Die Nutzungshäufigkeit für Musikstreamingdienste (MSD) schießt in die Höhe. 79,5 Milliarden Streams verzeichnete die deutsche Musikbranche 2018 laut dem Bundesverband Musikindustrie (BVMI, 2019). Im Jahr 2018 wurde in Deutschland zum ersten Mal mehr als die Hälfte des Gesamtumsatzes der Musikindustrie durch den digitalen Tonträgermarkt erwirtschaftet, wobei Musikstreaming einen Anteil von 46,4% ausmacht (BVMI, 2019). Im internationalen Vergleich liegt Deutschland zurück, denn in Schweden hat der Umsatz durch Musikstreaming die physischen Verkäufe bereits 2012 überholt. Weltweit machte der digitale Vertrieb bereits im Jahr 2017 52% und Musikstreaming allein 38% des Gesamtumsatzes der Musikindustrie aus (International Federation of the Phonographic Industry, 2018; Zeit Online, 2018). Musikstreaming ist seit seiner Markteinführung vor gut 10 Jahren zum umsatztechnischen Motor der Musikindustrie geworden.
MSD unterscheiden sich vor allem in ihrem Erlösmodell. Anbieter wie Apple Music oder Tidal bieten nur eine kostenpflichtige Variante an, wohingegen Spotify, Deezer und Youtube Music auch eine kostenfreie, aber werbefinanzierte Option anbieten. Laut dem Bundesverband Musikindustrie (BVMI, 2019) nutzen 11% der Deutschen kostenlose und 21% kostenpflichtige MSD.
Trotz der großen Nachfrage auf Nutzerseite und den erheblichen Umsätzen für die Musikindustrie wurden MSD besonders von Seiten der Musikschaffenden oft kritisiert (Ruth, 2019). Die amerikanische Künstlerin Taylor Swift ließ 2014 aus Protest bzgl. der geringen Lizenzerlöse ihr Repertoire von Spotify entfernen (Handelsblatt, 2013). Weitere internationale Stars sowie die Ärzte als deutsche Band veröffentlichten ihre Titel nicht auf MSD und kritisierten sowohl die Erlösstrukturen dieser als auch die Entwertung der Musik durch die Verdrängung physischer Tonträger (Dredge, 2013; Ellis-Petersen, 2014; Götz, 2018).
Tatsächlich sind die Verkäufe von physischen Tonträgern zurückgegangen, konnten aber durch MSD ausgeglichen werden. Folglich blieb der Branchenumsatz der Musikindustrie in den letzten Jahren auf einem konstanten Niveau (BVMI, 2019). Anders als bei physischen Tonträgern generiert ein digitales Album seinen Umsatz nicht innerhalb der ersten Wochen nach Verkaufsstart, sondern über einen längerfristigen Zeitraum. Damit haben MSD ein komplett neues Erlösmodell für Musikprodukte eingeführt, das nicht auf der Stückzahl der verkauften Tonträger beruht, sondern auf dem Musikkonsum der Hörer*innen (Ruth, 2019). Florian Drücke, der Vorstandsvorsitzende des BVMI, zeigt auf, dass bzgl. der Erlöse ein Umdenken auf Künstlerseite stattfinden muss (Rösgen, 2018).
Ein weiterer Punkt ist der Einfluss von MSD auf die Nutzung von illegalen Musikangeboten. Forscher*innen konnten aufzeigen, dass die erhöhte Akzeptanz von MSD zu einer geringeren Nutzung von illegalen Alternativen führt (Dörr, Wagner, Benlian & Hess, 2013; Hampton-Sosa, 2017a). Musiker*innen und die Musikindustrie sollten also darauf aufmerksam machen, dass eine kostenpflichtige Nutzung von MSD fair und positiv für die Musikschaffenden ist, was wiederum einen positiven Einfluss auf die Nutzungsintention der Nutzenden haben könnte.
Dieser Einfluss ist moralischer Natur. Da hinter der Musik ein kreativer Schaffensprozess steht, sollte bei Nutzer*innen, wenn sie sich des Problems bewusst werden, ein moralischer Konflikt entstehen. Nutzt diese Person die kostenfreie Variante eines MSD und zahlt somit nicht für Musik, kann ein Appell durch Künstler*innen eventuell dazu führen, dass Hörer*innen ihre Musikstreamingnutzung überdenken und bereit sind, auf die kostenpflichtige Variante umzusteigen, um so diese zu unterstützen. Deshalb soll in der vorliegenden Studie untersucht werden, ob ein moralischer Appell von Musikschaffenden und eine entsprechende Akzeptanz der Streamingdienste einen Einfluss auf die Nutzung von kostenpflichtigen MSD haben.
Theorie
Die Forschung im Bereich Musikstreaming beschäftigte sich in den letzten Jahren hauptsächlich mit der Bedeutung für die Musikpiraterie. Ein Großteil dieser Studien untersuchte, ob MSD eine Art Kompensation für die Nutzung illegaler Musikdownloads darstellen und ob dadurch die Intention der nutzenden Personen, Musik illegal über Plattformen wie Napster oder BitTorrent herunterzuladen, verringert werden kann (Aguiar & Martens, 2016; Borja & Dieringer, 2016; Borja, Dieringer & Daw, 2015; Cesareo & Pastore, 2014; Dörr et al., 2013; Hampton-Sosa, 2017a; Wagner, Benlian & Hess, 2013; Weijters, Goedertier & Verstreken, 2014). Andere Studien untersuchten die Faktoren, die MSD für Nutzende attraktiv machen und einen Einfluss auf die Zahlungsbereitschaft haben (Dörr, Benlian, Vetter & Hess, 2010; Hampton-Sosa, 2017b; Wagner & Hess, 2013) oder den Wechsel von der kostenfreien zur kostenpflichtigen Variante beeinflussen (Chen, Leon & Nakayama, 2018; Danckwerts, Lischka & Kenning, 2018; Wagner et al., 2013, Wagner, Benlian & Hess, 2014). Zur Untersuchung dieser Sachverhalte wurden vor allem die Theory of Reasoned Action (TRA), die Theory of Planned Behavior (TPB) und das Technology Acceptance Model (TAM) genutzt. Die Gemeinsamkeit dieser Theorien liegt in dem Versuch der Vorhersage von tatsächlichem Verhalten bzw. der Nutzung bestimmter Produkte und Anwendungen. Gerade in Bezug auf die Nutzung moderner Informationstechniken wie MSD konnte sich das TAM als valides und vorhersagekräftiges Modell bewähren (Vogelsang, Steinhüser & Hoppe, 2013).
