage leistungshemmender Angst.

Kenny et al. (2004) konnten in ihrer Studie unter Verwendung der Frost Perfectionism Scale zeigen, dass sich in einer hierarchischen Regression mittels des Persönlichkeitsmerkmals Perfektionismus 28 Prozent der Varianz von Bühnen/-Auftrittsangst erklären lassen. Zusammen mit den beiden Variablen Angst (STAI-T) und Bühnen-/Auftrittsangst (CM-MPAS) konnte die Variable Perfektionismus fast 45 Prozent der Varianz des Kriteriums psychische Belastung erklären.

Optimismus/Pessimismus

Optimist/innen nehmen die Welt anders wahr als Pessimist/innen und diese unterschiedliche Sicht scheint auch Einflüsse auf das psychische Wohlbefinden und die allgemeine Gesundheit zu haben (Gustafsson & Skoog, 2012). Das Persönlichkeitsmerkmal Optimismus-Pessimismus bezieht sich auf „Erwartungen hinsichtlich zukünftiger Ereignisse“ (Kemper et al., 2014, S. 3). Nach Kemper et al. (2014) bestätigen empirische Befunde, dass interindividuelle Unterschiede bezüglich Optimismus-Pessimismus deutliche Auswirkungen etwa auf die Lebenszufriedenheit, das Selbstkonzept und die Gesundheit von Personen haben können und darauf, wie diese mit alltäglichen Problemen und Herausforderungen umgehen. Im Rahmen der Validierung der Skala Optimismus-Pessimismus-2 (SOP2) konnten Kemper et al. (2014) einen starken Zusammenhang zwischen Optimismus-Pessimismus und globaler Lebenszufriedenheit (r = ,58, p < ,01) sowie einen moderaten Zusammenhang zwischen Optimismus-Pessimismus und psychischer Gesundheit (r = -,38, p < ,01) ermitteln.

Optimist/innen scheinen ihr Leben als weniger stressig wahrzunehmen und sie scheinen weniger Burnout-Symptome zu verspüren (Gustafsson & Skoog, 2012). Diese Annahme lässt sich durch die Befunde einer Studie von Gustafsson und Skoog (2012) bestätigen. Die Forschenden untersuchten den Zusammenhang zwischen Optimismus und Burnout bei jungen Athlet/innen im Alter zwischen 16 und 19 Jahren an schwedischen Sporthochschulen. Für Optimismus konnte ein negativer Zusammenhang für alle drei Burnout-Skalen nachgewiesen werden: „emotional/physical exhaustion“ r = -,17 (p < ,001), „sport devaluation“ r = -,27 (p < ,001) und „reduced accomplishment“ r = -,40 (p < ,001). Das bedeutet, dass die Sportler/innen mit höheren Optimismuswerten geringere Burnoutbelastungen aufwiesen. Im Rahmen von hierarchischen Regressionsanalysen konnten die Forschenden darüber hinaus zeigen, dass der Zusammenhang zwischen Optimismus und Burnout bei zwei der drei Burnout-Dimensionen vollständig durch die Variable „perceived stress“ mediiert wird.

Auch wenn bislang kaum/keine Befunde zur Bedeutung von Optimismus-Pessimismus für die Berufsausübung von Profisänger/innen vorliegen, könnte es gerade mit Blick auf die zahlreichen Belastungsfaktoren und Herausforderungen im Berufsleben einer Sängerin/eines Sängers ausschlaggebend für die psychische Gesundheit und das seelische Wohlbefinden sein, mit welchen Einstellungen und inneren Haltungen die Sänger/innen diesen Anforderungen begegnen.

Erholungskompetenz

Um möglichen negativen Konsequenzen von Ermüdung, chronischer Erschöpfung und verringerter Leistungsfähigkeit entgegenzuwirken, könnte es entscheidend sein, inwiefern Personen in der Lage sind, sich von den Anforderungen ihres Berufs angemessen zu erholen. Erholungskompetenz wird im Rahmen dieser Arbeit verstanden als „die Auswahl eines jeweils kompensatorisch an den auszugleichenden Beanspruchungszustand angepassten Erholungssetting“ (Krajewski et al., 2013, S. 15). Um sich von den beruflichen Beanspruchungen zu regenerieren, gibt es Krajewski et al. (2013) zufolge zwei Möglichkeiten: Auf der einen Seite sind Maßnahmen dazu geeignet, welche die Intensität und Dauer von Belastungsphasen reduzieren. Auf der anderen Seite verringern Maßnahmen, mit denen die Erholungsphasen verlängert und intensiviert werden können, diese negativen Konsequenzen. Die konkrete Umsetzung der Erholungsphase werde von vier Faktoren bestimmt: der Erholungskultur, -infrastruktur, -bereitschaft und -fähigkeit. Somit lassen sich Pausenrealisationen hinsichtlich ihrer spezifischen Erholungstätigkeit (zum Beispiel Spazierengehen versus Napping), dem Erholungsort (beispielsweise betriebliche versus private Räume), Begleitpersonen (etwa unter Kolleg/innen versus allein) und dem Konsum von aktivierenden oder deaktivierenden Substanzen unterscheiden (Krajewski et al., 2013). Zusätzlich müsse der Ausgangszustand der Person berücksichtigt werden, also ob diese eher müde, angespannt oder gesättigt sei. Erholungsergebnisse sowie energetische, motivationale und emotionale Leistungsvoraussetzungen spielen hinsichtlich Leistung, Lebensqualität, Sicherheit und Gesundheit eine zentrale Rolle (Krajewski et al., 2013). Die Erholungsergebnisse wiederum würden maßgeblich beeinflusst von der individuellen Erholungskompetenz der jeweiligen Person. Die Erfassung von Erholungskompetenz kann entweder output- oder determinantenbezogen erfolgen (Krajewski et al., 2013). Bei der outputorientierten Erfassung von Erholungskompetenz werde diese erschlossen aus der erzielten Verbesserung der Ressourcensituation (Erholungsgewinn) und der vorliegenden Erholungsaufgabenschwierigkeit (Widrigkeit der Erholungsinfrastruktur und der Erholungskultur). Anders als beim outputorientierten Ansatz zur Erfassung von Erholungskompetenz gehe es beim determinantenbezogenen Ansatz darum, zu erklären, welche Voraussetzungen bestimmte Pausenformen wahrscheinlich machen.

Zur Frage, welche Rolle eine angemessene Erholung von den beruflichen Strapazen mit Blick auf die Entstehung von Burnout bei professionellen Sänger/innen spielt, liegen bislang ebenfalls keine empirisch gesicherten Ergebnisse vor.

Forschungsfragen

Folgende Fragestellungen liegen dieser Studie zugrunde:

  1. Welche Zusammenhänge zeigen sich zwischen Burnout, Perfektionismus, Optimismus, Pessimismus und Erholungskompetenz bei Berufssänger/innen?

  2. Unterscheiden sich die Burnout-Werte von professionellen Sänger/innen im Vergleich mit einer repräsentativen Eichstichprobe?

  3. Welche Variablen tragen zur Varianzaufklärung der Burnout-Werte bei?

Methode

Messinstrumente

Zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden die folgenden Messinstrumente ausgewählt.

