„Bei einer religiösen Trauerfeier können Sie auch aktuelle Titel spielen lassen und müssen nicht ausschließlich Kirchenlieder wählen.“ – So informiert die Beratungsseite Bestattungen.de (o.D.) Hinterbliebene über Möglichkeiten zur musikalischen Gestaltung von Trauerfeiern. Dieser Satz macht deutlich, dass eine christliche Bestattung oft nicht nur mit Kirchenmusik gestaltet, sondern auch ‚weltliche‘, zumeist populäre Musik eingebunden wird. Dies deckt sich mit Erfahrungen der Erstautorin aus der eigenen professionellen Arbeit als Kirchenmusikerin: Zum einen die Feststellung, dass bei Bestattungen häufig weltliche Titel aus den Charts oder Schlager erklingen, wie dies z.B. die „Top 10 der Trauerhits“ (Bestattungen.de, 2018) nahelegen. Zum anderen vermittelt sich im kollegialen Austausch unter Kirchenmusikern und Pfarrern häufig der Eindruck, dass der Einsatz weltlicher Musik innerhalb einer gottesdienstlichen Feier als unangemessen empfunden wird, insbesondere dann, wenn diese von einem Tonträger abgespielt wird.
Die Einbettung weltlicher Musik im kirchlichen Kontext einer Bestattung birgt also erhebliches Konfliktpotenzial, denn es geht hierbei nicht nur um persönliche Anliegen von Hinterbliebenen und deren Trauerbegleitung, sondern auch um die angemessene Kontextualisierung weltlicher Musiktitel neben Evangeliumsverkündung, Psalmen und Gebeten. Daneben fallen noch die musikalische Ausführbarkeit und Qualität sowie Stimmigkeit im Gesamtkonzept ins Gewicht. Außerdem spielen eine zunehmende Kirchenferne vieler Hinterbliebener, Unkenntnisse der Abläufe und sich verwischende Zuständigkeitsbereiche von Bestattern, Pfarrern und Kirchenmusikern eine Rolle.
Die Konfliktsituation ist nicht neu und wird seit etwa zwanzig Jahren im Schnittbereich von Theologie, Kirchenmusik und Bestattungswesen diskutiert.
Angestoßen u.a. durch die Beiträge von Klaus J. Seidel und Eberhard Hauschildt in der Zeitschrift Musik und Kirche vor gut zwanzig Jahren, ist das “Reizthema” (Seidel, 1999, S. 297) um den “Streit am Sarg um die Musik” (Hauschildt, 1999, S. 305) in der Folgezeit aus verschiedener Perspektive auch empirisch in der Forschung aufgegriffen worden. Studien haben zum einen die Wirkung und Bedeutung von Musik in der Trauer untersucht (Gembris, 2007: prospektiv für die eigene Bestattung; Reinke, 2010: qualitative Gruppeninterviews; Lange, 2012, sowie Lange & Louven, 2014: qualitative Befragung von Bestattern; Blume, 2014: quantitative-qualitative Befragung von Pfarrern und Hinterbliebenen), sind zum anderen aber auch allgemein der Frage nach Musik bei Bestattungen nachgegangen (u.a. Feldberg, 2007, 2013, 2015; Mailänder, 2007; Marti, 2015; Waubke, 1999).
Angesichts der durchaus allgemeinen Relevanz des Themas und der kontroversen Natur der Debatte ist es letztlich erstaunlich, wie wenig empirisches Datenmaterial als Diskussionsgrundlage zur Verfügung stand bzw. herangezogen wurde. Letztlich muss Trauermusik in der musikpsychologischen Forschung wohl immer noch als ein eher tabuisiertes Thema (Gembris, 2007) angesehen werden.
Gegenstand und Ziel der Umfrage
Um die Debatte erstmals auf eine umfassende Datenbasis stellen zu können, wurde im Sommer 2018 mit Unterstützung der Evangelischen Landeskirchen und Katholischen Bistümer eine bundesweite und überkonfessionelle Datenerhebung durchgeführt. Im Fokus der Erhebung standen die Fragen, welche Musik mit welcher Häufigkeit bei christlichen Bestattungsfeiern erklingt, welchen Stellenwert hierbei die weltliche Musik hat und wie diese Praxis von den beteiligten Pfarrern und Kirchenmusikern eingeschätzt und erlebt wird. Die Erhebung beschränkte sich dabei allein auf Bestattungen im kirchlichen Kontext und klammerte nicht-religiöse Bestattungsfeiern aus. Neben den hauptamtlichen Pfarrern wurden auch ehrenamtliche Begräbnisleiter befragt, die in wachsender Zahl Bestattungen vornehmen. Anders als in Vorgängerstudien wurden zudem die Erfahrungen und Meinungen der Kirchenmusiker erhoben.
Zentraler Aspekt der Umfrage war die ‚weltliche Musik‘ im Rahmen christlicher Bestattungsgottesdienste. Da der Begriff zwar geläufig, aber gleichwohl nicht klar definiert ist, wurde folgende Arbeitsdefinition gewählt: ‚Weltliche Musik‘ bezeichnet im Rahmen dieser Untersuchung jene Musik, die nicht dem subjektiven Verständnis von kirchenmusikalischer Ästhetik entspricht, ihren Ursprung im außerkirchlichen Kontext hat und nicht an liturgischen Anforderungen ausgerichtet ist.