Das TAM von Venkatesh und Davis (2000; siehe Abbildung 1) ist ein Modell zur Untersuchung der Nutzungsmotive und der Akzeptanz von Informationstechniken. Das TAM wurde von Davis entwickelt, um ein besseres Verständnis über die Nutzerakzeptanz von Informationstechnologien zu erlangen und diese durch die Erkenntnisse besser gestalten zu können (Davis, 1985). Dieses Vorhaben setzte Davis (1989) innerhalb der ersten Veröffentlichung des Modells um, indem er vor allem die Verbesserung von Software für Unternehmen anstrebte, die wiederum zur Steigerung der betrieblichen Produktivität beisteuern kann.
Abbildung 1
Grundlage für das TAM ist die TRA von Fishbein und Ajzen (1975). Die sozialpsychologische Theorie verfolgt das Ziel, menschliches Verhalten zu erklären und vorherzusagen. Bestimmt wird das tatsächliche Verhalten laut der Theorie durch die Verhaltensintention. Diese wiederum wird durch die persönlichen Einstellungen bzgl. eines bestimmten Verhaltens und die subjektiven Normen beeinflusst, die auf das Individuum einwirken (Ajzen & Fishbein, 1980). Der Unterschied zum TAM liegt in der Untersuchung des allgemeinen menschlichen Verhaltens. In einem speziellen Anwendungsfall wie der Nutzung von Informationstechnologien sind jedoch andere Variablen zur Vorhersage des Verhaltens notwendig (Davis, 1989).
Die Intention zur Nutzung von Informationstechnologien (Intention to Use) wird laut dem TAM durch zwei Variablen determiniert, den wahrgenommenen Nutzen (Perceived Usefulness) und die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit (Perceived Ease of Use) einer Technologie. Der wahrgenommene Nutzen wird als „the degree to which a person believes that using a particular system would enhance his or her job performance" definiert (Davis, 1989, S. 320). Die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit bezeichnet (Davis, 1989, S. 320) „the degree to which a person believes that using a particular system would be free of effort“. Der Theorie nach fungieren der wahrgenommene Nutzen und die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit als Mediatoren, die externen Einflüsse bei der Nutzung eines Informationssystems auf die Intention zur Nutzung übertragen (Venkatesh & Davis, 2000). Externe Einflüsse können beispielsweise allgemeine Merkmale des Systems oder das vorherige Training mit dem System sein (Venkatesh & Davis, 2000). Der wahrgenommene Nutzen wird weiterhin durch die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit beeinflusst, da eine einfache Nutzung auch zur empfundenen Nützlichkeit beitragen kann. Wie bei den Konstrukten der TRA determiniert der wahrgenommene Nutzen die Nutzungsintention des Informationssystems. Aus der Nutzungsintention wird wie in der TRA auf das tatsächliche Verhalten bzw. die tatsächliche Nutzung eines Informationssystems geschlossen, die im TAM auch als Akzeptanz eines Informationssystems bezeichnet wird.
Weitere Untersuchungen von Informationssystemen zeigten, dass man zwischen Informationssystemen unterscheiden kann, die entweder der Aufgabenbewältigung oder der Unterhaltung dienen. Zur Untersuchung letzterer Informationssysteme schlug van der Heijden (2004) die wahrgenommene Freude während der Nutzung als weiteren Prädiktor der Nutzungsintention im TAM vor. Im Kontext der Untersuchung von MSD wird die wahrgenommene Freude (Perceived Enjoyment) definiert als „the extent to which the act of using a Music Streaming System is perceived to be enjoyable in its own right separate from any performance considerations“ (Hampton-Sosa, 2017b, S. 447). In hedonischen Informationssystemen ist die Nutzung nicht durch das Ziel des produktiven Handelns begründet, sondern durch den Unterhaltungsfaktor des Systems (van der Heijden, 2004). Weitere Studien konnten positive Zusammenhänge zwischen der wahrgenommenen Freude und der Absicht, Multimediaunterhaltungssystemen (Liao, Tsou & Shu, 2008) und MSD (Hampton-Sosa, 2017a, 2017b) zu nutzen, bestätigen. Somit erweist es sich als sinnvoll, die wahrgenommene Freude an der Nutzung von MSD zu untersuchen, wodurch die Aussagekraft des TAM erhöht wird.
In seiner 30-jährigen Existenz wurde das TAM durchaus kritisch betrachtet. Bagozzi (2007) hat festgestellt, dass nie der Versuch unternommen wurde, die vorhandenen Variablen und ihre Zusammenhänge des TAM genauer aufzuklären. Außerdem ist es fraglich, ob wahrgenommener Nutzen und wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit die einzigen validen Determinanten für die Nutzungsintention eines Informationssystems sind. Weiterentwicklungen des TAM konnten dieses Problem nur bedingt lösen. Denn Modelle wie die Unified Theory of Acceptance and Use of Technology (Venkatesh, Morris, Davis & Davis, 2003) oder das TAM3 (Venkatesh & Bala, 2008) sind aufgrund der großen Anzahl an unabhängigen Variablen schwer handhabbar und können allgemeine Zusammenhänge nur bedingt erklären (Bagozzi, 2007).