Burnout

Es wurden die Burnout-Screening-Skalen (BOSS; Geuenich & Hagemann, 2014) verwendet. Zum Einsatz kamen die Skalen von BOSS I (Skalen Beruf, eigene Person, Familie, Freunde) und BOSS II (Skalen körperliche, kognitive und emotionale Beschwerden). Die Items wurden auf einer Skala von 0 = „trifft nicht zu“ bis 5 = „trifft stark zu“ vorgegeben. Die Items beziehen sich auf einen Beurteilungszeitraum von drei Wochen. Die Skala „Beruf“ erfasst mit 10 Items Beschwerden im Bereich der Arbeit (Beispielitem: „Die Freude an meiner Arbeit ist mir verloren gegangen“). Mit der Skala „Eigene Person“ werden mittels 10 Items das Selbst, die Individualität sowie die individuelle Gesamtsituation der Probandin/des Probanden in den Blick genommen (Beispielitem: „Ich bin mir selbst fremd geworden“). Die fünf Items der Skala „Familie“ fragen nach Spannungen und Konflikten, aber auch Tendenzen zur Vernachlässigung innerhalb der Familie (Beispielitem: „Wir drohen uns zunehmend zu entfremden“). Mit der Skala „Freunde“ werden die Rückzugstendenzen, innere Abkapselung sowie Spannungen innerhalb des Freundeskreises erfasst (Beispielitem: „Ich ziehe mich häufig aus sozialen Kontakten zurück“). Neben dem BOSS I wurden auch die Skalen des BOSS II eingesetzt. Die drei Skalen erfragen körperliche, kognitive und emotionale Beschwerden und bestehen jeweils aus 10 Items. Der Beurteilungszeitraum beträgt beim BOSS II sieben Tage. Die Skala „Körperliche Beschwerden“ erfasst körperliche Missempfindungen und Schmerzen. Ein Schwerpunkt liegt auf Beschwerden des Herz-Kreislauf-Systems (Beispielitem: „Ich spüre eine beklemmende Enge über der Brust“). Mit der Skala „Kognitive Beschwerden“ wird untersucht, inwieweit die Probandin/der Proband angibt, unter Beschwerden hinsichtlich etwa Konzentration, Aufmerksamkeitslenkung, Grübelneigung, Perfektionismus oder Entschlussfreudigkeit zu leiden (Beispielitem: „Meine Kreativität ist verloren gegangen“). Mit der Skala „Emotionale Beschwerden“ werden spezifische Gefühlsregungen (zum Beispiel Ängste, Reizbarkeit, Schamgefühl, Misstrauen) sowie emotional gebahnte Einstellungen zur eigenen Person (zum Beispiel Selbstvertrauen) und Verhaltenstendenzen (etwa Rückzug) erfasst (Beispielitem: „Ich fühle mich gereizt und überspannt“).

Für alle Skalen von BOSS I und II lässt sich ein Gesamtwert bilden. Der Gesamtwert gibt die durchschnittliche Belastung der Teilnehmenden an. Der Gesamtwert differenziert jedoch nicht zwischen der Anzahl der Belastungen (Anzahl der Items, die von den Proband/innen mit einem Wert größer als 0 angekreuzt wurden) oder deren Intensität (dem Mittelwert der Items, die von den Proband/innen mit einem Wert größer als 0 angekreuzt wurden). Daher lassen sich neben einem Gesamtwert für die Skalen des BOSS I und II auch Intensitäts- (I) und Breitenwerte (B) berechnen. Für den Intensitätswert werden nur diejenigen Items berücksichtigt, welche von den Proband/innen einen Wert größer als 0 erhalten haben. Alle Items, bei denen die Proband/innen für sich keine Belastungen ausmachen können, werden bei der Berechnung des Intensitätswerts aus der Auswertung hinausgenommen. Aus den verbleibenden Items der jeweiligen Skala wird dann − analog wie beim Gesamtwert − der Mittelwert berechnet. Mit dem Breitenwert werden die Anzahl von Beschwerden je Skala erfasst. Je größer der Breitenwert, umso mehr Items wurden von der Probandin/dem Probanden mit einem Wert größer als 0 eingestuft. Die Gesamt-, Intensitäts- und Breitenwerte lassen sich in Form eines Globalwertes auch für den gesamten Fragebogen von BOSS I und II berechnen. Diese Globalwerte geben die Gesamtbelastung über alle Skalen des jeweiligen Fragebogens hinweg an.

Die Reliabilitäten (Cronbachs Alpha) der Skalen des BOSS I betragen bei der untersuchten Stichprobe α = ,83 (Skala „Beruf“), α = ,87 (Skala „Eigene Person“), α = ,84 (Skala „Familie“) und α = ,75 (Skala „Freunde“). Die Reliabilitäten der Skalen des BOSS II liegen bei α = ,77 (Skala „Körperliche Beschwerden“), α = ,91 (Skala „Kognitive Beschwerden“) und α = ,91 (Skala „Emotionale Beschwerden“). Die Reliabilität für die Gesamtskala des BOSS I liegt bei α = ,93 und für die Gesamtskala des BOSS II bei α = ,94.

Perfektionismus

Ausgewählt wurde die Skala „Persönliche Ansprüche“ (Personal Standards, PS) der Frost Multidimensional Perfectionism Scale-Deutsch (FMPS-D; Stöber, 1995). Diese umfasst 7 Items, welche fünffach skaliert sind (1 = „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 = „trifft ganz genau zu“). Beispielitem: „Es ist wichtig für mich, in allem, was ich tue, vollkommen kompetent zu sein.“

Für die Perfektionismus-Skala beträgt die Reliabilität bei der vorliegenden Untersuchung α = ,84.

Erholungskompetenz

Die Fähigkeit der Sänger/innen, sich von ihren beruflichen Belastungen zu erholen, wurde anhand der Kurzform der Erholungskompetenz-Skala (EKS-10; Krajewski et al., 2013) erfasst. Die Kurzversion besteht aus 10 Items, welche sieben unterschiedliche Subfacetten von Erholungskompetenz abbilden. Dazu zählen Verausgabungstendenz/Beanspruchungssensitivität; sekundärer Belastungsgewinn; leistungsbezogenes Selbstbild/Erholungsselbstkonzession; Wertigkeit von Erholung, dysfunktionale Erholungseinstellung; Durchsetzungsstärke, Nonkonformität und Erholungskreativität; Simplifizierung und Abschirmungsgrad; Distanzierungsfähigkeit. Ein Beispielitem lautet: „Ich bekomme von meinem privaten Umfeld Anerkennung, wenn ich viel im Job arbeite“ (sekundärer Belastungsgewinn). Die Items wurden im fünfstufigen Format von 1 = „trifft überhaupt nicht zu“ bis 5 = „trifft ganz genau zu“ skalierti.

Die Reliabilität (Cronbachs Alpha) für die Erholungskompetenz-Skala beträgt bei der vorliegenden Stichprobe α = ,66 (α = ,70)ii.

