Forschungsberichte

Spiel nach Gehör auf der Violine – Wie beeinflusst musikalische Vorerfahrung die Imitation kulturell vertrauter und fremder Melodiemuster?

Playing by Ear on the Violin: The Impact of Previous Musical Experiences on the Imitation of Culturally Familiar and Foreign Melodical Patterns

Anja-Maria Hakim*ab, Claudia Bullerjahna

Jahrbuch Musikpsychologie, 2018, Vol. 28, Artikel e39, https://doi.org/10.5964/jbdgm.2018v28.39

Eingereicht: 2018-12-31. Akzeptiert: 2019-05-23. Publiziert (VoR): 2019-07-10.

Begutachtet von: Richard Parncutt; Anna Wolf.

*Korrespondenzanschrift: Abteilung für Systematische Musikwissenschaft und Musikkulturen der Gegenwart, Justus-Liebig-Universität Gießen, Karl-Glöckner-Str. 21D, 35394 Gießen, Deutschland. E-Mail: hakima@staff.uni-marburg.de

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Zusammenfassung

Spiel nach Gehör ist eine wesentliche, doch vielfach vernachlässigte musikalische Grundfertigkeit. Nach dem Modell mentaler Repräsentationen musikalischer Performanz basiert Spiel nach Gehör auf der Klangvorstellung (goal imaging) und der sensomotorischen Umsetzungsfähigkeit (motor production). Die Klangvorstellung bildet sich beim Spiel nach Gehör rein aus Inhalten des auditiven Arbeitsgedächtnisses. Bisherige Erkenntnisse zeigen, dass Musikerinnen und Musiker aus Bereichen der Volks- und Popularmusik bessere Fähigkeiten im Spiel nach Gehör haben als ‚klassisch‘ ausgebildete. Untersuchungen zum Spiel nach Gehör von Violinistinnen und Violinisten unterschiedlicher Vorerfahrung, speziell in den Bereichen ‚Klassik‘ und Jazz, fehlen bislang. Darüber hinaus sind keine Untersuchungen zur melodischen Imitation von Stimuli aus vertrauten und fremden Musikstilen bekannt. Es wurden westliche Studierende (N = 29) mit Instrument Geige/Bratsche in ihren Fähigkeiten im Spiel nach Gehör anhand zweier unbekannter Melodien aus drei unterschiedlich vertrauten Musikstilen (westlich, jazzig, indisch) getestet. Allen Teilnehmenden war westliche Kunstmusik gut vertraut, die Hälfte von ihnen hatte zusätzlich musikpraktische Vorerfahrungen im Jazz, indische Kunstmusik war den westlichen Musikstudierenden am wenigsten vertraut. Es wurde (a) die Jazzerfahrung in Jahren erhoben, (b) die akkumulierten Übungsstunden als Indiz für motorische Umsetzungsfertigkeit per Fragebogen gemessen und (c) die Klangvorstellung daran bestimmt, wie gut eine unbekannte Melodie nach Gehör auf Notennamen wiedergegeben wurde. Somit misst die Klangvorstellung bei uns eine Integration von melodischer Merkfähigkeit und analytischem Hören – von implizitem und explizitem musikalischem Wissen. Einflüsse musikalischer Vorerfahrungen auf die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör in den drei unterschiedlich vertrauten Musikstilen wurden regressionsanalytisch untersucht. Die drei unabhängigen Variablen (a) bis (c) korrelierten nicht untereinander. Unsere Ergebnisse zeigen, dass im vertrauten westlichen Musikstil die akkumulierten Übungsstunden dicht gefolgt von der Klangvorstellung der beste Prädiktor für gute Leistungen im Spiel nach Gehör sind, während Erfahrungen im Jazz irrelevant sind. Bei den jazzigen Melodien wirkt sich besonders Jazzerfahrung in Jahren neben Klangvorstellung positiv auf Leistungen im Spiel nach Gehör aus. Jazzstreicher erwerben folglich die für das Spiel nach Gehör erforderliche motorische Umsetzung weniger beim Üben alleine, sondern über andere jazztypische Praktiken. Im wenig vertrauten indischen Musikstil unterstützt mit Abstand am besten die Klangvorstellung das Spiel nach Gehör. Musikstilübergreifend haben somit die Klangvorstellung und die akkumulierten Übungsstunden einen wichtigeren Einfluss auf Leistungen im Spiel nach Gehör als Jazzerfahrung. Unsere Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass speziell die Klangvorstellung das Spiel nach Gehör und insbesondere eine Teilhabe im transkulturellen Kontext unterstützt. ‚Klassiker‘ und Jazzer erwerben die für das Spiel nach Gehör erforderliche motorische Umsetzungsfähigkeit langfristig auf kulturspezifische Weise und können sie im vertrauten Musikstil besser abrufen. Die westliche Musikpädagogik müsste die Integration von hörbasierter Spielpraxis und musikalischem Verstehen, insbesondere die Ohr-Hand-Koordination in unterschiedlichen Anwendungssituationen stärker fokussieren. Dies ermöglicht die Teilhabe an einer breiten Vielfalt kultureller Stile und kreativer Praktiken. Zukünftige Forschungen sollten weitere Einflussfaktoren auf die wichtige Grundfertigkeit des Spiels nach Gehör untersuchen, die ein wesentlicher Faktor für die Ausbildung einer umfassenden Musikalität und die langfristige Motivation im Instrumentalunterricht ist.

Schlüsselwörter: Spiel nach Gehör, Imitation, Violine, Kulturvergleich, Jazz, Westliche Kunstmusik, Indische Kunstmusik, Musikvermittlung, Klangvorstellung, akkumulierte Übungsstunden, kulturelle Vertrautheit

Abstract

Playing by ear is the most fundamental, though often neglected, musical (sub)skill which, according to the model of mental representations in music performance, is based on “goal imaging” and “motor production”. In playing by ear, the goal imaging of what the music should sound like is based on the aural musical information stored in working memory. Research findings show that musicians with a background in folk music, jazz or popular music genres have better skills in playing by ear than musicians with training in classical music. Violinists who have had different cultural experiences, especially in jazz and classical music, have not yet been investigated in scientific studies. Furthermore, no research could be found on the melodic imitation of stimuli from culturally familiar and unfamiliar musical genres. We tested violin/viola college students (N = 29) in their abilities to play by ear with two unknown melodies from three different familiar musical genres (Western, jazz, and Indian music). All the students were grounded in Western art music; half of them had additional experiences as jazz musicians. Indian art music was the least familiar to our subjects. Participants were asked (a) how many years they had had experiences in jazz and filled out a questionnaire on (b) how many hours of deliberate practice they had accumulated as an indication of skilled motor production. They were then tested on (c) goal imaging by having to name the notes of an unknown melody by ear. Thus, our method of testing goal imaging measured the integration of melodic retention and analytical hearing – of implicit and explicit musical knowledge. The subjects’ performances in playing by ear were rated by experts. The influence of musical experiences on playing by ear in three different familiar musical styles were investigated by the use of regression analyses. The three independent variables (a) to (c) were not correlated. Our results showed that in the familiar Western context, the best predictors of good performances for playing by ear were accumulated deliberate practice, followed by goal imaging, while experiences in jazz were irrelevant. In the context of jazz melodies, the subjects’ years of experiences as jazz musicians and, second, goal imaging were most important for playing by ear. Consequently, jazz violinists train the motor production they need for playing by ear by participating in activities that are typical for jazz rather than only practicing by themselves. In the less familiar Indian context, goal imaging showed by far the strongest impact on playing by ear. Across the genres, goal imaging and the total accumulated number of practice hours had a greater impact on the performances in which the subjects played by ear than the subjects’ years of experiences as jazz musicians. Our results showed, furthermore, that goal imaging led to advantages in playing by ear and especially in participating in cross-cultural settings. Classical and jazz musicians gained the motor production needed for playing by ear long-term in culture-specific ways and could retrieve it more easily in familiar musical genres. Thus, Western music education has to focus more strongly on the integration of aural playing and musical understanding, especially on ear-hand-coordination in varying contexts. This enables participation in a broad variety of musical cultures and creative practices. Future research should explore further predictors on the important, foundational skill of playing by ear, which has an essential influence on the development of a comprehensive musicianship and the continuing motivation to play a musical instrument.

Keywords: Playing by ear, imitation, violin, cross-cultural, Jazz, Western art music, Indian art music, music education, goal imaging, accumulated deliberate practice hours, cultural familiarity

Spiel nach Gehör als musikalische Grundfertigkeit

Eine wesentliche, doch vielfach vernachlässigte musikalische Grundfertigkeit ist Spiel nach Gehör. Daneben unterscheidet man Teilfertigkeiten wie absolutes bzw. relatives Gehör, Intonation, Vom-Blatt-Spiel, Auswendigspiel, Komponieren, Improvisieren und die Interpretation auskomponierter Werke (z.B. Lehmann, Sloboda & Woody, 2007). Gute Leistungen in einem Gebiet können nicht unbedingt auf ein anderes übertragen werden (vgl. Tunks, 1992; Lehmann, 2006) und sind auch je nach Instrument und Musikstil unterschiedlich wichtig: Beispielsweise trainiert eine Streicherin – bedingt durch das bundlose Griffbrett – beim Üben unweigerlich stärker ihre Intonation, ein Pianist erwirbt dagegen als Begleiter gute Vom-Blatt-Spiel-Fertigkeiten.

Spiel nach Gehör bedeutet, eine unbekannte, bereits existierende Musik ohne die Hilfe von Noten, nur auf Basis einer Hörerfahrung auf einem Instrument umzusetzen (McPherson, 1993). Sowohl in dem Erwerb der eigenen Musikkultur als auch in der Aneignung fremder Musikstile spielen Fähigkeiten der Imitation eine essentielle Rolle. Musizierende, die gut nach Gehör spielen, können musikalische Ideen direkt auf ihrem Instrument umsetzen. Sie müssen nicht über die notwendigen Fingersätze nachdenken oder lange am Instrument suchen (Woody & Lehmann, 2010). Spiel nach Gehör kann als die grundlegendste musikalische Teilfertigkeit angesehen werden (z.B. Lehmann, 2010; McPherson & Gabrielsson; 2002; Musco, 2010, Woody 2012). Merriam sieht darin sogar einen universellen Prozess: "There is, however, considerable evidence to indicate that imitation forms an important part of music learning and that it may well be a universal step in the process." (Merriam,1964, S. 147).

Weltweit gründen orale Musikkulturen ihre Ausbildung von Beginn an auf primär hörbasierte Lehr- und Lernmethoden, wobei Notation nur einem untergeordneten Zweck, als Gedächtnisstütze, dient (z.B. Berliner, 1994; Campbell, 1991, 2004, 2006; Finnegan, 1989; Hargreaves & North, 2001, McCarthy, 1999; McLucas, 2010; Monson, 1996; Wade, 2004). Die ‚klassisch‘i westliche Musikvermittlung hat sich insbesondere seit ca. 1850 im Instrumentalunterricht überwiegend auf notenorientiertes Musizieren und den Erwerb der dazu erforderlichen Kenntnisse im Notenlesen fokussiert (Drees, 2004; Kopiez, 2008; McPherson & Gabrielsson, 2002). Gleichzeitig haben einzelne Pädagogen wie Pestalozzi, Mason, Mainwaring, Orff, Suzuki oder Gordon betont, dass sich erst ein Denken in Klängen entwickelt haben sollte, bevor mit Noten gearbeitet wird (vgl. Woody, 2012). Die gesellschaftliche Etablierung des Jazz und anderer Stile der Popularmusik hat in den letzten Jahrzehnten in der formalen Musikerziehung eine Umorientierung initiiert.

In diesem Zusammenhang ist eine umfassende Betrachtung von Musikalität bedeutend. So gruppieren McPherson und Kollegen (McPherson, 1993, 1995; McPherson et al., 2012) musikalische Performanz in drei Bereiche: (1) den hörbasierten, (2) den kreativen und (3) den visuellen. Wie Abbildung 1 zeigt, fassen sie zum auditiven Bereich das Spiel nach Gehör und Auswendigspiel, zum kreativen Bereich die Improvisation und zum visuellen Bereich das Vom-Blatt-Spiel und die Aufführung eingeübter Stücke. McPherson et al. (2012) konnten in ihren Untersuchungen feststellen, dass sich Schülerinnen und Schüler musikalisch am umfassendsten entwickelten, wenn hörbasierte, kreative und visuelle Bereiche im Unterricht ausgeglichen bedacht wurden. Dies befähigt sie, an einer weiten stilistischen Vielfalt teilzuhaben.

Abbildung 1

Auditive, kreative und visuelle Aspekte musikalischer Performanz (übersetzt und adaptiert in Anlehnung an McPherson, Davidson & Faulkner, 2012, S. 7).

Den theoretischen Hintergrund zu einem besseren Verständnis erfolgreichen Musizierens liefern Lehmann und Ericsson (1997; vgl. auch Lehmann & Davidson, 2002; Woody, 2003) mit ihrem Modell mentaler Repräsentationen musikalischer Performanz.