Trotz dieser Kritikpunkte liegt die große Stärke des TAM in seiner Einfachheit und Erweiterbarkeit (Bagozzi, 2007). Wie im vorherigen Abschnitt erwähnt, haben viele Forschende das TAM um weitere Variablen erweitert, die zur Aufklärung der Nutzungsintention beitragen (Hampton-Sosa, 2017b; Venkatesh & Davis, 2000; Weijters et al., 2014). Allgemein ist die empirische Überprüfbarkeit des TAM sehr hoch, was auch durch eine durchschnittliche Varianzaufklärung von 40-50% in TAM-Studien bestätigt wird (Bagozzi, 2007; Davis, 1989; Venkatesh et al., 2003; Vogelsang et al., 2013).
Ein Faktor, der bisher im Kontext der TAM-Forschung noch nicht berücksichtigt wurde, ist der moralische Einfluss und dass, obwohl es in den letzten 20 Jahren eine große Zahl an Studien gab, die sich mit moralischem Verhalten bzgl. der Musikrezeption beschäftigten. Bereits in einer der ersten Studien zu diesem Thema von Gopal, Sanders, Bhattacharjee, Agrawal und Wagner (2004) bezeichneten die Autor*innen Musikpiraterie als illegales Verhalten. Deshalb schlugen sie vor, ethische Faktoren mit in ihr Modell der Musikpiraterie einzubeziehen, da diese nicht nur Erklärungskraft hinsichtlich des Raubkopierverhaltens haben können, sondern auch zum legalen Kauf von Musik beitragen können. Mittels eines Maßes für die ethischen Überzeugungen sowie für die Verhaltensintention des Raubkopierens wurde ermittelt, dass die ethischen Überzeugungen der Nutzer*innen negativ mit der Absicht, Musik als Raubkopie zu beziehen, zusammenhängen (Gopal et al., 2004). Die Forschung zum moralischen Verhalten in Bezug auf die Musikpiraterie verwendet ebenfalls häufig die TRA und TPB als theoretische Grundlagen.
Verschiedene Studien nutzten die empfundene moralische Verpflichtung, um die Verhaltensabsicht bzgl. des Raubkopierens von Musik als moralisches Verhalten zu untersuchen. d’Astous, Colbert und Montpetit (2005) verwendeten ethische Voreinstellungen als Maß für die moralische Verpflichtung. Im Rahmen einer Erweiterung des TPB untersuchten sie, ob ethische Prädispositionen einen Einfluss auf die Absicht, Musikpiraterie zu betreiben, haben. Dieser Zusammenhang konnte in der Studie nicht gefunden werden, was mit einem zu allgemeinen Maß für die moralische Verpflichtung begründet wurde. Andere Studien haben jedoch bestätigt, dass die empfundene moralische Verpflichtung eines Individuums einen signifikanten negativen Zusammenhang mit der Verhaltensabsicht zur Musikpiraterie (Cronan & Al-Rafee, 2008) und mit den subjektiven Normen bzgl. Musikpiraterie (Yoon, 2011) hat.
Die Vorschläge von Ajzen und Fishbein (1980) im Rahmen ihrer TRA blieben nicht die einzigen Versuche, Musikpiraterie zu erklären. Ein anderer Teil dieser Forschung bediente sich Ansätzen aus der Literatur der Wirtschaftsethik, die sich unter anderem mit dem Prozess der ethischen Entscheidungsfindung von Konsument*innen beschäftigt. Kohlberg (1969) war einer der ersten Forscher, der moralische und ethische Einflüsse in den Entscheidungsprozess einbezog. Er stellte die Theorie auf, dass Individuen drei Stufen der moralischen Entwicklung durchlaufen, in denen sie auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen Entscheidungen treffen (ebd.). Auf der präkonventionellen Stufe werden moralische Entscheidungen aufgrund von Belohnung und Bestrafung getroffen, auf der konventionellen Stufe aufgrund sozialer Regeln und Gesetze und auf der postkonventionellen Stufe aufgrund von ethischen Prinzipien abseits von Autoritäten und Regeln, die für die Gesamtgesellschaft positive Folgen haben (Al-Rafee & Cronan, 2006; Cesareo & Pastore, 2014). Einer der individuellen Faktoren, der sich fortlaufend in der moralischen Entwicklung des Individuums verändert, ist das moralische Urteilen (Moral Judgment). Moralisches Urteilen bezeichnet „the way in which individuals reason when faced with an ethical dilemma“ und verändert während der moralischen Entwicklung Einstellungen, Verhaltensabsichten und tatsächliches Verhalten (Cesareo & Pastore, 2014, S. 517).
Hunt und Vitell (1986) haben in ihrem allgemeinen Modell der Marketingethik eine Variable genutzt, die sich ähnlich zu Kohlbergs moralischem Urteilen verhält. Das ethische Urteilen (Ethical Judgment) bezieht sich in einer Situation mit ethischem Gehalt auf den Grad, in dem ein Individuum eine bestimmte Verhaltensalternative als ethisch bewertet (Hunt & Vitell, 1986). Der Grad der ethischen Bewertung einer solchen Verhaltensalternative beeinflusst die Absicht und Wahrscheinlichkeit, dieses bestimmte Verhalten auszuführen.
Weiterhin hat sich das ethische Urteilen als ein Prädiktor für die Absicht zur Nutzung von raubkopierter Software herausgestellt. In einer weiteren Untersuchung hat Tan (2002) die ethische Beurteilung eines Verhaltens als Determinante für die Intention, raubkopierte Software zu kaufen, aufgegriffen und einen negativen Zusammenhang festgestellt. Zudem zeigten verschiedene Studien, dass das moralische Urteil beim illegalen Herunterladen von Musik einen Einfluss auf die Einstellung und Nutzungsintention von raubkopierter Musik hat (Al-Rafee & Cronan, 2006; Chen, Pan & Pan, 2009; Chen, Shang & Lin, 2008). Cesareo und Pastore (2014) zeigten zudem im Kontext von MSD, dass dieser negative Einfluss auf die Einstellung gegenüber der Musikpiraterie wiederum die Bereitschaft erhöht, einen abonnement-basierten Musikdienst auszuprobieren.