Optimismus-Pessimismus

Zusätzlich wurde das Persönlichkeitsmerkmal „Optimismus-Pessimismus“ der Sänger/innen erhoben. Optimismus-Pessimismus wurde mittels der Skala „Optimismus-Pessimismus-2 (SOP2)“ von Kemper et al. (2014) erfasst. Diese besteht aus zwei Items (jeweils eines für Optimismus und Pessimismus). Beispielitem für Optimismus: „Optimisten sind Menschen, die mit Zuversicht in die Zukunft blicken und meistens Gutes erwarten. Bitte schätzen Sie sich selbst ein: Wie optimistisch sind Sie im Allgemeinen?“. Die Items wurden auf einer siebenstufigen Ratingskala vorgegeben. Die Antwortkategorien reichen von „gar nicht optimistisch/pessimistisch“ (1) bis zu „sehr optimistisch/pessimistisch“ (7).

Weitere (soziodemografische) Variablen und Datenerhebung

Erhoben wurde außerdem: Alter, Geschlecht, Stimmfach, durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, Merkmale des Beschäftigungsverhältnisses (befristet versus unbefristet), Belastungsfaktoren, körperliches und psychisches Befinden.

Die Datenerhebung erfolgte online mit Hilfe von EvaSys. Zur Datenauswertung wurden SPSS (Version 19) und Stata (Version 14 SE) verwendet. Die inferenzstatistische Auswertung erfolgte mittels Korrelationsanalysen, t-Tests sowie simultanen und hierarchischen Regressionsanalysen. Die Signifikanzgrenze wurde bei α = ,05 festgelegt. Proband/innen mit fehlenden Werten wurden von den jeweiligen Analysen ausgeschlossen.

Beschreibung der Stichprobe

Die Stichprobe besteht aus professionellen Sänger/innen (N = 313). Diese wurden über die Kontaktierung verschiedener Netzwerke (beispielsweise „Bund Deutscher Gesangspädagogen“, „Deutscher Tonkünstlerverband“) sowie von Theatern in Deutschland, Österreich und der Schweiz auf die Onlineerhebung aufmerksam gemacht. Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie war, dass die Sänger/innen ihre Tätigkeit beruflich ausüben oder dies in der Vergangenheit getan haben.

Von den Teilnehmenden geben 81 Prozent an, dass sie aktuell als Sänger/in aktiv sind, 18 Prozent waren dies in der Vergangenheit, 4 Prozent möchten zukünftig wieder als Sänger/in tätig sein (Mehrfachnennungen waren möglich). 95 Prozent der Studienteilnehmenden verfügen über eine gesangs-/musikpädagogische Ausbildung. Die Befragten sind überwiegend weiblich (72%), 27 Prozent sind männlichiii. Die meisten Sänger/innen sind verheiratet (43%), 21 Prozent sind ledig, 19 Prozent befinden sich in einer festen Partnerschaft, 9 Prozent geben eine Lebenspartnerschaft als Familienstand an, 7 Prozent sind geschieden oder leben getrennt, eine Person ist verwitwet. Das durchschnittliche Alter der Proband/innen liegt bei 45 Jahren (SD = 10,72), bei einer Spannweite von 21 bis zu 73 Jahren. Bezüglich des Stimmfachs setzt sich die Stichprobe wie folgt zusammen: 39 Prozent Sopranistinnen, 26 Prozent Mezzo-Sopranistinnen, sieben Prozent Altistinnen, 9 Prozent Tenöre, 15 Prozent Baritonsänger und zwei Prozent Bässe. Die Mehrheit der Sänger/innen ist selbstständig/freiberuflich tätig (53%), die restlichen sind entweder angestellt (34%) oder verbeamtet (13%). Von den angestellten und verbeamteten Sänger/innen geben 25 Prozent an, dass sie befristet beschäftigt sind, 75 Prozent sind nach eigener Angabe unbefristet beschäftigt. 28 Prozent der Berufssänger/innen sind an einem Theater beschäftigt, 72 Prozent als freiberuflich Singende tätig und 13 Prozent als Sänger/in in einer Formation/Band aktiv (Mehrfachnennungen waren möglich). Die durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit der Profimusiker/innen liegt bei 32 Stunden (SD = 12,91), mit einer Spannweite von einer Stunde bis zu 70 Stunden.

Da nicht alle Teilnehmenden an der Studie in Vollzeit als Sänger/in tätig sind, wurde untersucht, ob sich hinsichtlich der interessierenden Variablen Gruppenunterschiede in Abhängigkeit von der wöchentlichen Arbeitszeit finden lassen. Dazu wurden die Sänger/innen zunächst in drei Gruppen aufgeteilt: Die erste Gruppe bestand aus Sänger/innen, bei denen bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitszeit auf das Singen entfällt (18%), die zweite Gruppe waren Sänger/innen mit einem Anteil zwischen 51 und 80 Prozent (27%), und die dritte Gruppe setzte sich aus Sänger/innen zusammen, die mindestens 81 Prozent ihrer wöchentlichen Arbeitszeit dem professionellen Singen widmen (55%). Für die Variablen Perfektionismus, Optimismus, Pessimismus, Erholungskompetenz und Burnout (mit 27 Kennwerten) wurden einfaktorielle Varianzanalysen gerechnet, um potentielle Gruppenunterschiede zu identifizieren. Bei keiner der insgesamt 31 Variablen wurde der F-Wert der Varianzanalyse statistisch signifikant. Aufgrund der Homogenität dieser drei Gruppen wurden diese für die folgenden Analysen als eine Gesamtgruppe behandelt.

Ergebnisse

Überprüfung von Multikollinearitäten

Potentielle Multikollinearitäten zwischen den Skalen von BOSS I und II (insbesondere der Skala „Kognitive Beschwerden“, welche Perfektionismus als Subfacette enthält) und der Perfektionismus-Skala sowie zwischen der Perfektionismus- und der Erholungskompetenz-Skala wurden mittels des Varianzinflationsfaktors (VIF) und der Toleranz überprüft. Die ermittelten Werte der Toleranz lagen bei beiden Regressionsanalysen deutlich über ,10 (niedrigster Wert: ,36), die des Varianzinflationsfaktors deutlich unter 10 (höchster Wert: 2,82). Somit kann davon ausgegangen werden, dass zwischen den in die Regressionsanalysen aufgenommenen Prädiktoren gemäß den Grenzwerten von Eid et al. (2011) keine problematischen Kollinearitäten bestehen.

Deskriptivstatistiken

Ihr aktuelles körperliches Befinden beurteilen die befragten Sänger/innen als eher gut (M = 2,34, SD = 1,07). Die Frage nach dem Vorhandensein einer ernstzunehmenden körperlichen Erkrankung wird von 13 Prozent bejaht, von 84 Prozent verneint. Fünf Prozent der Profisänger/innen geben an, dass bei ihnen aktuell eine ernstzunehmende psychische Erkrankung vorliegt, bei 92 Prozent scheint dies nicht der Fall zu sein. Neun Prozent der Befragten befinden sich aktuell in psychotherapeutischer Behandlung. Dabei handelt es sich auf der einen Seite um diejenigen Personen, die aktuell unter einer psychischen Störung leiden (42%). Die Mehrheit der Sänger/innen, die sich aktuell in psychotherapeutischer Behandlung befinden, gibt jedoch an, dass bei ihnen zum Zeitpunkt der Studienteilnahme keine psychische Störung vorliegt (58%). Von den Sänger/innen, die aktuell unter einer psychischen Störung leiden, befinden sich 63 Prozent in psychotherapeutischer Behandlung, 37 Prozent geben an, dass dies bei ihnen nicht der Fall ist.