„[Es] umfasst verschiedene Komponenten, nämlich (1) die Repräsentation eines erwünschten musikalischen Ereignisses (‚wie soll es klingen?‘), (2) die Repräsentation der eigenen derzeitigen Leistung (‚wie klinge ich gerade?‘) sowie (3) eine Repräsentation einer möglichen Implementation des angezielten Handlungsplanes auf dem Instrument unter Einbezug einer motorischen und sensorischen Komponente (‚wie fühlt es sich an, wenn ich …?‘)“ (Gruber & Lehmann, 2007, S. 507).

Speziell beim Spiel nach Gehör sind die mentalen Repräsentationen der Klangvorstellung (goal imaging) und der präzisen, zum Teil automatisiert ablaufenden sensomotorischen Umsetzung (motor production) wesentlich (Woody & Lehmann, 2010). Während die Klangvorstellung beim Blattspiel visuell erzeugt wird, bildet sie sich beim Spiel nach Gehör rein aus auditiven Informationen des Arbeitsgedächtnisses. Können Klangvorstellungen ohne Einbezug von Noten in angemessene Bewegungen umgesetzt werden, spricht man auch von Ohr-Hand-Koordination (Froseth, 1987, 1996). Diese Zusammenhänge verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass sich bei der musikalischen Entwicklung eine genuin musikalische Klangvorstellung bilden kann (vgl. Mainwaring, 19411951; Suzuki, 1986; siehe auch Gordon, 2012; McPherson & Gabrielsson, 2002). Wird zu früh nach Noten und ohne akustisches Modell gelernt, so leitet das visuelle Notenbild die motorische Umsetzung am Instrument, und die Ohr-Hand-Koordination, welche die hörbasierte Ausführung einer musikalischen Phrase ermöglicht, wird nicht genügend ausgebildet. Zahlreiche Erfahrungen zeigen, dass derart sozialisierte Musizierende sich oft unsicher fühlen, wenn sie spontan, ohne Noten, nur nach Gehör musizieren sollen.

Ein weiterer Grund für die Wichtigkeit, Musik nach Gehör zu lernen, liegt in den Prinzipien der Wahrnehmung: Musikalische Klänge werden normalerweise nicht isoliert als Noten wahrgenommen, sondern nach den Gesetzen der Gestaltbildung automatisch zu sinnvollen Bedeutungseinheiten gruppiert (z.B. Deutsch, 1994; Dowling & Harwood, 1986). Da Novizen zunächst jede einzelne Note entziffern und schrittweise in geeignete Fingerbewegungen umsetzen müssen, wird dabei schnell der musikalische Zusammenhang vernachlässigt. Beim Musiklernen nach Gehör kann das Lernen gleich gemäß diesen strukturellen Wahrnehmungseinheiten verlaufen. Sinnvolle Übungen für Novizen sind beispielsweise musikalische Echo-Spiele, Frage-Antwort-Spiele und das Spielen bekannter (Volks-)Lieder nach Gehör (Dalby, 1999; Gruhn, 2010; Woody, 2012). Dabei steht bereits von Beginn an das expressive Potential von Musik und die Entwicklung der musikalischen Sprachfähigkeit im Vordergrund. Dagegen kann das Einstudieren eines unbekannten Stückes über Noten oft frustrierend sein, da Anfängerinnen und Anfänger dadurch ihren spontanen, intuitiven Zugang zu Musik und ihr Gefühl für musikalische Zusammenhänge und Entwicklungsverläufe eher verlieren (vgl. Schleuter, 1997; Mahlert, 2011; Mills & McPherson, 2006).

„In short, ear playing is an acquired skill with admittedly large individual differences, like many other skills in music performance. That some musicians view it with amazement likely is due to their not having had the requisite experiences to acquire it for themselves.” (Woody & Lehmann, 2010, 102).

Mündliche und schriftliche Musiktraditionen am Beispiel der Violine

Über die Jahrhunderte hat sich kein Streichinstrument weltweit so verbreitet wie die Violine nach Amati. Dies mag sicherlich an dem hohen Maß an akustischer Perfektion und gleichzeitig der hohen Flexibilität des Instruments liegen, sodass die Violine mit ihrem bundlosen Griffbrett Teil ganz unterschiedlicher Kulturen mit ihren mannigfachen Stimmungs- und Tonsystemen werden konnte (z.B. Haigh, 2009; Melkus, 2000; Menuhin, 1996; Strohmann, 2004). Musiktraditionen unterscheiden sich insbesondere in der Verwendung mündlicher und schriftlicher Vermittlungsformen, wie auch im Stellenwert kreativer Praktiken, wie am Beispiel der westlichen Kunstmusik, des Jazz und der nordindischen Kunstmusik ersichtlich wird.

Westliche Kunstmusik

Langfristig betrachtet wurden europäische Musikerinnen und Musiker umfassend, sowohl in auditiven, kreativen und visuellen Aspekten geschult. Frühen Abbildungen zufolge wurde auf der Violine entweder Tanzmusik improvisiert oder Singstimmen in Chorstücken nach Belieben verdoppelt (Gläß, 1992). Spätestens im Barock war es für Musikerinnen und Musiker an Fürstenhöfen und im Kirchendienst zur Selbstverständlichkeit geworden, nach Noten zu spielen, meist sogar unvorbereitet vom Blatt (prima vista). Im 17. Jahrhundert war die Violine in Italien das am meisten bevorzugte Instrument. Die Personalunion von Komponierendem und Interpretierendem führte zu einer kontinuierlichen Ausweitung technischer Möglichkeiten. Mit dem Solokonzert als beliebtester Gattung entstand der Bedarf, die Aufführungen durch ausgiebige Proben vorzubereiten (z.B. Lehmann & McArthur, 2002). Hohe technische Anforderungen verlangten von Solisten eine vom Notentext gelöste, memorierte Darbietung. Bis etwa 1950 profilierte sich eine Künstlerin oder ein Künstler sowohl in auswendigem Literaturspiel als auch in notationsunabhängigem Improvisieren (vgl. Bitzan, 2010).

Zuvor hatte schon die gesamte Entwicklung im 19. Jahrhundert zu einer Umstrukturierung und Spezialisierung im Musikleben geführt. Generative musikalische Fähigkeiten wie Improvisation und Komposition traten in den Hintergrund und blieben nur noch Spezialistinnen und Spezialisten vorbehalten, während die allgemeine Tendenz dahin ging, Musik als reproduktive Tätigkeit anzusehen, wobei technische Fertigkeiten und interpretatorische Fragen an Bedeutung gewannen. Dies führte zu sehr mechanischen, motorisch überbetonten und mathematisch-isolierten Ansätzen musikalischer Lehrmethoden (Drees, 2004). Durch die dargelegte Spezialisierung in der abendländischen Kunstmusik kam es in der Ausbildung heranwachsender Musikerinnen und Musiker vermehrt im letzten Jahrhundert zu einseitigen Entwicklungen (z.B. Lehmann & Ericsson, 1998).

"Also sagen wir mal so, es gibt Klassiker, die erschreckend wenig über Harmonielehre wissen, von Theorie überhaupt, die also wirklich nur ihre Theoriefächer abgeschlossen haben und ansonsten brillant ihren Kram spielen; aber sich gar nicht so bewusst sind, was sie da eigentlich so machen, was für einen Jazzmusiker schon gar nicht geht. Wenn du echt improvisieren willst, heutzutage, mit den schwierigen Akkordfolgen, dann musst du dich in Harmonielehre auskennen und sehr gut in Gehörbildung sein. Du kannst die Musik nur wirklich gut spielen, wenn du viel weißt. Aber natürlich gibt‘s überall Ausnahmen.“ (Michael Gustorff, professioneller Jazzmusiker und Jazzdozent aus Arnhem, NL im Interview mit Anja-Maria Hakim am 26.03.2010)

Jazz

Die Wurzeln des Jazz liegen in der überwiegend mündlichen Überlieferung der Kultur schwarzafrikanischer Vorfahren. Wie das freie Sprechen im Alltag improvisiert wird, spielt im Jazz die Improvisation, d.h. Variation und Neukombination bereits eingeübter Pattern und Strukturen, die entscheidende Rolle (Putschögl, 1993).

„Because of the focus on talk-as-performance, a feeling develops that the talker in public settings is potentially ‚‘on’ all the time – that is, verbal behavior will be judged as if it were a performance and the speaker judged as if he were on stage. This means that virtually any conversation may turn into a routine or something else equally dramatic.” (Abrahams, 1976, S. 18).

Auf dem Weg zur Professionalisierung fungierten bis in die 1960er Jahre die regionalen Jam Sessions (Berliner, 1994; Cameron, 1954; Sidran, 1995) als wichtige Filterungsinstanz. Ambitionierte Jazzerinnen und Jazzer mussten eines der über tausend üblichen Standardthemen in der korrekten Tonart anspielen, die ‚richtigen‘ Substitutionsakkorde zahlreicher Stücke auswendig beherrschen und vorgegebene Tempi technisch bewältigen können. Ein brillant improvisiertes Solo über ein harmonisch diffiziles Stück in rasendem Tempo konnte einen Newcomer schlagartig zum allseits akzeptierten Szeneangehörigen etablieren (Jost, 1999). Anfang der 1960er Jahre kam es dann in den USA (Tanner, 1971) und seit den 1990ern auch in Deutschland zu einer Institutionalisierung und vermehrten Förderung des Jazz im Rahmen von akademischen Ausbildungsstätten.

Nach wie vor lernen die meisten Jazzgeigerinnen und -geiger das Instrument Violine in den Anfangsjahren von einer Lehrerin oder einem Lehrer. Selbst Jazzer der ersten Generation wie Eddie South und Stuff Smith haben zunächst eine klassische Instrumentalausbildung durchlaufen (Börsing, 2004a, 2004b; Gräßer, 1991). Parallel dazu entwickelten sie eigene Initiativen in Jazz, Rock oder Pop, wobei persönliche Vorbilder und Idole prägend waren.

Nordindische Kunstmusik

Auch innerhalb der nordindischen Kunstmusik wird Musik bei Konzerten zu etwa 85 Prozent improvisiert (z.B. Schmidt, 2012). Dabei bilden die melodische und rhythmische Dimension die wichtigsten strukturgebenden Merkmale. Die Melodiebildung im naturreinen, nicht-temperierten Tonsystem basiert auf idiomatischen Phrasen und Formeln, einem Rāga, welcher eine bestimmte Atmosphäre ausdrückt. Der Grundton bleibt innerhalb eines nordindischen Rāga fest (vgl. eine systematische Darstellung und Charakterisierung von 74 nordindischen Rāgas bei Bor et al., 1999). In der langsamen Einleitung (Alāp) eines typischen Konzertablaufs wird das Tonmaterial und der spezifische Modus zunächst vom Melodieinstrument in unmetrisierter Form vorgestellt und entwickelt.

Die indische Musikvermittlung verläuft konsequent nach dem Prinzip der Imitation und zentriert sich auf die Lehrerin oder den Lehrer (z.B. Shankar, 2007; Widdess & Sanyal, 2004). Musikalische Phrasen werden solange vorgespielt und wiederholt, bis sie korrekt nachgespielt werden können. Der Anteil verbaler Vermittlung ist dabei minimal. Improvisatorische Fertigkeiten werden nur indirekt vermittelt, der Fokus liegt auf dem präzisen Memorieren von Kompositionen, welche nach Gehör spielend erlernt werden, sowie der intensiven Beschäftigung mit zunächst einem Hauptrāga über einen längeren Zeitraum von bis zu fünf Jahren. Das Lernen erfolgt also über das Einprägen von vorgegebenen Modellen und ihren adäquaten Varianten in unterschiedlichen Anwendungskontexten (Schmidt, 2012).

Weitere kulturvergleichende Forschungen zeigen, dass sich abhängig vom soziokulturellen Kontext ganz unterschiedliche musikalische Lehr- und Lernkulturen entwickeln, welche sich in Klassik, Jazz oder auch im Flamenco in den polaren Dimensionen Selbst- vs. Fremdregulation, analytischer vs. emotionaler Zugang sowie der primären Anwendung expliziter vs. impliziter Wissensformen unterscheiden (Casas-Mas, Pozo & Scheuer, 2015).

Entwicklung von Spiel nach Gehör

Auch wenn mehrere Expertinnen und Experten das Spiel nach Gehör empfehlen (vgl. Musco, 2010) und Lehrmaterial überwiegend im Zusammenhang mit Improvisationstraining verfügbar ist (Agrell, 2008; Benward & Wildman, 1984; Cooker, 1964; Friesen & Friesen, 2012; Glaser, 2001; LaPorta, 1968; Schleuter, 1997; Steinschaden & Zehetmair, 1982; Terhag & Winter, 2011), fand die Förderung dieser Fähigkeit lange Zeit in Lehrplänen für den Instrumentalunterricht und in Schulcurricula wenig Beachtung. Besonders in den letzten Jahrzehnten wurde jedoch die Anwendung auditiver Fähigkeiten besonders im Kontext von Rock/Pop, Jazz und Weltmusik verstärkt thematisiert (z.B. Green, 2002, 2008, 2014).