Dieser positive Zusammenhang zwischen dem moralischen Urteilen von Musikkonsument*innen und der Nutzungsabsicht und Akzeptanz von kostenpflichtigen Streamingdiensten soll mit Hilfe des Moralmodells von Haines, Street und Haines (2008) in das TAM integriert werden, um so ein neues Forschungsmodell aufzustellen. Dieses Modell (siehe Abbildung 2) beschreibt den Einfluss von moralischen Appellen auf die Akzeptanz von kostenpflichtigen MSD.
Abbildung 2
Grundlage für das Modell von Haines et al. (2008) sind das Vier-Stufen-Modell (Rest, 1986) und das problembedingte Modell der ethischen Entscheidungsfindung (Jones, 1991). Der erste Schritt im Vier-Stufen-Moralmodell von Haines et al. (2008; siehe Abbildung 3) ist das Erkennen bzw. die Beurteilung der wahrgenommenen Wichtigkeit des ethischen Problems (Perceived Importance Of An Ethical Issue). Wird das Problem als wichtig eingestuft, folgt im nächsten Schritt die moralische Beurteilung der möglichen Handlungsalternativen. Je höher die Wichtigkeit eingeschätzt wird, desto eher werden moralische Verhaltensweisen den unmoralischen vorgezogen. Nach der moralischen Beurteilung folgt die empfundene Verpflichtung, die beschreibt, ob man sich in der gegebenen Kauf- oder Nutzungssituation moralisch oder unmoralisch verhält. Der Zusammenhang zwischen der empfundenen moralischen Verpflichtung beim Konsum und der Verhaltensintention konnte bereits in verschiedenen Studien gezeigt werden (Ajzen, 1991; Conner & Armitage, 1998; Cronan & Al-Rafee, 2008; Yoon, 2011).
Abbildung 3
Nimmt man an, dass die Nutzung von MSD einen moralischen Gehalt hat, kann somit durch die Verhaltensintention auf das tatsächliche moralische Verhalten der Nutzer*innen und die Akzeptanz von kostenpflichtigen MSD als moralisch gute Handlungsalternative geschlossen werden. Zur Aufklärung der Technologieakzeptanz und des moralischen Verhaltens ist es selbstverständlich zuträglich, wenn auch der Prozess der moralische Entscheidungsfindung bei der Bildung der Verhaltensintention untersucht wird. Dabei gliedern sich die moralische Beurteilung sowie die empfundene moralische Verpflichtung, ähnlich wie die empfundene Freude an der Nutzung von MSD, als Determinanten der Verhaltensintention in das Rahmenwerk des TAM ein.
Hypothesen
Wenn bekannte Musiker*innen einen moralischen Appell äußern und somit den Hörer*innen die moralische Bedeutung von MSD nahelegen, erscheint es wahrscheinlich, dass diese wiederum ein moralisches Urteil über die Nutzung von MSD fällen (Dörr et al., 2013) und entscheiden, ob die Nutzung moralisch richtig oder falsch ist (Rest, 1986). Die Nutzung von kostenpflichtigen Streamingdiensten wäre in diesem Fall das moralisch richtige Verhalten. Deshalb lautet die erste Hypothese:
H1: Musikstreamingnutzende, die durch einen moralischen Appell auf den moralischen Gehalt der Nutzung von Musikstreamingdiensten aufmerksam gemacht wurden, beurteilen die Nutzung von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten moralischer als Musikkonsument*innen, die keinem moralischen Appell ausgesetzt waren.
Den Annahmen und Ergebnissen von Cesareo und Pastore (2014) folgend, sollte das moralische Urteil der Rezipierenden einen positiven Einfluss auf die empfundene moralische Verpflichtung haben, was zur folgenden Hypothese führt:
H2: Je mehr kostenpflichtige Musikstreamingdienste als moralisch gut beurteilt werden, desto höher ist die empfundene moralische Verpflichtung zur Nutzung von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten.
Haines et al. (2008) haben auf Grundlage der Untersuchungen von Rest (1986) festgestellt, dass die moralische Verpflichtung ein Teil des moralischen Entscheidungsprozesses ist, der nach dem moralischen Urteilen folgt und sich auf die Verhaltensintention auswirkt. Dieser Zusammenhang wurde auch in Studien, die das TPB zur Verhaltensuntersuchung nutzten, bestätigt (Ajzen, 1991; Beck & Ajzen, 1991; Conner & Armitage, 1998). Überträgt man diese Ergebnisse auf die moralisch gute Nutzung kostenpflichtiger MSD, lässt sich folgende Hypothese formulieren:
H3: Je höher die empfundene moralische Verpflichtung zur Nutzung von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten ist, desto höher ist die Nutzungsintention von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten.
Dem TAM folgend haben neben der moralischen Verpflichtung auch die Faktoren des wahrgenommenen Nutzens und der wahrgenommenen Freude bei der Nutzung einen Einfluss auf das Nutzungsverhalten. Was zu den folgenden Hypothesen führt:
H4a: Je höher der wahrgenommene Nutzen von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten ist, desto höher ist die Nutzungsintention von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten.
H4b: Je höher die wahrgenommene Freude an der Nutzung von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten ist, desto höher ist die Nutzungsintention von kostenpflichtigen Musikstreamingdiensten.