83 Prozent der Teilnehmenden sind mit ihrer beruflichen Situation zufrieden und möchten sich beruflich nicht neu orientieren; 13 Prozent der befragten Sänger/innen geben hingegen an, dass sie zumindest mit einem Teil ihrer Arbeitszeit zukünftig gerne in einem anderen Berufsfeld tätig sein würden; 3 Prozent der Profisänger/innen würden sich gerne zukünftig beruflich komplett neu orientieren und mit ihrer vollen Arbeitszeit in ein anderes Berufsfeld wechseln.

Die Berufssänger/innen betrachten sich im Schnitt eher als optimistisch (M = 5,46, SD = 1,30) und weniger als pessimistisch (M = 2,76, SD = 1,39). Auf der Perfektionismus-Skala liegt der Mittelwert der Stichprobe der Sänger/innen bei M = 3,36 (SD = ,74), bei der Erholungskompetenz-Skala beträgt der Mittelwert M = 3,28 (SD = ,59).

Die folgenden Tätigkeitsmerkmale werden von den Berufssänger/innen als belastend bewertet (Mehrfachnennungen möglich): geballte Arbeitszeiten (43%), Existenzbedrohung (38%), ungeregelte Arbeitszeit (37%), Arbeitszeit am Wochenende (37%), Zeitdruck (36%), später Feierabend (33%), Zwang zur räumlichen Flexibilität (25%), befristete Arbeitsverträge (22%), keine/verspätete Pausen (21%) und hohes Arbeitstempo (12%).

Interkorrelationen

Bei den meisten Zusammenhängen zwischen den einzelnen Burnout-Kennwerten und der Erholungskompetenz-Skala handelt es sich um signifikante Korrelationen (p < ,001) mit mittlerer Effektstärke (r = -,30 bis r = -,44). (Für die vollständige Korrelationstabelle siehe Tabelle S1 im Zusatzmaterial.) Bei den Skalen „Beruf (I)“, „Familie“ (I), „Familie“ (B), „BOSS I-Global“ (I) und „BOSS II-Global“ (I) finden sich signifikante Korrelationen (p < .001) mit kleiner Effektstärke (r = -,19 bis r = -,29).

Die höchsten Zusammenhänge ergeben sich für den Globalwert (G) von BOSS I (r = -,46, p < ,001), den Globalwert (B) von BOSS I (r = -,48, p < ,001), die Kennwerte „Beruf (G)“ (r = -,44, p < ,001), „Beruf (B)“ (r = -,44, p < ,001) sowie den Globalwert (B) (r = -,45, p < ,001) von BOSS II. Bei der Perfektionismus-Skala finden sich die höchsten Korrelationen in Bezug auf die Skalen von BOSS I und BOSS II mit dem Globalwert (G) von BOSS II (r = ,30, p < ,001) sowie den Kennwerten „Beruf (I)“ (r = ,29, p < ,001) und „Emotionale Beschwerden (G)“ (r = ,29, p < ,001). Für die Variable Optimismus ergeben sich die höchsten Zusammenhänge mit Burnout bei den beiden Skalen „Kognitive Beschwerden (G)“ (r = -,46, p < ,001) und dem Globalwert (G) von BOSS I (r = -,47, p < ,001). Die höchsten Korrelationen zwischen Pessimismus und Burnout finden sich bei den Skalen „Beruf (G)“ (r = ,50, p < ,001) und dem Globalwert (G) von BOSS I (r = ,48, p < ,001).

Burnout-Kennwerte und Vergleich mit einer Eichstichprobe

Die Mittelwerte und Standardabweichungen für die Skalen von BOSS I und II sind in Tabelle 1 dargestellt.

Tabelle 1

Kennwerte von BOSS I und BOSS II sowie inferenzstatistischer Vergleich mit einer Eichstichprobe

Skala Kennwert Sänger/innen (N = 313)
Eichstichprobe (N = 300)
95% CI
M SD M SD t(545) LL UL Cohens d
BOSS Ia
Beruf Gesamtwert 0,89 0,67 1,09 0,77 3,20** 0,82 0,96 ,28
Intensität 1,53 0,71 1,98 0,88 6,48*** 1,45 1,61 ,56
Breite 2,57 1,41 2,54 1,37 0,25 2,41 2,73 ,02
Eigene Person Gesamtwert 0,79 0,71 1,11 0,92 4,48*** 0,71 0,87 ,39
Intensität 1,40 0,75 1,85 0,92 6,18*** 1,32 1,48 ,54
Breite 2,31 1,56 2,53 1,48 1,69 2,14 2,48 ,14
Familie Gesamtwert 1,39 1,04 1,52 1,15 1,37 1,27 1,51 ,12
Intensität 1,88 1,00 1,93 1,25 0,51 1,77 1,99 ,04
Breite 3,29 1,58 3,14 1,73 1,05 3,11 3,47 ,09
Freunde Gesamtwert 0,94 0,83 1,11 0,97 2,17* 0,85 1,03 ,19
Intensität 1,58 0,98 1,85 1,07 3,04** 1,47 1,69 ,26
Breite 2,48 1,63 2,49 1,57 0,07 2,30 2,66 ,01
Globalwerte Gesamtwert 0,95 0,64 1,17 0,80 3,49*** 0,88 1,02 ,30
Intensität 1,71 0,52 1,88 0,78 2,93** 1,65 1,77 ,26
Breite 2,60 1,27 2,63 1,28 0,27 2,46 2,74 ,02
BOSS II
Körperliche Beschwerden Gesamtwert 0,70 0,61 0,78 0,77 1,33 0,63 0,77 ,12
Intensität 1,69 0,87 1,96 1,16 3,02** 1,59 1,79 ,26
Breite 1,79 1,20 1,62 1,25 1,61 1,66 1,92 ,14
Kognitive Beschwerden Gesamtwert 0,72 0,77 1,13 0,99 5,32*** 0,63 0,81 ,46
Intensität 1,21 0,82 1,92 0,77 10,42*** 1,12 1,30 ,89
Breite 2,13 1,76 2,71 1,74 3,86*** 1,93 2,33 ,33
Emotionale Beschwerden Gesamtwert 0,78 0,81 0,99 0,95 2,75** 0,69 0,87 ,24
Intensität 1,46 0,78 1,75 0,92 3,93*** 1,37 1,55 ,34
Breite 2,13 1,58 2,36 1,55 1,71 1,95 2,31 ,15
Globalwerte Gesamtwert 0,74 0,63 0,97 0,82 3,62*** 0,67 0,81 ,31
Intensität 1,62 0,62 1,96 0,78 5,56*** 1,55 1,69 ,48
Breite 2,02 1,30 2,23 1,34 1,85 1,88 2,16 ,16

Anmerkungen. M = Mittelwert; SD = Standardabweichung; CI = Konfidenzintervall; LL = Untere Grenze des Konfidenzintervalls; UL = Obere Grenze des Konfidenzintervalls; N = Stichprobengröße; t = Empirischer Wert des t-Tests. BOSS I = Teil 1 der Burnout-Screening-Skalen (Geuenich & Hagemann, 2014) mit den Skalen „Beruf“, „Eigene Person“, „Familie“, „Freunde“; BOSS II = Teil 2 der Burnout-Screening-Skalen (Geuenich & Hagemann, 2014) mit den Skalen „Körperliche Beschwerden“, „Kognitive Beschwerden“, „Emotionale Beschwerden“.

aNeben einem Gesamtwert lassen sich für die Skalen des BOSS I und II auch Intensitäts- und Breitenwerte berechnen. Für den Intensitätswert werden nur diejenigen Items berücksichtigt, welche von den Probandinnen/Probanden einen Wert größer als 0 erhalten haben. Aus den verbleibenden Items der jeweiligen Skala wird dann der Mittelwert berechnet. Mit dem Breitenwert wird die Anzahl von Beschwerden je Skala erfasst. Je größer der Breitenwert, umso mehr Items wurden von der Probandin/dem Probanden mit einem Wert größer als 0 eingestuft.