Spiel nach Gehör ist eine Form des Nachahmungs- oder Modelllernens wie beispielsweise auch das Erlernen der Muttersprache oder des Laufens. Bei Musikerinnen und Musikern kommt es beim Beobachten einer instrumentenspezifischen Spielbewegung und auch bei der ausschließlich akustischen Wahrnehmung eines bekannten Musikstücks zur transmodalen Aktivierung durch Spiegelneurone in akustischen und motorischen Arealen des Gehirns. Mit zunehmender Professionalität verstärken sich die Aktivierungen der netzwerkartigen Spiegelneurone (Furukawa, Uehava & Furuya, 2017; Haslinger et al., 2005), deren Funktionsweise durch sensomotorisches Training auch radikal verändert werden kann (Cook et al., 2014).

Die Fähigkeit, nach Gehör zu spielen, nimmt unter anregenden Bedingungen automatisch mit der Zeit zu (Gerber, 1992; McPherson, 2005), entwickelt sich als Ergebnis von selbst initiierter Übung (McPherson, 1995, 1997) oder als Ergebnis von angeleiteter Übung (Bernhard, 2004; Brown, 1990; Dickey, 1991; Markovich, 1985; Musco, 2006; Varvarigou, 2014; Wilder, 1988). Wie jede andere musikalische Fertigkeit auch kann Spiel nach Gehör durch Übung verbessert werden.

Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass Unterrichtszeit, die für Spiel nach Gehör verwandt wird, Leistungen im Blattspiel nicht beeinträchtigt (Glenn, 1999; Musco, 2006). Glenn (1999) verdeutlicht darüber hinaus, dass Streicherinnen und Streicher, die zu Beginn nach Gehör unterrichtet werden, im Vergleich zur konventionell unterrichteten Kontrollgruppe mehr Freude und Motivation beim Spielen empfinden. Junge Instrumentalisten erleben durch ein Training im Spiel nach Gehör mehr Freude im Instrumentalunterricht, entwickeln ihr Gehör und improvisatorische Fertigkeiten und erlangen mehr Sicherheit auf dem Instrument (Varvarigou, 2014). Auch bei studierenden Jazzmusikern steht Spiel nach Gehör mit einer umfassenden auditiven Entwicklung im Zusammenhang (Woody & Lehmann, 2010).

Eine Langzeitstudie, welche 157 Instrumentalschülerinnen und -schüler aus Australien von ihrem siebten bis 22. Lebensjahr begleitete, zeigt, dass Schülerinnen und Schüler, die nach dem ersten Jahr Instrumentalunterricht im Notenlesen und im Spiel nach Gehör schlechter als der Durchschnitt waren, signifikant häufiger aufgehört haben (McPherson, 2005; McPherson et al., 2012). In einer schwedischen Online-Befragung (N = 3.820) haben Improvisation und Spiel nach Gehör neben Geschlecht, Musikstil, Instrument, akkumulierten Übungsstunden, einem musikalisch anregenden Umfeld und der Teilnahme an einem Ensemble einen positiven Einfluss auf die langfristige Motivation, ein Instrument zu spielen bzw. zu singen (Theorell et al., 2015). Bei erwachsenen Amateur-Bläsern wirken sich Spiel nach Gehör und Improvisation positiv auf die Selbstwirksamkeit und Entwicklung einer umfassenden Musikalität aus (Hartz & Bauer, 2017).

Das Spiel nach Gehör von Rhythmen (Kopiez et al., 1999), spontanes rhythmisches Synchronisieren (Tapping; Drake & El Heni, 2003) und das Play-along von Akkorden (Johansson, 2004) funktionieren in vertrauten Musikstilen besser als in fremden. Untersuchungen mit Streicherinnen und Streichern zum Spiel nach Gehör unbekannter Melodien aus wenig vertrauten Musikstilen fehlen bislang.

Nach Woody & Lehmann (2010) sind Popularmusikerinnen und -musiker besser im Singen und Spielen nach Gehör als solche des klassischen Bereichs, es zeigen sich zudem instrumentenspezifische Unterschiede. Leistungen von Streicherinnen und Streichern wurden in ihrer Untersuchung nicht erhoben.

Weitere Untersuchungen zum Spiel nach Gehör betreffen Zusammenhänge zwischen musikalischer Struktur und Spiel nach Gehör (Delzell et al., 1999). Danach sind für Schülerinnen und Schüler aufsteigende Melodielinien leichter zu spielen als absteigende und Melodien in Dur leichter als Melodien in Moll. Zudem verwandten jene gewohnte Fingersätze in wenig vertrauten Tonarten, obwohl sie in einem Wahrnehmungstest unterschiedliche Tonarten erkennen konnten. Habituierte Bewegungen werden somit bevorzugt, auch wenn sie nicht adäquat sind. Fähigkeiten im Spiel nach Gehör sind bei erwachsenen, professionellen Streicherinnen und Streichern besser als bei Schülerinnen und Schülern. Allerdings zeigte sich bei sinnlosen, per Computer generierten Tonfolgen kein Unterschied (Gerber, 1992).

Bei Studierenden ist die Merkfähigkeit nicht an strukturelle Einfachheit gebunden, beim Singen nach Gehör kam es bei strukturell leichten Beispielen teilweise zu schlechteren Leistungen als bei anspruchsvolleren (Cutietta & Booth, 1996). Mit höherer Expertise wächst die Adaptionsfähigkeit (vgl. Gruber & Lehmann, 2007), so dass für Musikstudierende eine Mischung aus leichten und anspruchsvollen Beispielen geeignet ist. Dabei ist zu beachten, dass ausdrucksvolle Darbietungen nach Tillmann et al. (2013) kurzzeitig besser erinnert werden können als mechanisch abgespielte.

Als wesentlicher Indikator für gute Fähigkeiten im Spiel nach Gehör wird wiederholt die Fähigkeit zur Klangvorstellung genannt (vgl. Mainwaring, 1951; Bernhard, 2004; Delzell et al., 1999; Glaser, 2001; Gordon, 2012; Woody & Lehmann, 2010). Jedoch verbinden Instrumental-Lernende, die notenorientiert unterrichtet wurden, mit den Noten oft nur mangelnde Klangvorstellungen. Sie können ein bekanntes Kinderlied nicht korrekt nach Gehör notieren (Davidson, Scripp & Welsh, 1988). Selbst unter Musikstudierenden und professionellen Musikerinnen und Musikern assoziieren nur 35% eine korrekte innere Klangvorstellung mit dem Anblick von Noten (Brodsky, Kessler, Rubinstein, Ginsborg & Henik, 2008). Darüber hinaus entwickelt das ausschließliche Spielen nach Noten zwar auch das Gehör, führt aber gleichzeitig zu Einschränkungen in Bezug auf kreative Formen des Musikmachens wie Improvisation (Ketovuori, 2015).

Gordon (1989) hat zur Messung der Klangvorstellung ein Wiedererkennungsparadigma (recognition paradigm) in seinen Advanced Measures of Music Audiation (AMMA) verwandt. Allerdings zeigt der AMMA gerade beim Vergleich von Studierenden mit und ohne Jamerfahrung – einer jazztypischen Musizierpraxis – keine signifikanten Unterschiede (Southworth 2008). Da die Durchführung zudem zwanzig Minuten dauert, wurde in der vorliegenden Studie ein Verfahren in Anlehnung an Glaser (2001) gewählt, bei welchem eine unbekannte Melodie nach Gehör auf Notennamen gesungen oder gesprochen wird (siehe Abschnitt 'Messinstrumente').

Bei jungen Bläserinnen und Bläsern gibt es Zusammenhänge zwischen dem Umfang des instrumentalen Übens und Leistungen im Spiel nach Gehör (siehe jedoch McPherson, 2005). Allerdings wurde bei McPherson (1993, 1995, 1997) keine detaillierte retrospektive Erhebung der angesammelten Übungsstunden durchgeführt. Nach Ericsson, Krampe und Tesch-Römer (1993) sind akkumulierte Übungsstunden ein allgemeiner, zuverlässiger Indikator für berufliche Professionalität von Violinisten und Pianisten (siehe auch Platz, Kopiez, Lehmann & Wolf, 2014). Dieser Zusammenhang gilt auch für Jazzmusikerinnen und -musiker (Degner, Lehmann & Gruber, 2003).

In dem Forschungsüberblick wurde ersichtlich, dass bislang Untersuchungen zum Spiel nach Gehör von Violinistinnen und Violinisten unterschiedlicher kultureller Vorerfahrung fehlen. Vorerfahrungen im Jazz sind insofern von besonderem Interesse, als sich Jazzer und Klassiker speziell in der Verwendung von visuellen und auditiven Vermittlungsformen und dem Anteil kreativer Fertigkeiten unterscheiden. Damit einhergehen spezifische musikalische Vorerfahrungen und Praktiken, welche wiederum für das Spiel nach Gehör relevant sind (Prouty, 2006; Woody & Lehmann, 2010). Aufgrund von instrumentenspezifischen Unterschieden beim Spiel nach Gehör muss überprüft werden, ob sich Ergebnisse von Woody & Lehmann (2010) beim Spiel nach Gehör mit Violinistinnen und Violinisten replizieren lassen. Schließlich konnte keine Untersuchung gefunden werden über Fähigkeiten von Violinistinnen und Violinisten, Melodien aus vertrauten und weniger vertrauten Musikstilen nach Gehör zu spielen. Bisherige Untersuchungen zum Spiel nach Gehör unterschiedlich vertrauter Musikstile beziehen sich auf rhythmisches und harmonisches Spiel nach Gehör (Drake & El Heni, 2003; Johansson, 2004; Kopiez et al., 1999). Das melodische Nachspielen wurde in diesem Kontext bislang nicht erhoben, wobei gerade die Violine für ein nuancenreiches, melodisches Spiel nach Gehör unterschiedlicher Musikstile und Tonsysteme prädestiniert ist (s.o.). Auch wenn Spiel nach Gehör in vertrauten Musikstilen leichter fällt, so gibt es gerade in heutiger Zeit immer wieder spontane Zusammentreffen von Musikerinnen und Musikern unterschiedlicher Kulturen, bei denen ein Musizieren ohne Noten beispielsweise in Jamsessions gefragt ist.

Fragestellung und Hypothesen

Die zentrale Frage der folgenden Untersuchung lautet: Welche musikalischen Vorerfahrungen begünstigen neben Jazzerfahrung Leistungen im Spiel nach Gehör von unbekannten Melodien aus vertrauten und weniger vertrauten Musikstilen bei Streicherinnen und Streichern?

Hypothese (1) lautet: Je situativ vertrauter ein Musikstil empfunden wird, desto besser sind die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör unbekannter Melodien aus unterschiedlich vertrauten Musikstilen bei Streicherinnen und Streichern. Die statistische Hypothesenprüfung erfolgt in sechs linearen Regressionen mit dem Expertenrating für Spiel nach Gehör des Melodiebeispiels als abhängiger Variable (AV) und der jeweils situativ empfundenen Vertrautheit als Kovariate.

Da beim Spiel nach Gehör besonders die Klangvorstellung und die motorische Umsetzung von Bedeutung sind (Woody & Lehmann, 2010), werden in dem Forschungsdesign zur Überprüfung der zweiten Hypothese die Klangvorstellung und die akkumulierten Übungsstunden neben Jazzerfahrung als Variablen mit einbezogen, wobei wir annehmen, dass die Übungsstunden stark mit der motorischen Umsetzung verbunden sind. Inwiefern Vorerfahrungen im Jazz beim Spiel nach Gehör von Melodien aus einem wenig vertrauten Musikstil von Vorteil sind, soll hier erstmals untersucht werden.

Hypothese (2) lautet: Je mehr Vorerfahrungen Streicherinnen und Streicher (a) im Jazz haben, (b) je besser ihre Klangvorstellung ist und (c) je mehr Übungsstunden sie akkumuliert haben, desto besser sind die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Nach-Gehör-Spielen unbekannter Melodien aus vertrauten und wenig vertrauten Musikstilen. Die statistische Analyse erfolgt in vier multiplen, linearen Regressionen: Damit werden Einflüsse musikalischer Vorerfahrungen anhand der Kovariaten (a) bis (c) auf die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör auf jeden Musikstil (Sum_west, Sum_jazz, Sum_indi, siehe Abschnitt 'Expertenrating') untersucht. Zusätzlich wird dasselbe Modell anhand der Summe der Expertenratings aus allen drei Musikstilen (Sum_WestJazzIndi) geprüft. Durch den Vergleich der drei Einflussfaktoren (a) bis (c) auf die Nachspielfähigkeiten in vertrauten und weniger vertrauten Musikstilen sollen erste übergreifende Erkenntnisse zur Entwicklung und Förderung dieser grundlegenden Fertigkeit gewonnen werden.