Laut TAM ist die Benutzerfreundlichkeit ein zentraler Faktor, der einen Einfluss auf die Akzeptanz einer Software hat. Hampton-Sosa (2017a) beschreibt jedoch, dass die Benutzerfreundlichkeit vor allem einen indirekten Einfluss hat und vor allem die wahrgenommene Freude und den wahrgenommenen Nutzen der Technologie beeinflusst. Daraus resultieren folgenden Hypothesen:
Methode
Um die angeführten Hypothesen zu überprüfen, wurden Daten mittels eines Online-Experiments gesammelt, das im folgenden Kapitel genauer vorgestellt wird. Der Erhebungszeitraum der Studie begann am 29.01.2019 und endete am 06.02.2019. Der Fragebogen wurde mit Unipark erstellt.
Für die Studie wurde ein 2x1-between-subjects-Design gewählt. Die teilnehmenden Personen wurden randomisiert einer der beiden Bedingungen (Experimentalgruppe mit moralischem Appell/Kontrollgruppe ohne moralischem Appell) zugeteilt. Der Stimulus wurde entsprechend der high-hurdle-Technik nahe am Anfang des Fragebogens platziert, um einer zu hohen Abbrecherquote entgegen zu wirken (Reips, 2002). Die vorab geprüfte Lesedauer der beiden Artikel betrug mindestens drei Minuten. Um sicher zu stellen, dass die Proband*innen den Text aufmerksam lesen und das moralische Statement im Experimentalstimulus erkennen können, wurde der Weiter-Button zum Fortschreiten im Fragebogen erst nach 180 Sekunden aktiviert. Im Anschluss an den Stimulus folgten die Items der drei Konstrukte des TAMs. Danach folgten drei Fragen zur Messung der Nutzungsintention von kostenpflichtigen MSD. Schließlich wurden die Moralkonstrukte abgefragt. Am Ende des Fragebogens wurden soziodemografische Daten erhoben und ein Manipulation-Check des Stimulusmaterials durchgeführt.
Stimulusauswahl
Zur Untersuchung der Forschungsfrage war es nötig, einen Stimulus zu erstellen, in dem eine Musikerin oder ein Musiker sich positiv zu kostenpflichtigen MSD äußert. Der Großteil der journalistischen Publikationen, in denen sich Musikkünstler*innen zu MSD äußern, dreht sich um die Kritik an den Erlösen durch Musikstreaming. Eine Ausnahme stellt hier der britische Pop-Künstler Ed Sheeran dar, der sich mehrfach positiv zu MSD äußerte (Dredge, 2014; Savage, 2014). Weiterhin wurde dieser Künstler ausgewählt, da er durch seine musikalischen Erfolge dem Großteil der deutschen Bevölkerung bekannt sein sollte.
Auf Basis der genannten Artikel wurde ein Stimulus erstellt, in dem der Künstler das Erlösproblem in Interviewform schildert und für die Nutzung kostenpflichtiger MSD appelliert. Es wurde darauf geachtet, die Ansichten des Künstlers nicht zu ändern und nur Informationen hinzuzufügen, die der Authentizität des Künstlers entsprechen. Das im ursprünglichen Artikel erwähnte Album „X“ wurde durch das aktuelle Album „Divide“ ersetzt, wodurch die Aktualität des Stimulus hervorgehoben wurde. Einhergehend damit wurden alle Streaming- und Verkaufszahlen im Artikel angepasst. Um ein moralisches Statement zu schaffen, wurden die bereits diskutierten Elemente zu den moralischen Hintergründen der Nutzung von MSD in den Stimulus eingearbeitet. Anhand einer Aussage des BVMI-Vorstandsvorsitzenden Florian Drücke wurde zusätzlich die Chance von MSD betont, mit den älteren Werken von Künstler*innen neue Hörer*innen zu gewinnen und langfristig Geld zu verdienen (Meinungsbarometer, 2018). Weitere hinzugefügte Informationen sind die aktuellen Streamingzahlen und -erfolge (Kworb, 2019; New York Times, 2017; Warner Music, 2017), weitere Statements von Sheeran zum Thema Musikstreaming (Savage, 2014), und die Darstellung der Live-Erfolge Sheerans (Pollstar, 2018; Warner Music, 2015). Zum Abschluss des Artikels wurden weitere Verdienstmöglichkeiten von Musiker*innen aufgezählt, um die Einnahmequellen objektiv darzustellen und am Ende des Artikels einen Rückbezug auf Ed Sheerans Leidenschaft für Live-Auftritte herzustellen.
Als Stimulus der Kontrollgruppe wurde ein Artikel der Süddeutschen Zeitung über Ed Sheerans aktuelles Album „Divide“ (Kedves, 2017) verwendet. Dieser beschäftigt sich ebenfalls mit dem aktuellen Album und der Arbeit von Ed Sheeran, jedoch werden MSD nur einmal erwähnt. Der Artikel wurde auf den gleichen Umfang wie der Artikel der Experimentalgruppe gekürzt (siehe Anhang).
Der Appell im Artikel wurde von der Experimentalgruppe erkannt und auf einer 7-stufigen Likert Skala als moralischer Artikel bewertet (M = 4,39, SD = 1,82). Ein signifikanter Unterschied zur Kontrollgruppe (M = 3,03, SD = 1,74) konnte festgestellt werden, t(199) = 5,42, p < ,001; Cohen’s d = 0,76.
Stichprobenbeschreibung
Die Rekrutierung der anfallenden Stichprobe erfolgte hauptsächlich über private Kommunikationskanäle wie Instagram und Facebook. Zusätzlich wurde die Studie auf der Forschungsplattform SurveyCircle eingestellt.
Insgesamt gab es im Erhebungszeitraum 458 Aufrufe der Studie, von denen 221 beendet wurden, womit die Beendigungsquote bei 47,6 % lag. Im Rahmen des Plausibilitätschecks aller abgeschlossenen Teilnahmen wurden alle extremen Ausreißer, die zu viel oder zu wenig Zeit für den Fragebogen benötigten, ausgeschlossen. Nachdem alle Ausreißer und unplausiblen Fälle eliminiert wurden, konnten 201 gültige Datensätze verwendet werden.