*p < ,05. **p < ,01. ***p < ,001.

Außerdem wurden für diese Skalen zusätzlich die Werte der repräsentativen Eichstichprobe aus dem Manual übernommen. Die Mittelwerte der Eichstichproben wurden mit denen der Stichprobe der Berufssänger/innen mittels t-Tests für unabhängige Stichproben verglichen. Bei 24 der 27 Burnout-Kennwerten liegen die Werte der Sänger/innen unter denen der repräsentativen Eichstichprobe. Das bedeutet, dass die Sänger/innen niedrigere Burnout-Ausprägungen aufweisen als die Proband/innen der repräsentativen Eichstichprobe. Bei 16 Kennwerten hat sich der Mittelwertunterschied bei der inferenzstatistischen Testung als signifikant erwiesen, bei 11 nicht. Statistisch signifikante Unterschiede finden sich vor allem bei den Gesamtwerten (Ausnahme: Skalen „Familie“ und „Körperliche Beschwerden“) sowie den Intensitätswerten (Ausnahme: Skala „Familie“).

Die Breitenwerte unterscheiden sich mit einer Ausnahme (Skala „Kognitive Beschwerden“) nicht signifikant zwischen den beiden Gruppen. Bei den Breitenwerten der Skalen „Beruf“, „Familie“ und „Körperliche Beschwerden“ sind die Werte der Sänger/innen höher als die der Eichstichprobe. Diese Unterschiede sind jedoch nicht statistisch signifikant. Bei der Skala „Familie“ des BOSS I unterscheiden sich alle Kennwerte (Gesamt-, Intensitäts-, Breitenwert) nicht signifikant zwischen den Gruppen.

Betrachtet man die Effektstärken dieser Gruppenunterschiede auf Basis der Interpretationsregeln von Cohen (1988), dann ergibt sich folgendes Bild: Die meisten Effektstärken müssen mit einem Wert bis d = ,35 als klein eingestuft werden. Bei fünf Effektstärken handelt es sich mit einem d-Wert bis ,65 um mittlere Effekte: Skala „Beruf“ − Intensitätswert (d = ,56), Skala „Eigene Person“ − Gesamtwert (d = ,39), Skala „Eigene Person“ − Intensitätswert (d = ,54), Skala „Kognitive Beschwerden“ − Gesamtwert (d = ,46), Globalwert BOSS II − Intensitätswert (d = ,48). Mit d = ,89 handelt es sich bei dem Gruppenunterschied auf der Skala „Kognitive Beschwerden“ − Intensitätswert um einen großen Effekt.

Multiple Regressionsanalysen zur Vorhersage von Burnout

Auf Basis multipler Regressionsanalysen wurde untersucht, inwiefern sich die Burnout-Ausprägungen der Sänger/innen durch bestimmte Merkmale vorhersagen lassen. Als Prädiktoren wurden die Variablen Perfektionismus, Erholungskompetenz, Geschlecht, Alter, Optimismus, Pessimismus, wöchentliche Arbeitszeit sowie die Art des Beschäftigungsverhältnisses (befristet versus unbefristet) berücksichtigt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit werden die Ergebnisse nur für die beiden Gesamtwerte der Globalwerte von BOSS I und von BOSS II berichtet.

In Tabelle 2 sind die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für den Globalwert der Burnout-Skalen von BOSS I dargestellt. Als signifikante Prädiktoren konnten die Erholungskompetenz (β = -,40, p < ,001) und Pessimismus (β = ,23, p = ,003) identifiziert werden. Insgesamt erklären die in diesem Analyseschritt aufgenommenen Prädiktoren einen signifikanten Anteil der Varianz der Burnout-Ausprägungen (Gesamtskala BOSS I) von R2 = ,386, F(8,304) = 23,856, p < ,001.

Tabelle 2

Zusammenfassung der multiplen Regressionsanalyse zur Vorhersage der Variable „Burnout − Boss I gesamt“ (N = 313)

Variable B SE β t p 95% CI (B)
LL UL
Perfektionismus ,025 ,046 ,028 0,549 ,584 -0,07 0,12
Erholungskompetenz -,455 ,059 -,398 -7,677 <,001 -0,57 -0,34
Geschlecht (weiblich) -,100 ,066 -,069 -1,510 ,132 -0,23 0,03
Alter -,001 ,003 -,025 -0,541 ,589 -0,01 0,00
Optimismus -,076 ,039 -,147 -1,964 ,050 -0,15 0,00
Pessimismus ,109 ,036 ,226 3,018 ,003 0,04 0,18
Wöchentl. Arbeitszeit ,002 ,002 ,041 0,908 ,364 0,00 0,01
Beschäftigungsverhältnis ,046 ,034 ,034 0,728 ,467 -0,02 0,11

Anmerkungen. BOSS I gesamt: R2 = ,386. BOSS I = Teil 1 der Burnout-Screening-Skalen (Geuenich & Hagemann, 2014) mit den Skalen „Beruf“, „Eigene Person“, „Familie“, „Freunde“. B = nicht standardisierter Regressionskoeffizient; SE = Standardfehler des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; ß = standardisierter Regressionskoeffizient; t = empirische Prüfgröße des standardisierten Regressionskoeffizienten ß; p = Signifikanz der empirischen Prüfgröße t des standardisierten Regressionskoeffizienten ß; CI (B) = Konfidenzintervall des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; LL = Untere Grenze des Konfidenzintervalls des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; UL = Obere Grenze des Konfidenzintervalls des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; N = Stichprobengröße.

Die Ergebnisse der multiplen Regressionsanalyse für den Globalwert der Burnout-Skalen von BOSS II sind in Tabelle 3 abgebildet. Als signifikante Prädiktoren konnten die Erholungskompetenz (β = -,27, p < ,001), Optimismus (β = -,27, p = ,001) und Pessimismus (β = ,16, p = ,041) identifiziert werden. Insgesamt erklären die in diesem Analyseschritt aufgenommenen Prädiktoren einen signifikanten Anteil der Varianz der Burnout-Ausprägungen (Gesamtskala BOSS II) von R2 = ,343, F(8,306) = 20,002, p < ,001.