Die Stichprobe setzt sich bewusst aus Angehörigen zweier Populationen zusammen, die entweder ausschließlich ein Training in abendländischer Kunstmusik erhalten haben oder seit einigen Jahren zusätzlich schwerpunktmäßig Jazz oder eine andere Form von improvisierter Populärer Musik spielen. Damit werden hier nicht geographisch distinkte Populationen untersucht, wie es der inzwischen veraltete Kulturbegriff nach Herder (1891) nahelegen würde, sondern die Vorerfahrungen und Fertigkeiten zweier unterschiedlicher kultureller Milieus. Darüber hinaus wird in der berichteten Untersuchung eine weitere Perspektive des Kulturvergleichs einbezogen, indem unbekannte Melodien aus drei unterschiedlich vertrauten Musikstilen (westlich, jazzig, indisch) als Stimuli zum Einsatz kommen. Somit beinhaltet die hier vorgestellte Untersuchung einen doppelten Kulturvergleich.

Methode

Stichprobe

Geigerinnen und Geiger (n = 27) sowie Bratschistinnen (n = 2) der Musikhochschulen in Frankfurt am Main, Köln, Arnhem (NL) und München sowie der Justus-Liebig-Universität Gießen wurden nach Genehmigung durch die Dekane über Studierendensekretariate, Instrumentallehrende oder über Aushänge akquiriert und dann telefonisch oder per Mail kontaktiert. Keinem teilten wir vorab mit, dass es bei der geplanten Untersuchung um Spiel nach Gehör gehen würde. Sie wurden lediglich gebeten, ihr Instrument mitzubringen, um ein paar Melodien darauf zu spielen. Dadurch sollte ausgeschlossen werden, dass sich vermehrt Teilnehmende melden, die besondere Interessen im Spiel nach Gehör mitbringen oder sich im Vorfeld gezielt vorbereiten. Teilnehmende erhielten eine Aufwandsentschädigung von 15,- Euro.

Insgesamt liegen die vollständigen Datensätze von 29 westlichen Studierenden (15 w, 14 m) vor, welche auf freiwilliger Basis teilnahmen (Frankfurt: n = 9, Köln: n = 5, Arnhem: n = 7, München: n = 5, Gießen: n = 3). Die Studierendendaten wurden anonymisiert und für die Einzelanalysen, welche in einem gesonderten Artikel berichtet werden, frei erfundene Namen gewählt. Vor der experimentellen Testung füllten die Teilnehmenden einen Fragebogen zu musikalischer Ausbildung und Erfahrenheit (MAE) aus, siehe Ergänzende Materialien. Zu Beginn jeder Durchführung notierte die Erstautorin, ob Vorerfahrungen als Jazzmusikerin bzw. -musiker vorhanden sind und wenn ja, wie viele Jahre. Trotz nur vereinzelt aufzufindenden Violinistinnen und Violinisten mit Jazzerfahrung konnten 12 Streicherinnen und Streicher (davon 10 Geiger [2 w, 8 m] und 2 Bratschistinnen) mit mehr als drei Jahren Erfahrung als Jazzmusiker bzw. improvisierender Popularmusiker (1 m) erreicht werden. Die durchschnittliche Jazzerfahrung der Studierenden, die der Gruppe der Jazzer zugeteilt wurden, lag bei M = 5,58 Jahren (SD = 1,52, n = 12). Von diesen hatten acht einen künstlerischen Studiengang belegt, drei studierten Schulmusik und einer Musikwissenschaft. Zwölf Geigerinnen und Geiger (9 w, 3 m) waren rein klassisch ausgebildet, sechs von diesen studierten einen künstlerischen Studiengang, drei Schulmusik, zwei Musikwissenschaft und eine Instrumentalpädagogik. Weitere fünf klassisch orientierte Musizierende (2 w, 3 m) hatten etwas Jazzerfahrung zwischen einem halben bis zu einem Jahr, drei davon belegten einen künstlerischen Studiengang und zwei studierten Schulmusik. Die subjektiv eingeschätzte Hörerfahrung mit indischer Kunstmusik lag insgesamt im unteren Bereich (M = 2,14 SD = 1,62, Skala 1-7, 7 = sehr gut, Min = 1, Max = 6). Fünf Teilnehmende (2 w, 3 m) schätzten ihre Hörerfahrung mit indischer Musik als mittelmäßig bis gut ein. Die Spielerfahrung mit indischer Kunstmusik war niedrig (M = 1,28, SD = 0,84, Skala 1-7, 7 = sehr gut, Min = 1, Max = 5). Ein klassischer Geiger hatte gute Spielerfahrungen und ein Jazzgeiger hatte etwas Spielerfahrung in indischer Musik.

Einen Überblick zur Verteilung des Alters und der Semesterzahl zum Zeitpunkt der Testung sowie zum Alter, als mit dem Violinspiel begonnen wurde, gibt Tabelle 1. 22 der Teilnehmenden (davon 10 Jazzer, 12 Klassiker) hatten das Violinspiel zu Beginn mit Lehrendem nach Noten gelernt, sechs hatten anfangs mit Lehrendem nach Gehör (davon 2 Jazzer, 4 Klassiker) und eine Klassikerin autodidaktisch nach Noten gelernt. Keine/r hatte anfangs autodidaktisch nach Gehör gelernt. Nach eigenen Angaben waren 13 Relativhörer (8w, 5 m, davon 7 Jazzer, 6 Klassiker), 9 Fastabsoluthörer (5 w, 4 m, davon 4 Jazzer, 5 Klassiker) und 7 Absoluthörer (2 w, 5 m, davon 1 Jazzer, 6 Klassiker). Fastabsoluthörer wurden im Fragebogen so definiert, dass sie „Tonhöhen und Tonarten von bekannten Stücken sehr gut erkennen und erinnern“ können.

Tabelle 1

Verteilung des Alters und der Semesterzahlen zum Zeitpunkt der Testung, sowie des Alters, als mit dem Violinspiel begonnen wurde, in der untersuchten Stichprobe (N = 29).

Merkmal M SD Min Max
AlterTestung 23,31 2,59 20 29
SemesterzahlTestung 6,38 3,88 1 14
AlterBeginn Violinspiel 7,41 2,46 4 14

Messinstrumente

Zur Messung der unabhängigen Variablen (UV) wurde u.a. der bereits genannte Fragebogen zu musikalischer Ausbildung und Erfahrenheit (MAE) entwickelt (48 Items, 7-stufige Rating-Skala, siehe Ergänzende Materialien), welcher sich speziell an aktive Musikerinnen und Musiker richtet und die Bereiche (1) Fertigkeitserwerb, (2) Fertigkeitsprofil und (3) stilistisch-kulturspezifische Fertigkeiten umfasst. In der Pilotierung wurden inhaltliche Aspekte und die allgemeine Verständlichkeit von vier Musikexpertinnen bzw. -experten und 27 Musikstudierenden überprüft.

Die mit Hypothese (1) untersuchte situative Vertrautheit mit dem jeweiligen Musikstil der sechs Originalmelodien wurde bestimmt, indem die Teilnehmenden im Anschluss an jeden Nachspielzyklus mündlich gefragt wurden, wie vertraut ihnen der Musikstil der Melodie war (Skala 1-7, 7 = sehr vertraut). Die Antworten wurden von der Versuchsleiterin in vorbereitete Bögen notiert (siehe Abschnitt 'Deskriptive Statistik').

Des Weiteren wurde im Bezug auf Hypothese (2) die Klangvorstellung getestet. Sie wurde vergleichbar den Aufgaben zum Spiel nach Gehör anhand einer kurzen, unbekannten Melodie (s. Abbildung 2) gemessen, womit dieser erste Schritt dem Untersuchungsparadigma des (seriell) melodic recall von Sloboda & Parker (1985; siehe auch Luce, 1958) folgt und einer Empfehlung von Glaser (2001) entspricht (siehe Abschnitt 'Versuchsdurchführung und -aufbau'). Der prozentuale Anteil korrekt genannter Notennamen ergab den Wert für die Klangvorstellung. Durch dieses Verfahren wurde eine vergleichbare Versuchsbedingung wie beim Spiel nach Gehör hergestellt, wobei die motorische Umsetzung gezielt ausgeschlossen wurde. Damit sollte eine Konfundierung mit der Gesangsfertigkeit vermieden werden. Das hier gemessene Konstrukt der Klangvorstellung bildet also die rein hörbasierte, melodische Merkfähigkeit gekoppelt mit analytischem Hören ab und steht somit für eine Integration von implizitem und explizitem melodischem Wissen. Bewusst haben wir uns für ein Wiedergabe (recall)-Paradigma und kein Erkennungs (recognition)-Paradigma wie etwa bei Gordons (1989) AMMA entschieden (vgl. Müllensiefen & Wiggins, 2011): Während beide Versuchsbedingungen das innere Hören und das Arbeitsgedächtnis involvieren, ist erstere aus unserer Sicht stärker mit dem Spiel nach Gehör verwandt. Wie bereits Pembrook (1986) feststellt, steigt die melodische Erinnerung und damit Erwartungsbildung durch wiederholtes Hören. Durch das Nachsingen kann die Erwartung einerseits überprüft werden. Andererseits beeinträchtigt fehlerhaftes Nachsingen die melodische Erinnerung (Pembrook, 1987), welche durch das erneute Hören in unserem Versuchsdesign jedoch wieder aufgefrischt werden konnte. Wir führten kein Melodiediktat durch, da die Verschriftlichung beim Spiel nach Gehör nicht möglich ist und wiederum andere Kapazitäten des Arbeitsgedächtnisses beansprucht. Auch Karpinski (1990, 2000) und Rogers (2004) betonen, dass das Hören, Erinnern und Verstehen drei wesentliche musikalische Fähigkeiten sind, die vor der Verschriftlichung erfolgen sollten, um ein Gespür für musikalische Zusammenhänge zu entwickeln. Gerade beim Spiel nach Gehör sind diese drei Aspekte für die Klangvorstellung wesentlich. Für unser Versuchsdesign war diese Art der Messung der Klangvorstellung ein effektives Verfahren, das nach objektiven Kriterien durchgeführt werden konnte. Eine externe Validierung der Testung der Klangvorstellung steht noch aus, wobei es im Sinne einer konvergenten Konstruktvalidierung interessant wäre, die Ergebnisse mit dem Hannoveraner Klangvorstellungstest (Wolf, Kopiez & Platz, 2018) zu vergleichen.

Folgende Melodie wurde zur Messung der Klangvorstellung verwandt. Sie wurde von einer Studentin im Juni 2010 an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Frankfurt/Main auf der Violine eingespielt (siehe Audiodatei in den Ergänzenden Materialien). Eine musikalische Analyse befindet sich im Appendix in den Ergänzenden Materialien.

Abbildung 2

Transkription der Melodie zur Messung der Klangvorstellung durch Singen nach Gehör und Singen bzw. Sprechen auf Notennamen.

Den Versuchspersonen wurde die Melodie zweimal auf CD vorgespielt. Dann folgten fünf Zyklen von abwechselndem Hören und Singen. Im Anschluss daran wurden die Teilnehmenden gebeten, die Melodie auf Notennamen zu singen oder zu sprechen, wobei ihnen zu Beginn der Anfangston mitgeteilt wurde. Sie bekamen dafür zwei Minuten Zeit. Die genannten Notennamen wurden von der Versuchsleiterin auf vorbereiteten Bögen mitgeschrieben und zusätzlich auf Tonband aufgenommen. Nachträglich wurde der prozentuale Anteil seriell richtig genannter Töne in Bezug auf die insgesamt 24 Töne der Originalmelodie berechnet (Skala 0-10). Fehlerhafte Töne wurden ignoriert. Wenn jemand beispielsweise 18 richtige Töne auf Notennamen gesungen oder auf den Halbton genau genannt hatte, so erreichte sie/er bei der Klangvorstellung 75 Prozent bzw. 7,5 von insgesamt 10 Punkten. Drei Teilnehmende sangen die Melodie auf Solfa, wobei der Ton b1 verbal nicht vom h1 zu unterscheiden war. Da sie jedoch korrekt intonierten, wurde der volle Punkt gewertet.

Die seit Beginn des Geigenspiels bis zum Zeitpunkt der Untersuchung erworbenen Übungsstunden wurden anhand des MAE detailliert tabellarisch erhoben. Im Fragebogen wurde festgelegt, dass es sich dabei um jene Stunden handelt, die Teilnehmende mit ihrem Instrument „allein verbracht [haben], um zu üben“. Es wurden die durchschnittlichen täglichen Übungsstunden sowie die Übetage pro Woche für jedes Lebensjahr in chronologischer Reihenfolge erfragt und nachträglich als akkumulierte, wöchentliche Übungsstunden aufaddiert. Auch wenn die retrospektive Erhebung mit einer leichten Überschätzung einhergeht, sind die Angaben bei angehenden professionellen Musikerinnen und Musikern im Allgemeinen sehr zuverlässig und können gut erinnert werden (Ericsson et al., 1993). Inwiefern damit primär die motorische Umsetzung gemessen wurde, kann nicht abschließend beantwortet werden. Speziell Streicherinnen und Streicher müssen jedoch aufgrund des bundlosen Griffbretts die präzise motorische Umsetzung trainieren.

Als abhängige Variable (AV) wurde per Expertenrating (Skala 0–10) die Leistung im Spiel nach Gehör von je zwei unbekannten Melodien aus drei unterschiedlich vertrauten Musikgenres (westlich, jazzig, indisch) gemessen (siehe Abschnitt 'Expertenrating').