Die Teilnehmenden waren zwischen 14 und 64 Jahren alt und hatten ein mittleres Alter von M = 25,24 Jahren (SD = 8,49). Insgesamt haben 70 (34,8 %) männliche Teilnehmer und 131 (65,2 %) weibliche Teilnehmerinnen die Studie abgeschlossen. 149 (74,1 %) Proband*innen nutzten bereits einen kostenpflichtigen MSD, wohingegen 34 (16,9 %) einen kostenfreien und 18 (9 %) keinen MSD nutzten. Die Verteilung der Streamingnutzergruppen auf die Experimentalbedingungen findet sich in Tabelle 1.
Hinsichtlich des höchsten Bildungsabschlusses hatte die Mehrheit von 125 Proband*innen das Abitur oder Fachabitur (62,2 %), gefolgt von 53 mit einem abgeschlossenen Hochschulstudium (26,4 %) und 12 mit einem Realschulabschluss (6 %). Drei Viertel der Teilnehmenden befand sich zum Zeitpunkt der Studie in einer Berufsausbildung. Darunter waren 6 noch in der Schule (3 %), 11 in der Ausbildung (5,5 %) und 129 im Studium (64,2 %). Hinzu kamen 48 Angestellte (23,9 %), 3 Selbstständige (1,5 %), 1 arbeitssuchende Person (0,5 %) und 3 Personen, die die Option Sonstiges wählten (1,5 %).
Aufgrund der soziodemografischen Daten ist nicht von einer repräsentativen Stichprobe auszugehen, die die Grundgesamtheit abbildet. Allerdings lässt sich feststellen, dass 74,6 % der Teilnehmer*innen der Altersgruppe zwischen 20 und 29 Jahren angehören, die in Deutschland die Hauptnutzergruppe von MSD darstellt (BVMI, 2019). Somit können trotz einer nicht-repräsentativen Stichprobe relevante Aussagen über die Nutzung und Akzeptanz von MSD durch die anvisierte Zielgruppe der Unternehmen gemacht werden.
Operationalisierung
Zur Operationalisierung der verwendeten Konstrukte wurden validierte Skalen aus der einschlägigen Literatur adaptiert und ins Deutsche übersetzt. Für alle Item-Skalen wurde einheitlich eine 7-stufige Likert-Skala mit den Polen 1 = „stimme gar nicht zu“ und 7 = „stimme voll und ganz zu“ verwendet.
Zuerst wurden die allgemeine Nutzung von MSD und die genutzte Variante des MSD abgefragt. Die Skala zum wahrgenommenen Nutzen von MSD wurde auf Basis von Davis (1989, 1993) adaptiert. Die zehn Items der Ursprungsstudie waren zur Messung des Nutzens von E-Mail-Systemen gedacht und wurden auf die Nutzung von MSD angepasst (zum Beispiel: „Musikstreamingdienste verbessern die Qualität meines Musikkonsums“). Im Zuge der Anpassung wurden zwei Items (4 und 6) aus der Skala entfernt, da keine Passung für eine MSD Nutzung gegeben war. Die wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit wurde mittels vier Items von Hampton-Sosa (2017b) erhoben (zum Beispiel: „Es fällt mir leicht den Umgang mit Musikstreamingdiensten zu lernen“). Die Skala zur Prüfung der wahrgenommenen Freude wurde einer Studie von van der Heijden (2004) entnommen (Beispielhaftes Item: „Für mich sind Musikstreamingdienste unterhaltsam“).
Die Akzeptanz von kostenpflichtigen MSD wird in TAM-Studien über die Nutzungsintention gemessen. Drei Items wurden in Anlehnung an Venkatesh et al. (2003) und Dörr et al. (2013) zur Messung der Nutzungsabsicht von kostenpflichtigen MSD genutzt (zum Beispiel: „Ich beabsichtige, in den nächsten drei Monaten einen kostenpflichtigen Musikstreamingdienst zu nutzen“).
Die moralische Beurteilung von kostenpflichtigen MSD wurde mit einer Skala von Tan (2002) gemessen, die auf MSD angepasst wurde (beispielhaftes Item: „Meiner Meinung ist es moralisch gut, die kostenpflichtige Variante eines Musikstreamingdienstes zu nutzen“). Dies war auch bei der Skala zur Erhebung der empfundenen moralischen Verpflichtung (Haines et al., 2008; Street, Douglas, Geiger & Martinko, 2001) notwendig (beispielhaftes Item: „Für Musikstreamingdienste zu zahlen ist für mich moralisch richtig“). Aufgrund der Schwierigkeit der Übersetzung der Skala aus dem Englischen wurden die Items neu formuliert. Am Ende des Fragebogens wurden Daten zum soziodemografischen Hintergrund der Studienteilnehmer*innen erhoben. Eine Auflistung aller Items findet sich im Anhang. Alle geprüften Skalen erreichten einen guten Cronbachs-Alpha-Wert von mindestens α = ,80 (siehe Tabelle 2). Die Korrelationen aller Variablen finden sich in Tabelle 3.
Tabelle 2
Operationalisiertes Konstrukt | Cronbachs Alpha | M (SD) | Itemanzahl |
---|---|---|---|
Moralisches Urteilen (Tan, 2002) | ,85 | 4,36 (1,52) | 4 |
Moralische Verpflichtung (Haines, Street & Haines, 2008) | ,85 | 3,46 (1,54) | 3 |
Wahrgenommener Nutzen (Davis, 1989, 1993) | ,88 | 5,84 (1,03) | 8 |
Wahrgenommene Benutzerfreundlichkeit (Hampton-Sosa, 2017b) | ,85 | 6,19 (0,94) | 3 |
Wahrgenommene Freude (van der Heijden, 2004) | ,87 | 5,96 (0,97) | 5 |
Nutzungsabsicht (Dörr, Wagner, Benlian & Hess, 2013; Venkatesh, Morris, Davis & Davis, 2003) | ,99 | 5,41 (2,40) | 3 |
Anmerkung. Die angegebenen Itemzahlen und Cronbachs Alpha-Werte entsprechen den endgültigen Skalen, die zur Auswertung verwendet wurden und nicht den im Fragebogen abgefragten Skalen, N = 201.