Tabelle 3

Zusammenfassung der multiplen Regressionsanalyse zur Vorhersage der Variable „Burnout − Boss II gesamt“ (N = 313)

Variable B SE β t p 95% CI (B)
LL UL
Perfektionismus ,085 ,048 ,094 1,779 ,076 -0,01 0,18
Erholungskompetenz -,315 ,062 -,271 -5,084 <,001 -0,44 -0,19
Geschlecht (weiblich) -,008 ,069 -,006 -0,119 ,906 -0,14 0,13
Alter ,000 ,003 -,008 -0,174 ,862 -0,01 0,01
Optimismus -,139 ,040 -,268 -3,454 ,001 -0,22 -0,06
Pessimismus ,077 ,038 ,159 2,049 ,041 0,00 0,15
Wöchentl. Arbeitszeit ,000 ,002 -,008 -0,168 ,867 0,00 0,00
Beschäftigungsverhältnis -,015 ,067 -,011 -0,229 ,819 -0,15 0,12

Anmerkungen. BOSS II gesamt: R2 = ,.343. BOSS II = Teil 2 der Burnout-Screening-Skalen (Geuenich & Hagemann, 2014) mit den Skalen „Körperliche Beschwerden“, „Kognitive Beschwerden“, „Emotionale Beschwerden“. B = nicht standardisierter Regressionskoeffizient; SE = Standardfehler des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; ß = standardisierter Regressionskoeffizient; t = empirische Prüfgröße des standardisierten Regressionskoeffizienten ß; p = Signifikanz der empirischen Prüfgröße t des standardisierten Regressionskoeffizienten ß; CI (B) = Konfidenzintervall des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; LL = Untere Grenze des Konfidenzintervalls des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; UL = Obere Grenze des Konfidenzintervalls des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; N = Stichprobengröße.

Hierarchische Regressionsanalysen zur Vorhersage von Burnout

Überraschenderweise erwies sich die Persönlichkeitsvariable Perfektionismus nicht als signifikanter Prädiktor für die Burnout-Gesamtwerte der Globalwerte von BOSS I und BOSS II. Um zu überprüfen, ob das Erklärungspotential der Variable Perfektionismus bei der simultanen Betrachtung möglicherweise durch die Variable Erholungskompetenz überlagert wird, wurden zusätzlich hierarchische Regressionsanalysen (Tabelle 4 und Tabelle 5) durchgeführt.

Dabei wurde in Schritt 1 die Analyse nur mit dem Prädiktor Perfektionismus, in Schritt 2 zusätzlich mit dem Prädiktor Erholungskompetenz durchgeführt. Auch bei diesen Analysen bestätigt sich der Befund aus den Regressionsanalysen, bei denen die Prädiktoren als Variablenset simultan berücksichtigt wurden: Perfektionismus als einziger Prädiktor erklärt nur 7 Prozent (Gesamtwert des Globalwerts von BOSS I) beziehungsweise 8 Prozent (Gesamtwert des Globalwerts von BOSS II) der Varianz des Kriteriums Burnout. Fügt man den Prädiktor Erholungskompetenz hinzu, erhöht sich die erklärte Varianz auf 26 Prozent (BOSS I) beziehungsweise 19 Prozent (BOSS II). Im dritten Schritt wurden die Variablen Geschlecht und Alter dem Prädiktorenset hinzugefügt. Die erklärte Varianz erhöht sich dadurch nur geringfügig auf 28 Prozent (BOSS I) beziehungsweise 20 Prozent (BOSS II). Im vierten und letzten Schritt wurde das Modell durch die Prädiktoren Optimismus und Pessimismus erweitert. Dadurch konnte die erklärte Varianz des Kriteriums Burnout zusätzlich deutlich erhöht werden. Bei BOSS I beträgt diese 40 Prozent, bei BOSS II 34 Prozent. Die Zuwächse an erklärter Varianz sind in den Modellen eins, zwei und vier jeweils signifikant (p < ,001). Lediglich Modell 3 (Hinzufügung der Prädiktoren Geschlecht und Alter) hat sich in beiden Fällen (BOSS I und BOSS II) bezüglich der Änderungen in R2 als nicht signifikant erwiesen.

Tabelle 4

Zusammenfassung der hierarchischen Regressionsanalyse zur Vorhersage der Variable „Burnout − Boss I gesamt“ (N = 281)

Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
Variable B SE β B SE β B SE β B SE β
Perfektionismus ,239 ,052 ,266*** ,055 ,051 ,061 ,042 ,051 ,047 ,033 ,047 ,037
Erholungskompetenz -,550 ,065 -,481*** -,558 ,065 -,488*** -,457 ,061 -,400***
Geschlecht -,144 ,075 -,100 -,097 ,069 -,067
Alter -,005 ,003 -,083 -,011 ,003 -,025
Optimismus -,095 ,040 -,182*
Pessimismus ,099 ,038 ,202*
R2 ,071 ,261 ,276 ,395
F (Änderung in R2) 21,29*** 71,32*** 3,03 26,78***

Anmerkungen. BOSS I = Teil 1 der Burnout-Screening-Skalen (Geuenich & Hagemann, 2014) mit den Skalen „Beruf“, „Eigene Person“, „Familie“, „Freunde“. B = nicht standardisierter Regressionskoeffizient; SE = Standardfehler des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; ß = standardisierter Regressionskoeffizient; N = Stichprobengröße; R2 = erklärte Varianz; F = empirische Prüfgröße bezüglich der Änderung der erklärten Varianz.

*p < ,05. **p < ,01. ***p < ,001.

Tabelle 5

Zusammenfassung der hierarchischen Regressionsanalyse zur Vorhersage der Variable „Burnout − Boss II gesamt“ (N = 281)

Modell 1
Modell 2
Modell 3
Modell 4
Variable B SE β B SE β B SE β B SE β
Perfektionismus ,258 ,052 ,287*** ,118 ,054 ,132* ,107 ,054 ,119* ,098 ,049 ,110*
Erholungskompetenz -,419 ,068 -,366*** -,419 ,069 -,366*** -,308 ,064 -,269***
Geschlecht -,058 ,079 -,040 -,007 ,0672 -,005
Alter -,004 ,003 -,071 ,000 ,003 -,007
Optimismus -,141 ,042 -,270**
Pessimismus ,074 ,040 ,151*
R2 ,083 ,192 ,198 ,342
F (Änderung in R2) 25,13 *** 37,72*** 1,06 29,88***

Anmerkungen. BOSS II = Teil 2 der Burnout-Screening-Skalen (Geuenich & Hagemann, 2014) mit den Skalen „Körperliche Beschwerden“, „Kognitive Beschwerden“, „Emotionale Beschwerden“. B = nicht standardisierter Regressionskoeffizient; SE = Standardfehler des nicht standardisierten Regressionskoeffizienten B; ß = standardisierter Regressionskoeffizient; N = Stichprobengröße; R2 = erklärte Varianz; F = empirische Prüfgröße bezüglich der Änderung der erklärten Varianz.

*p < ,05. **p < ,01. ***p < ,001.

Diskussion

Im Rahmen der Online-Studie konnten N = 313 Berufssänger/innen befragt werden. Damit handelt es sich um eine der bislang größten musikpsychologischen Studien, in welcher Aspekte der psychischen Gesundheit bei professionellen Sänger/innen untersucht wurden. Damit trägt die Studie dazu bei, die in diesem Feld äußerst lückenhafte Forschungslage (Clift et al., 2008; Hannig, 2004; Heller et al., 2015; Kreutz, 2014; Spahn et al., 2010) etwas zu verbessern.