Stimuli

Bei den nachzuspielenden Melodiebeispielen handelte es sich um im Vorfeld aufgenommene Improvisationen von vier professionellen Geigerinnen und Geigern und einer Studentin mit besonderen Vorerfahrungen in einer der drei Musikkulturen (westlich, jazzig, indisch). Dieses Verfahren wurde zum einen gewählt, damit die Melodiebeispiele unbekannt sind, da davon auszugehen war, dass die Studierenden vielfältige Hör- und Spielerfahrungen haben. Zum anderen sollte es sich nicht um synthetisch generierte Melodiebeispiele handeln, sondern organisch aus dem Musikvollzug entstandene Melodien (Tillmann et al., 2013). Alle Aufnahmen wurden mit einem ZOOM H4-N über ein externes Kondensatormikrophon (AKG 1000) als Wave-Datei in Mono aufgenommen, nachträglich mit der Software Wavelab (Version 6; Steinberg Media Technology, 2005) als Stereo-Datei angelegt und geschnitten. Aus den Tonaufnahmen wurden 13 Melodiebeispiele von 9 bis 20 Sekunden Länge ausgewählt, deren Lautstärke mit Wavelab auf 0 dB angeglichen wurde, bevor sie auf CD gebrannt wurden. In dieser Arbeit werden davon zwei Melodien aus drei unterschiedlichen Musikstilen (westlich, jazzig, indisch), also insgesamt sechs dieser Melodiebeispiele, näher ausgewertet. Diese Ausschnitte waren 9 bis 15 Sekunden lang und von leichter bis anspruchsvoller Schwierigkeit. Jede Originalmelodie wurde monomelodisch auf CD vorgespielt (siehe Audioaufnahmen) und für die Expertenratings zusätzlich in westliche Notation transkribiert. Ergänzend wurden computergestützte graphische Transkriptionsverfahren mit Hilfe der Softwares Praat (Version 6.0.38; Boersma & Weenink, 2018) und Melodyne (Version 2.1.0; Celemony Software, 2011) verwandt, welche in der Musikethnologie gerne genutzt werden, um Musik aus nicht temperierten Musiksystemen möglichst adäquat zu visualisieren. Im Folgenden werden die Transkriptionen der sechs Originalmelodien in westlicher Notation sowie Praat-Visualisierungen für die indischen Melodiebeispiele gezeigt (s. Abbildungen 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 und 10). Detaillierte Analysen und sämtliche Melodiekonturen befinden sich im Appendix in den Ergänzenden Materialien.

Abbildung 3

Transkription der Melodie „westlich 1“ (Dauer: 15 Sek.), welche nach Gehör imitiert wurde.

Abbildung 4

Transkription der Melodie „westlich 2“ (Dauer: 9 Sek.), welche nach Gehör imitiert wurde.

Abbildung 5

Transkription der Melodie „jazzig 1“ (Dauer: 9,5 Sek.), welche nach Gehör imitiert wurde.

Abbildung 6

Transkription der Melodie „jazzig 2“ (Dauer: 10,4 Sek.), welche nach Gehör imitiert wurde.

Abbildung 7

Transkription der Melodie „indisch 1“ (Dauer: 15 Sek.), welche nach Gehör imitiert wurde.

Abbildung 8

Transkription der Melodiekontur von „indisch 1“ mit der Software Praat (Boersma & Weenink, 2018). Die Hilfslinien an der y-Achse markieren Halbtonschritte von jeweils 100 cent. Die Nulllinie bezeichnet den Grundton d‘, welcher bei 294,7 Hz liegt. Die x-Achse bildet die Zeit in Sekunden ab.

Abbildung 9

Transkription der Melodie „indisch 2“ (Dauer: 11 Sek.), welche nach Gehör imitiert wurde.

Abbildung 10

Transkription der Melodiekontur von „indisch 2“ mit der Software Praat (Boersma & Weenink, 2018). Die Hilfslinien markieren Halbtonschritte von jeweils 100 cent. Die Nulllinie bezeichnet den Grundton d‘, welcher bei 294,7 Hz liegt. Die zwölfte Linie stellt die Oktave zum Grundton dar.

Versuchsdurchführung und -aufbau

Während westliche Kunstmusik allen Teilnehmenden spielpraktisch vertraut war, traf dies beim Jazz nur für die Hälfte der Musikstudierenden zu. Nordindische Kunstmusik war den Teilnehmenden am wenigsten vertraut. Da aus diesen drei Musikstilen jeweils zwei Melodiemuster als Stimuli in der hier berichteten quasi-experimentellen Untersuchung zum Spiel nach Gehör dienten, wurde somit die Vertrautheit der Musikstile systematisch variiert.

In pädagogischen Lehr-Lernsituationen werden vor dem Erlernen einer unbekannten Melodie üblicherweise zuerst die jeweilige Tonskala, ihre charakteristischen Intervalle und einzelne Motive erarbeitet und eingeübt. Im Rahmen der hier vorgestellten Untersuchungen sollte jedoch nicht eine pädagogisch angeleitete Vermittlung, sondern der Status quo der individuellen Leistungen im Spiel nach Gehör von vertrauten und fremden Musikstilen nach einem akustischen Modell erfasst werden. Dadurch sollte der Einfluss langfristig erworbener, kulturspezifischer Fertigkeiten auf Leistungen im Spiel nach Gehör untersucht werden. Deshalb wurde für die experimentelle Versuchsdurchführung ein Verfahren gewählt, wobei nur durch wiederholtes Hören und Nachspielen einer Melodie – ohne verbale Erläuterungen – ein implizites, erfahrungsorientiertes Lernen angeregt wurde. Allein das wiederholt dargebotene, akustische Modell sollte als Orientierung dienen, um die geeigneten Handlungsprozeduren von selbst zu erzeugen.

Bereits McPherson (1993) entschied sich in seinem Test of Ability to Play by Ear (TAPE) bewusst gegen die Methode von Froseth (1987), welcher kurze, melodische Figuren im 4/4 Takt auf einen durchlaufenden Metronomklick verwandte, die sofort nach dem ersten Hören echoartig zwischen zwei Hörbeispielen in Echtzeit im Tempo nachgespielt werden sollten. Derartige Aufgaben finden sich inzwischen häufiger in Tutorials etwa auch bei der Software SmartMusic (MakeMusic, 2008) und sind sicherlich pädagogisch sinnvoll. Allerdings zeigte sich bei der Pilotierung von McPherson wie ebenfalls hier, dass Teilnehmende durch derartige Aufgabenstellungen auch verängstigt oder irritiert werden, weil sie unmittelbar reagieren müssen. Dagegen scheinen sich Personen am Spiel nach Gehör in Anlehnung an Luce (1958, 1965) mehr zu erfreuen, wenn sie Zeit haben, das Original mehrmals zu hören und zu erinnern, bevor sie es auf dem eigenen Instrument imitieren sollen (McPherson, 1993). Dieses Vorgehen wurde hier entsprechend gewählt. Dabei wurde in den ersten Messungen zunächst die Anzahl der möglichen Hör- und Spielzyklen offen gelassen (Woody & Lehmann, 2010), so dass es bei einzelnen Melodiemustern bis zu zwölf oder mehr Nachspielversuchen kam. Ein Vergleich zeigte jedoch, dass sich bereits nach dem fünften Nachspielversuch bedeutende Unterschiede abzeichneten, die dann per Expertenrating bewertet werden konnten, so dass maximal fünf Nachspielversuche erlaubt wurden. In den Expertenratings wurde jeweils der fünfte Versuch beurteilt.

Die Untersuchungen zum Spiel nach Gehör fanden vor Ort an den jeweiligen Musikhochschulen von Juni bis Juli 2010 sowie Oktober bis Januar 2011 statt. Im November 2012 wurden noch drei weitere Versuchspersonen in Arnhem/NL und Gießen getestet. Mit neun Versuchspersonen wurde zusätzlich von August 2010 bis Januar 2011 eine Wiederholungsmessung mit einer Auswahl der Melodiebeispiele durchgeführt. Aus organisatorischen Gründen oblag der Erstautorin die Leitung aller Untersuchungen.

Die Instrumentalräume, welche die jeweiligen Musikhochschulen bzw. Universität freundlicherweise zur Verfügung stellten, waren mit einem Klavier oder Flügel ausgestattet. Alle Untersuchungen wurden einzeln und nach demselben vorher festgelegten Verfahren durchgeführt. Sie dauerten pro Person circa 1,5 Stunden. Eine Woche vor dem vereinbarten Termin wurde jeder/m Teilnehmenden der Fragebogen MAE zugeschickt, mit der Bitte, ihn sorgfältig ausgefüllt mitzubringen. Sofern dies noch nicht geschehen war, wurde der Fragebogen vor der praktischen Untersuchung in Anwesenheit der Versuchsleiterin ausgefüllt.

Das Abspielen der Melodiebeispiele erfolgte von CD über einen tragbaren CD-Spieler (Modell JVC RC-EZ53) (s. Abbildung 11). Aufnahmegerät und Mikrophon waren jeweils auf einem Stativ befestigt, verkabelt und wurden von einer Stromquelle versorgt. Das Mikrophon wurde im Abstand von etwa 50 cm über den Schalllöchern bzw. bei Gesangsaufgaben zur Messung der Klangvorstellung in Höhe des Mundes angebracht. Eine Überprüfung über Kopfhörer sicherte die Aufnahmequalität.

Abbildung 11

Versuchsaufbau zur individuellen Messung der Leistungen im Spiel nach Gehör, welche mit einem digitalen Aufnahmegerät aufgezeichnet wurden. (Foto: Hakim)

Jede Melodie wurde den Teilnehmenden zunächst zweimal auf CD vorgespielt, dann folgten fünf Zyklen von abwechselndem Hören und Spielen. Die Personen wurden gebeten, die Originalmelodien so genau wie möglich in Bezug auf Tempo, Phrasierung und Ausdruck nach Gehör nachzuspielen. Ihnen wurde nicht mitgeteilt, dass es sich um Melodien aus drei unterschiedlichen Musikstilen handelt. Eine Mitteilung über den jeweiligen Anfangston der unterschiedlichen Melodiemuster erhielten sie auch nicht, Teilnehmende durften diesen aber auf Wunsch auf dem Klavier suchen, was nur vereinzelt geschah. Nach dem jeweils letzten Nachspielversuch schätzte jede/r Teilnehmende das situativ empfundene Gefallen, die Vertrautheit mit dem Musikstil und die empfundene Schwierigkeit für jede Originalmelodie ein (siehe Abschnitt 'Deskriptive Statistik'). Die Reihenfolge der Melodiebeispiele wurde im Ablauf konstant gehalten und bewegte sich vom Vertrauten hin zum weniger Vertrauten. Begonnen wurde mit den westlichen Melodien, dann folgten die jazzigen Melodien und zuletzt die indischen.

Einschränkungen und Einordnungen

Zum Nachspiel der beiden indischen Melodieausschnitte ist anzumerken, dass es aus emischer Sicht sehr untypisch ist, eine indische Melodie ohne Tampūra zu hören oder zu spielen. Auch während des Übens orientieren sich indische Violinistinnen und Violinisten traditionell an dem kontinuierlich erklingenden Bordun-Dreiklang, welcher heutzutage meistens über eine sogenannte shruti box elektronisch eingespielt wird. Hinzu kommt, dass die indische Violine anders gestimmt wird als die westliche. Auch im Jazz werden Melodien nicht allein, sondern meist bezogen auf eine Akkordfolge gespielt. Das hier gewählte Verfahren, die Melodie isoliert zu hören und zu spielen, widerspricht also sehr den kulturtypischen Konventionen. Es wurde dennoch gewählt, um ein einheitliches, methodisch standardisiertes Vorgehen für das Spiel nach Gehör innerhalb von drei unterschiedlichen Musiksystemen zu gewährleisten.

Alle hier vorgestellten Melodieausschnitte wurden ausgesucht, weil es sich um kurze unbekannte, idiomatische Tonverläufe handelt. Die erste westliche Melodie verläuft mit großem Tonumfang konventionell im klassischen Stil. Die zweite westliche Melodie bewegt sich genauso wie „jazzig 1“ und „indisch 1“ eher in einem kleinen Tonumfang. Die Stimuli „westlich 2“, „jazzig 1“ und „indisch 1“ sind spieltechnisch gesehen leichter als die etwas anspruchsvollen Melodien „jazzig 2“ und insbesondere „indisch 2“. Die Melodie „jazzig 2“ erhält durch zahlreiche Sechzehntelfiguren im off-beat Charakter eine hohe Ereignisdichte, die es bogentechnisch zu bewältigen gilt. Allerdings sind keine Lagenwechsel erforderlich und es gibt viele Wiederholungen. Aufgrund größerer Intervallsprünge und stark gezogener bzw. reich verzierter Töne im unbekannten Musikstil ist die Melodie „indisch 2“ insgesamt spieltechnisch am anspruchsvollsten. Für die beiden Bratschistinnen entstehen keine Nachteile im Vergleich zu den Violinistinnen und Violinisten, weil sie ebenfalls von der g-Seite und d1-Seite aus mit identischen Fingersätzen beginnen können. Lediglich beim Beispiel „indisch 2“ können sie mangels e2-Seite das fis2 nicht aus der ersten Lage vom vorausgehenden h1 aus erreichen, was sich allerdings bei dem starken Glissando auch nicht anbietet. Auch im indischen Original wird das fis2 in Lage gespielt.