Tabelle 3
Variable | M. Urteil | M. Verpflichtung | W. Nutzen | W. Freude | W. Benutzerf. | Nutzungsabsicht |
---|---|---|---|---|---|---|
M. Urteil | - | |||||
M. Verpflichtung | 0,7** | - | ||||
W. Nutzen | -0,03 | 0,08 | - | |||
W. Freude | -0,08 | 0,02 | 0,69** | - | ||
W. Benutz. | -0,12 | -0,01 | 0,59** | 0,56** | - | |
Nutzungsabsicht | 0,1 | 0,16* | 0,52** | 0,4** | 0,34** | - |
Anmerkung. Die aufgeführten Werte geben den Korrelationskoeffizienten r nach Pearson an. N = 201.
*p < ,05. **p < ,01.
Ergebnisse
Zur Prüfung der Hypothesen und des theoretischen Modells wurde ein Strukturgleichungsmodell mit MPlus 7.3 berechnet. Das Modell wurde dem theoretischen Grundgerüst (siehe Abbildung 2) entsprechend implementiert und die latenten Variablen anhand der manifesten Variablen der zuvor beschriebenen Skalen geschätzt. Zentrale abhängige Variable war die Nutzungsabsicht, die von wahrgenommenem Nutzen, wahrgenommener Freude und moralischer Verpflichtung vorausgesagt werden. Die Benutzerfreundlichkeit wiederum bedingt die wahrgenommene Freude und den wahrgenommenen Nutzen, während der Stimulus mit oder ohne moralischen Appell das moralische Urteil beeinflusst, das der Prädiktor für die moralische Verpflichtung ist (siehe Abbildung 4). Das Strukturgleichungsmodell weist einen akzeptablen bis guten Fit von Modell und Daten auf (χ2 = 519,365, df = 267, p < ,01; χ2/df = 1,95; CFI = 0,94; RMSEA = 0,069; SRMR = 0,088).
Das Modell zeigt, dass vor allem der wahrgenommene Nutzen (β = ,57, SD = ,08, p < ,001) und die empfundene moralische Verpflichtung (β = ,15, SD = ,06, p < ,001) die Nutzungsabsicht am besten voraussagen. Die wahrgenommene Freude scheint jedoch kein valider Prädiktor zu sein, β = ,01, SD = ,09, ns. Die Benutzerfreundlichkeit hat einen positiven Einfluss auf die wahrgenommene Freude an dem MSD (β = ,57, SD = ,08, p < ,001) und den wahrgenommenen Nutzen der Software (β = ,65, SD = ,05, p < ,001).
Der moralische Appell durch einen Musiker innerhalb des gezeigten Artikels (β = -,25, SD = ,07, p < ,001; der Effekt ist negativ, da die Experimentalgruppe mit Appell als 1 und die Kontrollgruppe ohne Appell als 2 kodiert wurde) wirkt sich auf das moralische Urteil aus, was wiederum auf die wahrgenommene moralische Verpflichtung einzahlt, β = ,75, SD = ,05, p < ,001. Auch ein entsprechender t-Test bestätigt diesen Befund. Personen, die einen moralischen Appell gelesen haben, beurteilen kostenpflichtige MSD signifikant positiver auf einer moralischen Ebene (M = 4,70, SD = 1,40) als Personen, die keinen moralischen Appell gelesen haben (M = 4,01, SD = 1,56), t(199) = 3,27, p < ,001, Cohen’s d = 0,45. Folglich können alle Hypothesen, bis auf H4b, beibehalten werden.
Abbildung 4
Diskussion
Ziel dieser Studie war es, den Einfluss moralischer Appelle und der Wahrnehmung der Software auf die Nutzungsintention von kostenpflichtigen MSD zu untersuchen. Die Ergebnisse zeigen einen signifikanten Unterschied zwischen den Experimentalgruppen in Bezug auf ihre moralische Beurteilung von kostenpflichtigen MSD. Jedoch bewertet die Experimentalgruppe die Moralität nicht stark positiv. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte der geringe monetäre Einsatz sein, den die Nutzenden erbringen müssen, um moralisch richtig zu handeln. Außerdem kann es sein, dass die meisten Personen immer noch unsicher gegenüber der Vergütung durch MSD sind. Beides könnte eine Skepsis und somit gering positives moralisches Urteil erklären.
Die Ergebnisse von H2 unterstützen ebenfalls diese Tendenz. Es kann festgehalten werden, dass ein Zusammenhang zwischen dem moralischen Urteil und der moralischen Verpflichtung besteht, wobei beide Faktoren in dieser Stichprobe gering ausgeprägt sind. Eine wenig ausgeprägte moralische Verpflichtung scheint allerdings wenig überraschend, da die meisten Teilnehmenden bereits ein kostenpflichtiges oder wenigstens legales kostenloses MSD-Angebot nutzen.