Fünf Prozent der Profisänger/innen geben an, dass bei ihnen aktuell eine ernstzunehmende psychische Erkrankung vorliegt. Verglichen mit den Daten einer bevölkerungsrepräsentativen Erwachsenenstichprobe (18-79 Jahre, N = 5 317) können diese Zahlen jedoch als sehr niedrig eingeschätzt werden: So beträgt die 12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen insgesamt 27,8%, wobei Frauen deutlicher häufiger (33,3%) betroffen sind als Männer (22,0%) (Jacobi et al., 2014).iv

Fast jede/r zehnte Sänger/in der vorliegenden Stichprobe gibt an, sich aktuell in psychotherapeutischer Behandlung zu befinden. Interessant ist der Befund, dass die Mehrheit dieser Befragten angibt, dass zum Zeitpunkt der Studienteilnahme keine psychische Störung bei ihnen vorliegt (58%). Möglicherweise versuchen diese Sänger/innen damit, eine Verschlimmerung erster Symptome frühzeitig zu verhindern oder sie versprechen sich gar eine präventive Wirkung durch die therapeutische Unterstützung. Dies wird verständlich vor dem Hintergrund, dass sich psychische Belastungen unmittelbar auf die stimmlichen Leistungen auswirken (können) (Spahn et al., 2010). In dem vergleichsweise verbreiteten Aufsuchen psychotherapeutischer Unterstützung unter Profisänger/innen könnten sich daher auch eine (notwendigerweise) erhöhte Aufmerksamkeit und Achtsamkeit der Berufssänger/innen bezüglich ihres körperlichen und seelischen Wohlbefindens widerspiegeln.

Umgekehrt gibt es unter den Sänger/innen, die aktuell unter einer psychischen Störung leiden, auch einige (37%), die angeben, dass sie sich aktuell nicht in einer psychotherapeutischen Behandlung befinden.

Der Großteil der Sänger/innen scheint mit seiner beruflichen Situation zufrieden. Jedenfalls geben 83 Prozent der Befragten an, dass sie nicht beabsichtigen, in ein anderes berufliches Tätigkeitsfeld zu wechseln. Nur 3 Prozent der Profisänger/innen würden sich gerne zukünftig komplett beruflich neu orientieren und mit ihrer vollen Arbeitszeit in einem anderen Berufsfeld tätig sein. 13 Prozent der Stichprobe würden gerne zukünftig immerhin mit einem Teil ihrer Arbeitszeit eine andere berufliche Tätigkeit ausüben.

Vergleicht man die Burnout-Kennwerte der Stichprobe der Sänger/innen mit den Werten einer repräsentativen Eichstichprobe, so fällt auf, dass die Sänger/innen bei fast allen 27 Burnout-Kennwerten niedrigere Werte aufweisen als die Personen der Normstichprobe. Bei 16 Burnout-Kennwerten ist dieser Unterschied statistisch signifikant. Auffällig ist der Befund, dass sich die statistischen Unterschiede mit einer Ausnahme alle bei den Gesamt- und Intensitätswerten finden. Die signifikanten Gruppenunterschiede bei den Gesamtwerten lassen sich dahingehend interpretieren, dass die durchschnittliche Belastung der Sänger/innen bei sieben von neun Burnout-Skalen niedriger ist im Vergleich mit der Eichstichprobe (Ausnahmen: Skala „Familie“ und „Körperliche Beschwerden“). Aus den Ergebnissen der Intensitätswerte lässt sich schlussfolgern, dass die Berufssänger/innen bei allen Skalen, bei denen Burnoutbelastungen vorliegen, diese in ihrer Ausprägung beziehungsweise Intensität niedriger einschätzen, als dies die Proband/innen der repräsentativen Eichstichprobe getan haben (Ausnahme: Skala „Familie“). Bei den Breitenwerten findet sich hingegen nur ein statistisch signifikanter Gruppenunterschied (Skala „Kognitive Beschwerden“). Diesbezüglich lässt sich konstatieren, dass sich die Anzahl von Beschwerden auf der jeweiligen Skala − mit Ausnahme der Skala „Kognitive Beschwerden“ − nicht zwischen den beiden Gruppen unterscheidet. Bei der Skala „Familie“ des BOSS I findet sich für keinen der verschiedenen Kennwerte (Gesamt-, Intensitäts-, Breitenwert) ein signifikanter Gruppenunterschied. Konflikte und Tendenzen zur Vernachlässigung innerhalb der Familie werden somit von den Proband/innen der beiden Stichproben nicht unterschiedlich bewertet.

In den niedrigen Burnout-Ausprägungen der Sänger/innen spiegelt sich möglicherweise die protektive Wirkung des Singens (Clift et al., 2008; Kreutz, 2014) wider. Konnte der positive Zusammenhang zwischen Singen und Gesundheit bislang überwiegend bei Laiensänger/innen gezeigt werden, bestätigt die vorliegende Studie dies für Burnout auch eindrücklich bei Berufssänger/innen. Die für Profisänger/innen bisher gezeigten negativen Zusammenhänge (Grape et al., 2003; Hannig, 2004) konnten für Burnout nicht bestätigt werden.

Im Rahmen der Regressionsanalysen konnte gezeigt werden, dass sich anhand der gewählten Prädiktoren eine vergleichsweise gute Vorhersage der Burnout-Ausprägungen bei den Sänger/innen machen lässt. So konnten mit verhältnismäßig wenigen Variablen bis zu vierzig Prozent der Varianz in den Burnout-Ausprägungen erklärt werden. In der empirischen Sozialforschung gilt dies, wenn es um die Erforschung menschlichen Verhaltens geht, als sehr hoher Wert.

Den größten Beitrag zur Varianzaufklärung lieferte die Variable Erholungskompetenz. Als weitere signifikante Prädiktoren konnten die Persönlichkeitsmerkmale Optimismus und Pessimismus identifiziert werden. Alle anderen in das Regressionsmodell aufgenommenen Variablen haben sich als nicht signifikant erwiesen (Geschlecht, Alter, durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit, befristetes versus nicht-befristetes Arbeitsverhältnis). Überraschenderweise gilt dies auch für das Persönlichkeitsmerkmal Perfektionismus. Auch wenn Perfektionismus als Risikofaktor bei der Entstehung von Burnout beschrieben wird (Geuenich & Hagemann, 2014; Ortmann, 2016), hat dieser im Kontext der vorliegenden Studie kaum zur Varianzerklärung beigetragen. Die Vermutung, dass die Auswirkungen der individuellen Perfektionismus-Ausprägungen der Sänger/innen auf ihre Burnout-Werte möglicherweise durch die Variable Erholungskompetenz überlagert wurden, konnte mittels einer hierarchischen Regressionsanalyse widerlegt werden. Die im ersten Schritt als einziger Prädiktor aufgenommene Variable Perfektionismus konnte auch hier nur vergleichsweise wenig Varianz erklären. Durch die Hinzunahme des Prädiktors Erholungskompetenz im zweiten Schritt der hierarchischen Regressionsanalyse erhöhte sich die erklärte Varianz wieder deutlich. Die Prädiktoren Geschlecht und Alter trugen zu keiner signifikanten Verbesserung der Varianzerklärung bei. Erst durch die Variablen Optimismus und Pessimismus konnte die erklärte Varianz des Kriteriums Burnout zusätzlich deutlich erhöht werden.