Da Tempo und Metrum nicht standardisiert vorgegeben wurden und die Rhythmik zudem bei den Melodien „westlich 2“, „indisch 1“ und „indisch 2“ freier gestaltet war, können in Bezug auf das Metrum ambivalente Situationen für die Teilnehmenden nicht ausgeschlossen werden. Entsprechend variierten auch die Dauern der Nachspielversuche. Im Appendix (siehe Ergänzende Materialien) befinden sich Boxplots, Mittelwerte und Histogramme zur Verteilung der Dauern der Nachspielleistungen in der Stichprobe. Um zu überprüfen, ob durch die freie Tempogestaltung eine Benachteiligung einer der Gruppen (Jazzer vs. Klassiker) entstanden ist, wurde nachträglich zunächst eine multivariate Varianzanalyse für die unklassifizierten Dauern der sechs Melodiebeispiele durchgeführt. Da sowohl der Box-Test (p = ,002) wie auch ein Faktor im Levene-Test signifikant wurden (p = ,025), wählten wir einen nichtparametrischen Test: Deskriptiv betrachtet war der mittlere Rang der Jazzer bis auf „westlich 1“ immer niedriger als bei den Klassikern. Die zentrale Tendenz unterschied sich im Mann-Whitney Test bei „jazzig 1“ signifikant (p = ,004) sowie tendenziell bei „indisch 1“ (p = ,073) und bei „indisch 2“ (p = ,080). Bei „jazzig 1“ näherte sich der Median (Mdn) der Nachspieldauern der Jazzer mit 10,30 Sek. (M = 9,85, SD = 1,48, n = 12) der Dauer der Originalmelodie von 9,5 Sek. signifikant besser an als bei den Klassikern (Mdn = 12,20, M = 13,32 Sek., SD = 6,01, n = 17). Bei „indisch 1“ lag der Median der Nachspieldauern der Jazzer mit 13,15 Sek. (M = 13,17, SD = 1,46, n = 12) unter der Dauer der Originalmelodie von 15 Sek. Hier waren die Klassiker mit Mdn = 14,10 Sek. (M = 14,42, SD = 2,20, n = 17) näher dran. Bei „indisch 2“ lag der Median der Jazzer mit 13,90 Sek. (M = 13,21, SD = 2,84, n = 12) einiges über der Dauer der Originalmelodie von 11 Sek., bei den Klassiker jedoch noch weiter darüber (Mdn = 16,20, M = 16,48, SD = 6,08, n = 17). Somit gestalteten die Jazzer das Tempo bei „jazzig 1“ signifikant und bei „indisch 2“ tendenziell besser als die Klassiker, während es die Klassiker bei „indisch 1“ tendenziell besser trafen.

Expertenrating

Aufgrund der Verwendung von Melodien aus unterschiedlichen Musikstilen in zum Teil nicht-temperierter Stimmung wählten wir zur Auswertung ein Expertenrating. Es wurde jeweils der fünfte Nachspielversuch der zwei Melodien aus drei unterschiedlichen Musikstilen (westlich, jazzig, indisch), insgesamt also 6 x 29 = 174 Nachspielversuche auf einer Skala von 0 bis 10 bewertet, wobei 0 für ungenügend stand und 10 für ausgezeichnet (siehe Appendix in den Ergänzenden Materialien). Als Expertenraterin konnte die langjährige Geigenlehrerin und ehemalige Universitätsmusikdirektorin der Justus-Liebig-Universität Gießen, Brigitte Schön, gewonnen werden. Sie war zu dem Zeitpunkt seit mehreren Jahrzehnten in der Landesjury von Jugend musiziert in Hessen tätig und bewertete im Sommer 2012 ca. 60 Prozent aller Nachspielversuche. Die Bewertung der indischen Musikbeispiele übernahm zusätzlich ein erfahrener Musikethnologe und Spezialist für indische Musik, Wim van der Meer vom Musikwissenschaftlichen Institut der Universität von Amsterdam. Alle Versuchsbeispiele wurden zudem von der Erstautorin bewertet, die seit dem 7. Lebensjahr Geige spielt, 19 Jahre lang Geigenunterricht - u.a. an der Universität Hildesheim - erhielt sowie zwei Jahre lang Unterricht in indischem Gesang, Bambusflöte, Tabla und Sitar. Auch die Zweitautorin ist langjährige Geigerin und studierte Violine als Nebenfach.

Zu Beginn wurden die Raterin und der Rater anhand von Hörbeispielen mit der Bewertungsskala vertraut gemacht. Die Bewertung erfolgte nach wiederholtem Anhören eines Nachspielversuchs durch akustischen und visuellen Vergleich mit dem Original. Jede Originalmelodie wurde dazu in westlicher Notation angezeigt. Zur Bewertung wurden die Nachspielversuche in zufälliger Reihenfolge und jeweils im Wechsel mit der Originalmelodie solange vorgespielt, bis jede/r Bewerter/in mit ihrem/seinem Ergebnis zufrieden war. Zudem wurden alle Wertungen der 29 Nachspielleistungen jeder Originalmelodie untereinander auf Angemessenheit überprüft. Die Bewertung der Nachspielversuche von den Originalmelodien „westlich 2“ und „jazzig 1“ übernahm ausschließlich die Erstautorin.

Zur Einschätzung der Beurteilerreliabilität wurde die Intraklassen-Korrelation (ICC) für alle Fälle, die von zwei Ratern beurteilt wurden, berechnet (ICC_unjust; s. Wirtz & Caspar, 2002, S. 190). Diese lag für „westlich 1“ mit den Beurteilungen der Raterinnen Schön und Hakim bei ,923 (CI 95%MIN/MAX = ,830/,965, n = 26, Methode in SPSS: zweifach gemischt, absolute Übereinstimmung). Der ICC lag für „jazzig 2“ mit den Beurteilungen der Raterinnen Schön und Hakim bei ,931 (CI 95%MIN/MAX = ,747/,982, n = 10). Für „indisch 1“ lag der ICC mit den Beurteilungen der Rater van der Meer und Hakim bei ,748 (CI 95%MIN/MAX = ,147/,913, n = 24) und für „indisch 2“ bei ,799 (CI 95%MIN/MAX = ,326/,928, n = 24).

Für die weiteren Berechnungen wurde für jede Nachspielleistung der Mittelwert aus zwei Ratings gebildet. Für die Leistungen von „westlich 2“ und „jazzig 1“ sowie alle anderen Fälle, in denen nur die Wertungen der Erstautorin vorlagen, wurden diese direkt übernommen. Zur Überprüfung von Hypothese (2) wurde für jeden Musikstil die Summe aus den gemittelten Ratings beider Melodiebeispiele gebildet (Sum_West, Sum_Jazz, Sum_Indi), welche somit die AV bildete. Zudem wurde die Summe aus allen drei Musikstilen aufaddiert (Sum_WestJazzIndi). Die durchschnittliche Interitem-Korrelation zwischen den Expertenratings der drei Musikstile (Sum_West, Sum_Jazz, Sum_Indi) beträgt ,70. Cronbachs α für standardisierte Items liegt bei ,88 und weist auf eine gute interne Konsistenz. Dieser Wert spricht dafür, dass trotz der Unterschiedlichkeit der Melodiebeispiele und Musikstile eine Musikstil-übergreifende Fähigkeit im Spiel nach Gehör gemessen wurde.

Ergebnisse

Deskriptive Statistik

Die situativ eingeschätzte Vertrautheit mit dem Musikstil lag bei den westlichen und jazzigen Melodien im positiven Bereich, siehe Tabelle 2. Die beiden indischen Stimuli wurden als wenig vertraut eingeschätzt. Das subjektive Gefallen lag durchweg im mittleren bis positiven Bereich. Der Schwierigkeitsgrad wurde überwiegend als mittelmäßig eingestuft mit einer Ausnahme: Melodie „indisch 2“ wurde als schwierig empfunden.

Tabelle 2

Verteilung der situativen Einschätzungen von Gefallen, stilistischer Vertrautheit und Schwierigkeit der Melodiebeispiele direkt im Anschluss an jeden Nachspielzyklus bzw. an die Testung der Klangvorstellung (KV).

Musikstimulus n Gefallena
Vertrautheitb
Schwierigkeitc
M SD M SD M SD
westlich 1 27 5,81 0,92 5,04 0,90 4,07 1,24
westlich 2 29 5,17 0,93 4,24 1,12 4,45 1,35
jazzig 1 29 5,55 1,12 4,83 1,65 3,95 1,42
jazzig 2 28 5,64 1,10 4,89 1,55 4,07 1,39
indisch 1 29 4,83 1,47 2,40 1,47 4,38 1,29
indisch 2 29 4,00 1,51 1,97 1,21 5,83 1,17
KV 29 5,28 0,88 5,10 1,01 4,00 1,54

aRating-Skala 1-7, 7 = sehr gut; bRating-Skala 1-7, 7 = sehr vertraut; cRating-Skala 1-7, 7 = sehr schwierig.

Tabelle 3 gibt einen Überblick zu der Verteilung der drei unabhängigen Variablen (a) Jazzerfahrung in Jahren, (b) Klangvorstellung und (c) der bis zum Zeitpunkt der Untersuchung akkumulierten, wöchentlichen Übungsstunden in der gesamten Stichprobe. Die Übungsstunden weisen im Gegensatz zu Jazzerfahrung und Klangvorstellung eine sehr große Varianz auf: Studierende aus künstlerischen Studiengängen übten sehr viel mehr (M = 246,03, SD = 70,95, n = 17) als Studierende aus dem Bereich Schulmusik/Instrumentalpädagogik (M = 102,64, SD = 50,41, n = 9) und als Studierende der Musikwissenschaft (M = 32,47, SD = 14,20, n = 3).

Tabelle 3

Übersicht zu den in Hypothese (2) untersuchten unabhängigen Variablen (N = 29)

Unabhängige Variable M SR SD Varianz Min Max
Jazzerfahrung 2,46 0,53 2,86 8,15 0 8,00
Klangvorstellung 5,57 0,57 3,10 9,58 0 9,58
Übungsstunden 179,44 19,05 102,57 10.519,60 17 369,25

Anmerkung. SR = Standardfehler des M.

In der Summe_WestJazzIndi der Expertenratings für Leistungen im Spiel nach Gehör wurden in der gesamten Stichprobe von maximal 60 Punkten MSumWJI = 33,45 (SDSumWJI = 8,73, N = 29) erreicht. Im westlichen Musikstil und im Jazz lagen die Wertungen insgesamt im befriedigenden Bereich (siehe Bewertungsmaßstab im Appendix in den Ergänzenden Materialien): Von maximal 20 Punkten wurden in der Summe_West MSumW = 12,51 (SDSumW = 3,64) und in der Summe_Jazz MSumJ = 12,81 (SDSumJ = 3,58) erreicht. Die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör lagen in der Summe_Indi im ausreichenden Bereich MSumI = 8,12 (SDSumI = 2,50). Einen detaillierten Überblick über die Rohdaten einschließlich der Expertenratings für die einzelnen Melodiebeispiele gibt Tabelle 4.

Tabelle 4

Auflistung der Verteilung der Mittelwerte (M), Standardabweichungen (SD), Minima (Min) und Maxima (Max) der Rohdaten der Expertenratings für Leistungen im Spiel nach Gehör in Abhängigkeit von musikalischer Vorerfahrung (Jazzer, Klassiker und Klassiker mit etwas Jazzerfahrung).

Musikalische Vorerfahrung n M SD Min Max
Sum_WestJazzIndi
Jazzer 12 37,59 5,08 30,00 45,85
Klassiker 12 28,72 9,70 10,75 44,45
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 34,88 9,12 24,80 47,75
Sum_West
Jazzer 12 13,39 2,75 8,00 17,00
Klassiker 12 11,18 4,44 3,25 19,50
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 13,60 2,92 10,00 17,50
Sum_Jazz
Jazzer 12 15,16 2,08 12,00 18,50
Klassiker 12 10,48 3,54 4,00 15,50
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 12,81 3,24 8,30 16,75
Sum_Indi
Jazzer 12 9,04 1,69 5,15 10,85
Klassiker 12 7,07 2,61 3,50 12,40
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 8,47 3,33 5,00 13,50
westlich 1
Jazzer 12 6,67 1,35 5,25 9,00
Klassiker 12 5,78 2,85 1,25 10,00
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 7,30 2,28 4,00 9,50
westlich 2
Jazzer 12 6,73 1,83 2,00 8,50
Klassiker 12 5,40 2,24 2,00 9,50
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 6,30 1,04 5,50 8,00
jazzig 1
Jazzer 12 7,81 1,13 6,00 9,50
Klassiker 12 5,67 2,02 2,00 9,00
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 5,86 2,16 2,30 8,00
jazzig 2
Jazzer 12 7,35 1,68 5,00 9,50
Klassiker 12 4,81 2,04 2,00 8,50
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 6,95 1,91 5,00 9,75
indisch 1
Jazzer 12 5,43 1,37 2,50 7,00
Klassiker 12 4,30 1,81 1,50 8,00
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 4,70 1,94 2,00 7,00
indisch 2
Jazzer 12 3,61 0,85 2,50 5,00
Klassiker 12 2,77 1,32 1,00 5,15
Klassiker mit etwas Jazzerfahrung 5 3,77 1,59 2,65 6,50

Statistische Hypothesenprüfung

Zu Hypothese (1)

Je situativ vertrauter ein Musikstil empfunden wird, desto besser sind die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör unbekannter Melodien aus unterschiedlich vertrauten Musikstilen bei Streicherinnen und Streichern.