Das in dieser Studie aufgestellte Forschungsmodell der Untersuchung basierte vor allem auf dem Zusammenhang zwischen dem Modell der moralischen Entscheidungsfindung und dem TAM, der in Hypothese H3 behandelt wurde. Die postulierten Zusammenhänge zwischen der empfundenen moralischen Verpflichtung zur Nutzung von kostenpflichtigen MSD und dem wahrgenommenen Nutzen konnten durch die Daten bestätigt werden. Der Einfluss der wahrgenommenen Freude konnte jedoch nicht bestätigt werden. Bei der wahrgenommenen Freude könnte ein Deckeneffekt vorliegen, da insgesamt der Musikkonsum mittels der Software als sehr positiv wahrgenommen wird. Zudem weckt Musikhören meistens positive Emotionen wie Freude (Egermann & Kreutz, 2018). Der wahrgenommene Nutzen hingegen kann in abhängig der Evaluation der Software stark variieren, während der Einfluss der moralischen Verpflichtung auf den Appell zurückzuführen ist.
Methodische Mängel und Forschungsausblick
Es muss berücksichtigt werden, dass diese Untersuchung anders als die bisherige Literatur kein unmoralisches Verhalten wie die Musikpiraterie untersuchte, sondern die Nutzung kostenpflichtiger MSD als ein moralisch gutes Verhalten. Gerade durch die wenige Forschung zu diesem Thema wurden die hier getroffenen Annahmen durch plausible Argumente weniger durch theoretische Fundierung begründet. Ein Blick in Theorien aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften zu Moral und Nutzungsintention könnten möglicherweise diese Annahmen stützen, die sich jedoch bereits als empirisch haltbar zeigen.
Ein Mangel der Untersuchungen war die nicht-repräsentative Stichprobe, die aufgrund der Alters- und Geschlechterverteilung weder der Grundgesamtheit noch der gesamten Nutzerschaft von Musikstreamingdiensten entsprach. Zudem setzt sich die Stichprobe hauptsächlich aus Personen zusammen, die bereits einen kostenpflichtigen Dienst nutzen. Zukünftige Studien sollten dieser Problematik im Vorfeld Beachtung schenken und beispielsweise über eine größere Stichprobe oder eine der tatsächlichen Nutzerschaft entsprechenden Quotierung entgegenwirken. Es wäre auch sinnvoll eine Studie ausschließlich mit Nichtnutzer*innen durchzuführen. Hier könnte auch eine potentielle Zahlungsbereitschaft abgefragt werden. Nichtsdestotrotz konnten die Ergebnisse anhand einer jungen, der Zielgruppe von MSD entsprechenden Stichprobe gezeigt werden. Zudem konnte für Nutzer*innen, die bereits kostenpflichtige Angebote beziehen, mittels der zukunftsorientierten Abfrage der Nutzungsintention Varianz erzeugt werden (zahlende Teilnehmer*innen könnten beabsichtigen das Angebot nicht mehr zu nutzen oder zu kündigen).
Außerdem kann das genutzte Stimulusmaterial kritisiert werden. Obwohl die Texte zu signifikanten Gruppenunterschieden führten, fiel die moralische Beurteilung von kostenpflichtigen MSD gering aus. Es ist möglich, dass viele der Proband*innen den moralischen Charakter nicht vollständig erkannt haben, ihnen weiteres Hintergrundwissen zur Einschätzung der Thematik gefehlt hatte oder die Informationen des Appells vor dem Hintergrund ihres bestehenden Wissens sogar zu kognitiver Dissonanz geführt hat. Weitere Studien in diesem Feld könnten z.B. audio-visuelle Interviews als Stimulusmaterial verwenden, in dem intensiver auf das Erlösmodell kostenpflichtiger MSD eingegangen wird und Musikkünstler*innen den moralischen Appell glaubhafter vermitteln könnten, als dies durch eine Textdarstellung möglich ist.
Ausblick und Implikationen
Vor allem der wahrgenommene Nutzen eines MSD scheint bedeutend für die Nutzungsabsicht eines kostenpflichtigen Streamingdienstes zu sein. Besonders Funktionen, die den Hörer*innen das Hörerlebnis einfacher, zugänglicher und das Angebot leichter zugänglich machen, führen zu einer erhöhten Nutzungsintention. Vor allem sind es technische Funktionen wie erweiterte und detaillierte Suchfunktionen, ein umfangreiches Musikangebot, sinnvolle Kommunikationskanäle und eine intuitive Benutzeroberfläche, die die wahrgenommene Nützlichkeit in Bezug auf soziale und kreative Funktionen verbessern (Hampton-Sosa, 2017b).
Anreize die zu einer erhöhten Nützlichkeit führen, könnten beispielsweise Exklusivinhalte sein, die speziell für die Plattform produziert werden. Hierzu zählen sowohl Singles und Alben von Musiker*innen als auch andere Formate wie Podcasts oder Hörspiele (Danckwerts et al., 2018). Ein weiterer Ansatz sind Möglichkeiten zur kreativen Teilhabe an einem Musikproduktionsprozess und zum sozialen Austausch mit anderen Fans, die einen langfristigen Mehrwert bei der Nutzung von MSD schaffen (Hampton-Sosa, 2017b).
Um in Zukunft die Erlöse durch MSD zu erhalten oder gar zu erhöhen, sollten Musikunternehmen und die beteiligten Künstler*innen enger mit MSD zusammenarbeiten. Wie diese Studie gezeigt hat, kann der moralische Appell eines Musikers die Absicht, einen kostenpflichtigen MSD zu nutzen, erhöhen. Da die Nutzer*innen noch nicht für die moralische Fragestellung hinter der Nutzung von Spotify, Napster, Deezer und co sensibilisiert sind, könnten Kampagnen mit Künstler*innen, die die positiven Seiten der Dienste beleuchten, zur Aufklärung über MSD beitragen und somit ein Umdenken in Bezug auf kostenpflichtige Musikstreamingangebote bewirken sowie die damit einhergehende Nutzungsabsicht erhöhen. Dies erscheint nicht nur sinnvoll für erfolgreiche Musikschaffende wie Ed Sheeran, sondern auch für unbekanntere Musiker*innen, die von einem aufstrebenden Streamingmarkt und den zahlreichen implementierten Entdeckungsfunktionen profitieren könnten.