Positiv lässt sich mit Blick auf die empirischen Befunde konstatieren, dass der mit dem Beruf als Sänger/in fast notwendigerweise verbundene Zwang zum Perfektionismus bei der Erbringung künstlerischer Höchstleistungen keineswegs ein Risikofaktor mit Blick auf eine potenzielle Burnout-Erkrankung darstellt oder darstellen muss. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse ist es vielmehr entscheidend, ob die Sänger/innen über die Fähigkeit verfügen, sich von den beruflichen Strapazen angemessen zu erholen. Eine ressourcenorientiertere Betrachtungsweise (Erholungskompetenz, Optimismus) scheint somit gegenüber einer defizitorientierten Perspektive (Perfektionismus) hinsichtlich Burnout bei Berufssänger/innen zielführender zu sein und verspricht für die Berufspraxis relevantere Erkenntnisse. Dies gilt möglicherweise auch für entsprechende präventive und rehabilitative Interventionen.

Einschränkungen der Studie

Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie war, dass die Sänger/innen ihre Tätigkeit beruflich ausüben oder dies in der Vergangenheit getan haben. Die Entscheidung über eine Teilnahme wurde bewusst an die Sänger/innen delegiert, indem diese selbst entscheiden mussten, ob sie sich als professionelle Sänger/innen einschätzen oder nicht. Andere potentielle „Zulassungskriterien“ zur Studie wurden im Vorfeld diskutiert, jedoch verworfen. Eine Möglichkeit wäre gewesen, sich ausschließlich auf Sänger/innen zu beschränken, die an Theatern engagiert sind. Damit hätte man aber nur einen Teil derjenigen erreicht, die beruflich als Sänger/in arbeiten. So geben bei der vorliegenden Studie 28 Prozent der befragten Personen an, dass Sie aktuell an einem Theater engagiert sind. Ein wesentlicher Teil der professionellen „Gesangsszene“ besteht jedoch aus Sänger/innen, die diese Tätigkeit freiberuflich ausüben. Dies bestätigen auch die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit: 72 Prozent der Befragten geben an, dass sie freiberuflich als Sänger/in aktiv sind. Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, sich auf Personen zu beschränken, die eine entsprechende gesangs-/musikpädagogische Ausbildung beziehungsweise Studium absolviert haben. Auch diese Option der Zulassungsbeschränkung zur Teilnahme an der Onlinestudie wurde verworfen, da man auch ohne entsprechende Ausbildung professionell als Sänger/in tätig sein kann. Die Daten der vorliegenden Untersuchung zeigen jedoch, dass der Großteil der befragten Sänger/innen (95 Prozent) über eine gesangs-/musikpädagogische Ausbildung verfügt. Somit handelt es sich auch mit Blick auf formale Qualifikationen um eine professionelle Stichprobe. Bewusst wurden auch Personen in die Erhebung einbezogen, die aktuell nicht mehr als Sänger/in aktiv sind, dies jedoch in der Vergangenheit waren. Dabei könnte es sich beispielsweise um erkrankte Personen handeln oder um Sänger/innen, die den Belastungen und Anforderungen dieses Berufs nicht mehr gewachsen waren und die sich beruflich umorientiert haben − beispielsweise als Gesangspädagog/in. Gerade mit Blick auf das zentrale Erkenntnissinteresse dieser Studie − der Vergleich der Burnoutausprägungen bei professionellen Sänger/innen mit einer repräsentativen Eichstichprobe − schien es wichtig, diese Personengruppe einzubeziehen, um die Stichprobe nicht zu verzerren.

Des Weiteren handelt es sich bei allen von den Studienteilnehmenden gemachten Angaben um Selbstauskünfte. Somit müssen auch alle Befunde vor diesem Hintergrund interpretiert werden. Wenn also beispielsweise fünf Prozent der Profisänger/innen angeben, dass bei ihnen aktuell eine ernstzunehmende psychische Erkrankung vorliegt, so basieren diese Angaben auf der subjektiven Einschätzung der Befragten und nicht etwa auf den Ergebnissen einer Untersuchung mit dem Strukturierten Klinischen Interview für DSM-IV (SKID; Wittchen, Zaudig & Fydrich, 1997), also einem standardisierten Verfahren zur Diagnostik psychischer Störungen auf Basis des Diagnosemanuals DSM-IV.

Schließlich handelt es sich bei der Onlinebefragung um eine Querschnittsuntersuchung. Aussagen zu kausalen Beziehungen sind somit nicht zulässig.

Anmerkungen

i) Von den Autoren wurde keine Skalierung angegeben. Auch eine Kontaktaufnahme zur Klärung dieser Frage blieb erfolglos. Daher wurde die Entscheidung für die aufgeführte Skalierung getroffen

ii) Da die Reliabilität der Erholungskompetenz-Skala vergleichsweise niedrig ausfällt (α = .66), wurde Item 6 für die Analysen nicht berücksichtigt. Damit konnte die Reliabilität auf α = .70 angehoben werden.

iii) Wenn die Prozentangaben addiert von 100 abweichen, so handelt es sich stets um fehlende Werte oder aber es wurde von den Teilnehmer/innen die Kategorie „keine Angabe“ gewählt.

iv) Zu praktisch identischen Zahlen gelangt die Bundespsychotherapeutenkammer (2013): Innerhalb eines Jahres leidet mehr als jede vierte Person (28 bis 31%) unter einer psychischen Störung.

Finanzierung

Der Autor/die Autorin hat keine Finanzierung für das Forschungsprojekt erhalten.

Interessenkonflikte

Der Autor/die Autorin hat erklärt, dass keinerlei konkurrierende Interessen bestehen.

Danksagung

Der Autor/die Autorin hat keine Unterstützung erhalten.

Datenverfügbarkeit

Primärdaten zu BOSS I und II, Perfektionismus-, Erholungskompetenz- und Optimismus-Pessimismus-Skala sind als ergänzende Materialien verfügbar. Um die Anonymität der Studienteilnehmer zu gewährleisten, können nur ausgewählte soziodemographische und biographische Daten zugänglich gemacht werden (auf Anfrage können vom Autor aggregierte Werte zur Verfügung gestellt werden).

Ergänzende Materialien

Zu diesem Artikel sind die folgenden ergänzenden Materialien im PsychArchives Repositorium verfügbar (Hodapp, 2018; https://doi.org/10.23668/psycharchives.871):

  • Interkorrelationstabelle BOSS I und II, Perfektionismus-, Erholungskompetenz- und Optimismus-Pessimismus-Skala

  • Primärdaten zu BOSS I und II, Perfektionismus-, Erholungskompetenz- und Optimismus-Pessimismus-Skala; soziodemographische Daten (Auswahl).

Quellenverzeichnis der ergänzenden Materialien

  • Hodapp, B. (2018). Materialien zu: Psychische Belastung, Burnout, Perfektionismus, Optimismus, Pessimismus und Erholungskompetenz bei professionellen Sängerinnen und Sängern [ergänzende Materialien]. Abrufbar im PsychArchives Repositorium: doi:10.23668/psycharchives.871

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