Hypothese (1) kann nur zum Teil bestätigt werden, siehe Tabelle 5: Im westlichen Musikstil zeigt sich kein signifikanter Einfluss der situativ empfundenen Vertrautheit des Musikstils auf Leistungen im Spiel nach Gehör einer unbekannten Melodie. Im Jazzkontext sind Leistungen im Spiel nach Gehör besser, je vertrauter der Musikstil situativ eingeschätzt wurde, wobei das Modell bei „jazzig 1“ nach Cohen (1988) eine gute moderate Varianzaufklärung und bei „jazzig 2“ eine große Varianzaufklärung hat. Bei „indisch 1“ zeigt sich tendenziell eine kleine Varianzaufklärung durch die situative Vertrautheit mit dem Musikstil. Nach Ausschluss des besten Spielers bei „indisch 2“, der gute Spielerfahrung mit indischer Musik hatte und damit ein Ausreißer in der Stichprobe ist, wird das Modell nicht mehr signifikant.

Tabelle 5

Ergebnisse der sechs linearen Regressionen für die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör von je zwei unbekannten Melodien aus drei unterschiedlich vertrauten Musikstilen mit der situativen Vertrautheit des Musikstils als Kovariate

Expertenrating für Leistung im Spiel nach Gehör von Melodie… n B der situativen Vertrautheit des Musikstils p 95% CI
F R2korr
UG OG
westlich 1 27 -,079 ,695 -,416 ,281 0,16 -,03
westlich 2 29 ,003 ,988 -,392 ,398 0,00 -,04
jazzig 1 29 ,494 ,006 ,151 ,838 8,73 ,22
jazzig 2 28 ,536 ,003 ,199 ,890 10,47 ,26
indisch 1 29 ,295 ,120 -,082 ,672 2,58 ,05
indisch 2 28 ,133 ,499 -,299 ,597 0,47 -,02

Anmerkung. Die Variablen wurden alle Z-transformiert. B = standardisierte Koeffizienten der Beta-Werte, UG = Untergrenze, OG = Obergrenze, R2korr = korrigierter R2-Wert.

Zu Hypothese (2)

Je mehr (a) Vorerfahrungen Streicherinnen und Streicher im Jazz haben, je besser ihre (b) Klangvorstellung ist und je mehr (c) Übungsstunden sie akkumuliert haben, desto besser sind ihre per Expertenrating gemessenen Leistungen im Nach-Gehör-Spielen unbekannter Melodien aus vertrauten und weniger vertrauten Musikstilen.

Tabelle 6

Auflistung der Ergebnisse der vier multiplen linearen Regressionen mit den Kovariaten Jazzerfahrung in Jahren (JE), Klangvorstellung (KV) und akkumulierte Übungsstunden (ÜS) (Methode: Einschluss, N = 29)

Expertenrating für Leistung im Spiel nach Gehör von… M SD UV B p 95% CI
F (3,25) p R2korr
UG OG
Sum_WestJazzIndi 33,45 8,73 JE ,274 ,063 -,016 ,564 8,93 < ,001 ,46
KV ,464 ,004 ,161 ,766
ÜS ,330 ,032 ,031 ,630
Sum_West 12,51 3,64 JE ,092 ,565 -,233 ,418 5,39 ,005 ,32
KV ,376 ,031 ,037 ,716
ÜS ,390 ,025 ,054 ,725
Sum_Jazz 12,82 3,58 JE ,430 ,009 ,117 ,742 6,59 ,002 ,38
KV ,338 ,043 ,012 ,663
ÜS ,246 ,129 -,076 ,567
Sum_Indi 8,12 2,50 JE ,207 ,139 -,072 ,486 10,39 < ,001 ,50
KV ,588 ,000 ,298 ,879
ÜS ,235 ,105 -,052 ,522

Anmerkung. Die Variablen wurden alle Z-transformiert. B = standardisierte Koeffizienten der Beta-Werte, UG = Untergrenze, OG = Obergrenze, R2korr = korrigierter R2-Wert.

Die drei UVs korrelieren nicht untereinander (rmax = .28 mit p = ,138 zwischen KV und ÜS, N = 29), d.h. die Faktoren Klangvorstellung und Übungsstunden sind damit auch unabhängig von Jazzerfahrung. Zudem sind die Übungsstunden wie auch die Expertenratings nach dem Shapiro-Wilk-Test normalverteilt. Die Voraussetzungen für eine multiple lineare Regression wie Linearität, Unabhängigkeit und Normalverteilung der Residuen und fehlende Multikollinearität sind akzeptabel erfüllt. Im Appendix in den Ergänzenden Materialien befindet sich eine Übersicht zu den Korrelationen nullter Ordnung der UVs mit den AVs. Hypothese (2) kann wie folgt beantwortet werden, siehe Tabelle 6: Das Modell mit den drei Kovariaten (a) bis (c) hat dabei nach Cohen (1988) eine durchweg hohe Varianzaufklärung von 32% bis 50%. Musikstilübergreifend (Sum_WestJazzIndi) erklärt der Prädiktor Klangvorstellung am besten Leistungen im Spiel nach Gehör, gefolgt von den bis zum Zeitpunkt der Untersuchung akkumulierten Übungsstunden. Im westlichen Musikstil unterstützen die Übungsstunden, dicht gefolgt von Klangvorstellung am besten Leistungen im Spiel nach Gehör, während Jazzerfahrung völlig irrelevant ist. Im Musikstil Jazz dominiert der Faktor Jazzerfahrung in Jahren neben Klangvorstellung, während die Übungsstunden nur einen kleinen Einfluss zeigen, der in unserer kleinen Stichprobe nicht signifikant wird. Im indischen Kontext spielt die Fähigkeit der Klangvorstellung eine herausragend große Rolle. Die Übungsstunden und noch weniger Jazzerfahrung haben nur tendenziell einen kleinen Einfluss, der in unserer Stichprobe nicht signifikant wird. Damit hat Jazzerfahrung verglichen mit Klangvorstellung und Übungsstunden keinen wesentlichen Einfluss auf das Spiel nach Gehör im wenig vertrauten, indischen Musikstil.

Diskussion

Hypothese (1), dass Leistungen im Spiel nach Gehör unbekannter Melodien aus unterschiedlich vertrauten Musikstilen besser sind, je vertrauter ein Musikstil situativ empfunden wird, kann für den Jazz und tendenziell für das leichtere indische Melodiebeispiel bestätigt werden, nicht jedoch für den westlichen Musikstil. Die Zusammensetzung der Stichprobe aus westlichen Musikstudierenden, in der etwa die Hälfte der Teilnehmenden Vorerfahrung im Jazz, dagegen nur sehr wenige Vorerfahrungen in indischer Musik haben, erklärt, warum der Effekt im Jazzkontext größer ausfällt als im indischen. Somit ist auch das Spiel von Melodiemustern nach Gehör abhängig von kultureller Vertrautheit, wie bereits Untersuchungen von Drake und El Heni (2003) und Kopiez et al. (1999) beim rhythmischen Nachspiel sowie von Johansson (2004) beim harmonischem Play-along nahe legen. Über den ausbleibenden Effekt im westlichen Kontext wird vermutet, dass es bei den Studierenden, welche alle eine westliche Musikausbildung durchlaufen haben, offensichtlich vielfältige andere Einflussfaktoren gibt, die hier bedeutsamer waren. Außerdem war möglicherweise die Typikalität der westlichen Melodiebeispiele nicht ausreichend. Bei der Melodie „indisch 2“ gibt es nach Ausschluss des besten Spielers keinen signifikanten Effekt mehr, vermutlich war das Beispiel zu anspruchsvoll.

Drei weitere, mögliche Einflussfaktoren auf das Spiel nach Gehör wurden mit Hypothese (2) näher untersucht. Sie besagt, dass die per Expertenrating gemessenen Leistungen im Spiel nach Gehör besser sind, je mehr (a) Jazzerfahrung in Jahren Streicherinnen und Streicher haben, je besser ihre (b) Klangvorstellung ist und je mehr (c) Übungsstunden sie akkumuliert haben. Dieses Modell erbringt in den multiplen Regressionsanalysen eine durchweg große Varianzaufklärung von 32% bis 50%. Durch Einbezug der drei Kovariaten können die Einflüsse im Hinblick auf Leistungen im Spiel nach Gehör noch differenzierter betrachtet werden als dies bisher geschehen ist (vgl. Woody & Lehmann, 2010) und weitere Unterschiede erklärt werden: Im vertrauten westlichen Musikstil sind die Übungsstunden dicht gefolgt von der Klangvorstellung der beste Prädiktor, Jazzerfahrung ist unbedeutend. Damit sind besonders klassische Teilnehmende, die viel üben und eine gute Klangvorstellung haben, gut beim Spiel nach Gehör im westlichen Musikstil. Dem Modell mentaler Repräsentationen musikalischer Performanz und unseren Ergebnissen folgend wird demnach beim Üben von klassischen Streicherinnen und Streichern besonders die Ohr-Hand-Koordination (vgl. Froseth, 1994, 1996) gestärkt. Dieser Effekt müsste unserer Meinung nach umso größer werden, je mehr auswendig geübt wird, da beim Auswendigspiel ebenso die (langfristig gebildete) Klangvorstellung und motorische Umsetzung wesentlich sind. Es wäre eine Aufgabe zukünftiger Forschungen, dies zu prüfen. Gemäß der theoretischen Herleitung ist somit unsere Entscheidung, die motorische Umsetzung mit den Übungsstunden zu operationalisieren, durchaus sinnvoll.

Der Faktor Jazzerfahrung in Jahren ist nach unseren Ergebnissen neben Klangvorstellung im Jazzkontext der beste Prädiktor. Damit sind langjährige Jazz-Violinistinnen und -Violinisten mit guter Klangvorstellung besonders im vertrauten Jazzkontext besser im Spiel nach Gehör. Mit dem Faktor Jazzerfahrung in Jahren geht typischerweise das notenfreie Spielen und Improvisieren einher, beides setzt eine gute Ohr-Hand-Koordination voraus. Dem Modell mentaler Repräsentationen musikalischer Performanz und unseren Ergebnissen folgend erwerben somit Jazz-Violinisten die motorische Umsetzung für das Spiel nach Gehör überwiegend in stilspezifischen Aktivitäten, die nicht als Üben betrachtet werden, sowie in Gruppensettings.

Im indischen Kontext hat die Klangvorstellung einen herausragend großen Einfluss auf Leistungen im Spiel nach Gehör. Das sichere Erinnern und Benennen von Tonhöhen im vertrauten, westlichen Dur/Moll-Kontext, welches bei der Testung der Klangvorstellung gemessen wurde, ermöglicht es demnach, sich auch in fremden Tonsystemen besser zu orientieren und zumindest die grobe Melodiekontur nach einem kurzen akustischen Modelllernen nachzuspielen. Denn insgesamt fielen die Leistungen im indischen Kontext im Vergleich zu „westlich“ und „jazzig“ am schlechtesten aus. Feinheiten der indischen Ornamentierung konnten nicht präzise wiedergegeben werden, hierzu bedarf es langfristiger Übung. Die Ergebnisse verdeutlichen aber, dass die Fähigkeit der Klangvorstellung besonders im interkulturellen Kontext zu Vorteilen führt. Sie sollte also gerade im Hinblick auf eine kulturelle Teilhabe an den weltweiten Musikkulturen musikpädagogisch gezielt gefördert werden.

Unsere Ergebnisse bestätigen somit die Expertenmeinung (Glaser, 2001; Mainwaring, 1951; McPherson & Gabrielsson, 2002) und das Modell musikalischer Repräsentationen musikalischer Performanz (Woody & Lehmann, 2010), wonach die Klangvorstellung und die motorische Umsetzung generell beim Spiel nach Gehör von Bedeutung sind. In diesem Zusammenhang ist es sehr plausibel, dass gerade im westlichen Kontext die Übungsstunden neben der Klangvorstellung, im Jazzkontext dagegen die Jazzerfahrung in Jahren neben der Klangvorstellung als die beiden wesentlichen Prädiktoren Leistungen im Spiel nach Gehör erklären. Somit wird die für das Spiel nach Gehör erforderliche motorische Umsetzung von Klassikern und Jazzern langfristig auf kulturspezifische Weise erworben. Bei den überwiegend vertrauten Stilen „westlich“ und „jazzig“ ist der Einfluss der motorischen Umsetzung jeweils etwas größer als jener der Klangvorstellung. Im unvertrauten indischen Kontext sticht dagegen die Klangvorstellung als größter Prädiktor hervor, während Übungsstunden und Jazzerfahrung keinen signifikanten Einfluss haben. Man könnte also sagen, dass die Klangvorstellung grundsätzlich das Spiel nach Gehör leitet und erst sukzessive mit stilspezifischen sensomotorischen Abläufen verbunden werden muss (Mercado, Mantell & Pfordresher, 2014), die in vertrauten Kontexten dann eine integrierte Funktionsweise beim Spiel nach Gehör ermöglichen.

Methodisch gesehen wäre es wünschenswert, ein vergleichbares Quasi-Experiment mit einer viel größeren Stichprobe von Musikstudierenden mit Vorerfahrungen in ganz unterschiedlichen Musikkulturen durchzuführen, wobei die einzelnen Subgruppen bezüglich Alter, Geschlecht und Instrumentalerfahrung noch besser aufeinander abgestimmt werden sollten, als das hier möglich war. Die Datenerhebung war mit mehreren Reisen verbunden, da Jazzviolinistinnen und -violinisten relativ selten sind. In dieser Hinsicht ist eine matched pairs-Untersuchung mit unterschiedlichen Instrumentalisten sicherlich forschungsökonomischer. Andererseits konnte hiermit eine Instrumentalistengruppe näher untersucht werden. Aufgrund der kleinen Stichprobe müssen die Ergebnisse mit Vorsicht betrachtet werden und gelten, wenn überhaupt, nur bezogen auf Violinstudierende.

Der detaillierte Fragebogen zur musikalischen Ausbildung und Erfahrenheit (MAE, siehe Ergänzende Materialien) bietet im Hinblick auf das persönliche Fertigkeitsprofil aktiver Musikerinnen und Musiker einen fundierten Einblick. Der Fragebogen muss noch mit einer größeren Stichprobe validiert und weiter optimiert werden.

Die Repräsentativität der Musikbeispiele für die drei genannten Musikstile (westlich, jazzig, indisch) wurde dadurch sichergestellt, dass Violinistinnen und Violinisten mit langjähriger Erfahrung in jeweils einer der drei Kulturen gebeten wurden, mehrere Melodien einzuspielen, was allerdings für den westlichen Stil durch die Rekrutierung einer Studentin nur eingeschränkt zutraf. Die beiden Taktwechsel bei „westlich 1“ waren für manche Teilnehmende etwas irritierend. Auch „westlich 2“ kann als weniger typisch eingestuft werden, da es chromatische Verläufe und rhythmische Verschiebungen enthält. Im Nachhinein wäre es sinnvoll gewesen, die Typikalität und Angemessenheit der ausgewählten Melodiemuster von Expertinnen und Experten aus allen drei Musikstilen beurteilen zu lassen. Dann hätte die Anzahl der Stimuli gleich auf zwei Melodiemuster pro Musikstil reduziert werden können, was die Durchführung verkürzt hätte. Andererseits liegen nun 1.900 Nachspielleistungen vor, die noch weiter ausgewertet werden können. Hierzu bietet sich für zukünftige Untersuchungen möglicherweise ein computergestütztes Auswertungsverfahren an (Müllensiefen & Frieler, 2004).

Der Schwierigkeitsgrad der Melodiebeispiele wurde hier nicht systematisch kontrolliert, da es weniger um den absoluten Vergleich der Mittelwerte der Leistungen im Spiel nach Gehör in drei distinkten Musikstilen ging, sondern vielmehr der Einfluss musikalischer Vorerfahrung (Jazzerfahrung, Klangvorstellung, akkumulierte Übungsstunden) auf Leistungen im Spiel nach Gehör in unterschiedlich vertrauten Musikstilen (am Beispiel von westlich, jazzig, indisch) untersucht wurde. Allerdings war es ungünstig, dass die Melodie „indisch 2“ viel schwieriger als die restlichen Beispiele war und situativ als am schwersten spielbar eingeschätzt wurde. Dadurch kann eine Konfundierung nicht ausgeschlossen werden. In zukünftigen Untersuchungen sollte der Schwierigkeitsgrad gleichmäßig über unterschiedliche Musikstile verteilt sein.

Bezüglich des methodischen Vorgehens hat es sich bewährt, dass jedes Musikbeispiel wiederholt gehört werden konnte und Teilnehmende nach dem Hören Zeit hatten, sich die Melodie innerlich vorzustellen (vgl. Luce, 1958; McPherson, 1993). Zukünftige Forschungen sollten insbesondere darauf achten, dass die Metrik der Originalmelodien klar ist, was hier nur eingeschränkt zutraf. Auf jeden Fall sollte auch das Tempo jeder Originalmelodie vorab standardisiert eingezählt werden. Zudem müsste untersucht werden, ob eine durchlaufende Tempovorgabe mittels Metronom für Versuchsbedingungen zum Spiel nach Gehör der hier gewählten, freien Tempogestaltung vorzuziehen ist.

Darüber hinaus wäre es interessant gewesen, ein oder zwei akustische Modelle in transponierter Lage spielen zu lassen, wie dies bei McPherson (1993, 1995, 1997) verlangt wurde. Dadurch hätte das relationale Verständnis der Tonbeziehungen untereinander erhoben werden können, was mit der Klangvorstellung in Verbindung steht (Glaser, 2001; Gordon, 2012). Gerade im Kulturvergleich könnte dies Aufschluss darüber geben, inwiefern kulturfremde akustische Modelle syntaktisch verstanden werden. Hierzu bedarf es noch weiterer Forschung.

Zusätzlich wäre es schön gewesen, die Teilnehmenden nach der experimentellen Testung nach ihren mentalen Strategien zu befragen, wie dies bereits bei McPherson (1993, 1997, 2005) und bei Woody und Lehmann (2010) geschehen ist. Auch im Hinblick auf zukünftige Untersuchungen wäre eine Videographie sinnvoll, um unterschiedliche Lernstile oder Strategien (McPherson et al., 2012; Varvarigou & Green, 2015) im Umgang mit den akustischen Modellen zu zeigen. Im Rahmen der vorliegenden Daten liegen lediglich die Audioaufnahmen der spontanen Äußerungen vor, welche noch ausgewertet werden müssen.

Auch wenn sich einseitige Entwicklungen in der westlichen Musiktradition abzeichnen, so kennzeichnet gerade Musikstudierende eine langfristige Motivation, welche auf eine umfassende Ausbildung mit einer stärkeren Integration von Theorie und Praxis verweist als dies der Forschungsstand zum Instrumentallernen im Allgemeinen verdeutlicht. Wie die Ergebnisse zeigen, wurden bei den teilnehmenden Streicherinnen und Streichern Fertigkeiten im Spiel nach Gehör nicht nur im Jazzkontext entwickelt, sondern auch in klassischen Settings. Weniger die musikstilistische Vorerfahrung (Jazzer vs. Klassiker) als die davon unabhängigen Faktoren Klangvorstellung und Übungsstunden erwiesen sich musikstilübergreifend als die besten Prädiktoren für Leistungen im Spiel nach Gehör. Speziell die Klangvorstellung misst bei uns eine Integration von impliziter melodischer Merkfähigkeit und explizitem analytischem Hören. Letztlich kann somit auch mit unseren Ergebnissen eine umfassende, integrierte Musikausbildung nur bestärkt werden, unabhängig davon, in welchem Musikstil man sich lieber bewegt. Zukünftige Untersuchungen können darüber hinaus untersuchen, inwiefern sich eine Integration von Musikpraxis und theoretischem Verständnis auch auf andere musikalische Fertigkeiten wie beispielsweise das Improvisieren förderlich auswirkt.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Ergebnisse der multiplen linearen Regressionen zu Einflüssen der Faktoren (a) Jazzerfahrung in Jahren, (b) Klangvorstellung und (c) akkumulierte Übungsstunden auf per Expertenrating gemessene Leistungen im Spiel nach Gehör in drei Musikstilen (westlich, jazzig, indisch) bei westlichen Streicherinnen und Streichern bestätigen, dass Fähigkeiten in der musikalischen Grundfertigkeit Spiel nach Gehör wesentlich von der Fähigkeit zur Klangvorstellung und der motorischen Umsetzung gespeist werden. Die motorische Umsetzung bzw. Ohr-Hand-Koordination wird unseren Ergebnissen nach im westlichen Kontext durch die akkumulierten Übungsstunden trainiert, im Jazzkontext dagegen durch Jahre aktiven Jazzmusikerseins. Im wenig vertrauten indischen Musikstil ist besonders die Klangvorstellung der beste Prädiktor für das Spiel nach Gehör. Damit können bisherige Erkenntnisse, wonach Spiel nach Gehör bei Musikerinnen und Musikern aus dem Folk/Jazz/Rock/Pop-Bereich besonders gut ausgeprägt ist, differenzierter betrachtet werden. Noch wichtiger als Jazzerfahrung sind die Fertigkeiten der Klangvorstellung und der motorischen Umsetzung, wobei insbesondere letztere langfristig in Abhängigkeit von Musikstil und dessen Vertrautheit erworben wird. Speziell die Klangvorstellung wirkt sich im Umgang mit kulturfremden Stimuli förderlich aus und sollte, u.a. mit adaptiven Testverfahren, weiter untersucht und pädagogisch gefördert werden. Zukünftige Forschungen sollten diese und weitere Einflussfaktoren auf das Spiel nach Gehör (Hakim & Bullerjahn, in Vorb.) mit einer größeren Stichprobe und anhand unterschiedlicher Instrumentalistengruppen überprüfen.

Anmerkungen

i) Die Begriffe 'klassisch', 'Klassik' oder auch 'Klassiker' beziehen sich in diesem Aufsatz auf die europäische Kunstmusik mit ihrer weitgehend formalisierten Musikausbildung, sie stehen nicht für die musikgeschichtliche Epoche der Wiener Klassik im engeren Sinne. Nachdem dies hiermit erklärt wurde, setzen wir diese Begriffe im Folgenden nicht mehr in einfache Anführungszeichen. Zudem möchten wir betonen, dass das generische Maskulinum bei Begriffen wie 'Klassiker' oder 'Jazzer' in diesem Text allein der besseren Lesbarkeit halber verwandt wird, wir damit aber immer Musikerinnen und Musiker beiderlei Geschlechts meinen.

Finanzierung

Die Finanzierung des Forschungsvorhabens einschließlich entstehender Reisekosten der Erstautorin und der Aufwandsentschädigung für die Teilnehmenden wurde durch die freundliche Unterstützung des International Graduate Centre for the Study of Culture (GSCS) in Kooperation mit dem Institut für Musikwissenschaft und Musikpädagogik der Justus-Liebig-Universität Gießen ermöglicht, wofür wir recht herzlich danken.

Interessenkonflikte

CB ist Mitherausgeberin des Jahrbuchs Musikpsychologie, war aber bei der Begutachtung dieses Beitrags nicht beteiligt.

Danksagung

Wir danken den beiden Gutachtern für ihre Ratschläge und Empfehlungen zu früheren Versionen des Manuskripts. Unser Dank geht besonders an Andreas C. Lehmann für hilfreiche Hinweise bei der Planung, Durchführung und Berichterstattung der Untersuchung. Herzlichen Dank an Brigitte Schön und Wim van der Meer für die Durchführung des Expertenratings, an Reinhard Schmitz für die Beratung bei der Analyse der Musikstimuli, an Maria Lehmann für das Lektorat des Abstracts und an Lambert Glatzel für unermüdliche, sprachliche Korrekturen. Zudem danken wir Johannes Herrmann und Richard von Georgi für die Beantwortung statistischer Fragen. Ganz besonders bedanken wir uns bei Indradeep Ghosh, Valentin Gregor, Michael Gustorff, Kala Ramnath und Klara Ottersbach für die Einspielung der Musikstimuli. Unser herzlichster Dank geht an all die Studierenden, die an dieser Untersuchung teilgenommen haben, sowie an die beteiligten Hochschulen und Verantwortlichen für die Genehmigung der Durchführung.

Ethikerklärung

Hiermit bestätigen wir, dass die vorliegende Untersuchung in Übereinstimmung mit relevanten ethischen Prinzipien und Standards durchgeführt wurde.

Ergänzende Materialien

Zu diesem Artikel sind die folgenden ergänzenden Materialien im PsychArchives Repositorium verfügbar (Hakim & Bullerjahn, 2019; https://doi.org/10.23668/psycharchives.2510):

  • Artikel Appendix

  • Forschungsdaten mit Kodebuch

  • Fragebogen

  • Audioaufnahmen

Quellenverzeichnis der ergänzenden Materialien

  • Hakim, A.-M., & Bullerjahn, C. (2019). Materialien zu "Spiel nach Gehör auf der Violine – Wie beeinflusst musikalische Vorerfahrung die Imitation kulturell vertrauter und fremder Melodiemuster?".PsychOpen. Abrufbar im PsychArchives Repositorium: https://doi.org/ 10.23668/psycharchives.2510

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