‚Weltliche Musik‘ lässt sich also generell nur in Abgrenzung zum Verständnis von ‚sakraler Musik‘ greifbar machen. Was jedoch als Kirchenmusik eingeordnet werden kann, unterliegt nicht einer eindeutigen Richtlinie, sondern folgt vielmehr unscharfen und teils unterschiedlichen Ansätzen. So kann Kirchenmusik nach funktionaler Ebene (Musik in, für oder der Kirche), qualitativer Ebene (eigene Kirchenästhetik) oder nach deren Zugangsart (gottesdiensttauglich oder kunstorientiert) definiert werden (MGG, 2016; Schuberth, 1989).
Methode
Beschreibung der Zielgruppe
Zielgruppe der Erhebung waren Kirchenmusiker, Pfarrer sowie ehrenamtliche Begräbnisleiter der beiden großen christlichen Konfessionen. Es sollte somit jener Personenkreis abgedeckt werden, der bei der Planung sowie Durchführung einer christlichen Bestattungsfeier maßgeblich beteiligt ist. Pfarrer und ehrenamtliche Begräbnisleiter sind üblicherweise diejenigen, die Trauergespräche mit den Hinterbliebenen führen, dabei auf spezielle Musikwünsche reagieren müssen und letztlich den Ablauf mitsamt der Musik festlegen. Die Kirchenmusiker selbst haben hingegen in der Regel wenig Einfluss auf das, was mit den Hinterbliebenen zum musikalischen Ablauf besprochen wurde, sind aber als Ausführende der Musik direkt von der Auswahl der Musikwerke betroffen. Die Erhebung richtete sich an haupt- und nebenamtliche Kirchenmusiker sowie jene, die sich aktuell in einer kirchenmusikalischen Ausbildung befinden oder über kirchenmusikalische Kenntnisse verfügen.
Anders als in der Studie von Lange (2012; Lange & Louven 2014) wurden Bestatter von der Befragung ausgeklammert. Zwar können sie als zentrale Organisatoren von Bestattungen gelten und beraten in einem ersten Trauergespräch die Hinterbliebenen oft auch schon zur musikalischen Gestaltung. Die Entscheidung darüber obliegt letztendlich in der Regel jedoch dem Pfarrer.
Die Erhebung wurde konfessionsübergreifend durchgeführt, um eventuelle Unterschiede bzw. Gemeinsamkeiten zwischen katholischer und evangelischer Seite herausarbeiten zu können. Zudem sind Kirchenmusiker häufig überkonfessionell tätig. Unter ‚evangelischer Kirche‘ werden in der vorliegenden Arbeit lediglich die der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) angegliederten Landeskirchen verstanden; unter ‚katholischer Kirche‘ die römisch-katholischen (Erz-)Bistümer in Deutschland.
Instrumentenbeschreibung
Die Befragung erfolgte in Form eines quantitativen Online-Fragebogens, der mit dem Online-Tool SoSci Survey (www.soscisurvey.de) erstellt wurde. Der Fragebogen gliedert sich in drei Fragekomplexe: 1. Angaben zur Person und zur Kirchengemeinde; 2. Angaben zur Erfahrung mit weltlicher Musik auf Bestattungsgottesdiensten; 3. Angaben zur persönlichen Meinung dazu. Auf eine explizite a-priori-Definition des Begriffs ‚weltliche Musik‘ wurde gezielt verzichtet, um die impliziten Konnotationen der Versuchspersonen nicht zu überformen. Allerdings kann man annehmen, dass in der Zielgruppe der Pfarrer und Kirchenmusiker berufsbedingt eine Auseinandersetzung mit der Begrifflichkeit stattfindet und folglich die individuellen Verschiebungen marginal sind. In einem Pretest mit zwei Pfarrern und zwei Kirchenmusikern wurde der Fragebogen im Juni 2018 auf Verständlichkeit sowie Funktionalität geprüft.
Im ersten Fragekomplex zur Person und der Kirchengemeinde wurden unter Wahrung der Anonymität demographische Angaben erbeten. Dazu zählten Fragen zur Berufsgruppe, Alter, Geschlecht, zugehöriger Landeskirche bzw. Bistum, Größenstruktur der politischen Gemeinde (städtisch – ländlich) aber auch zur Anzahl der selbst durchgeführten Bestattungen pro Jahr sowie den persönlichen Musikpräferenzen.
Im zweiten Fragekomplex zu den Erfahrungen mit weltlicher Musik auf Bestattungsgottesdiensten wurden Einschätzungen erbeten zum im jeweiligen Wirkungskreis üblichen prozentualen Anteil von weltlicher Musik bei den Bestattungen, zur Häufigkeit der Verwendung von Tonträgern und zur Bedeutung weltlicher Musik für die Trauernden. Die beiden letztgenannten Fragen wurden als Rating auf fünfstufigen Likert-Skalen erhoben. Darüber hinaus wurden in einem Freitextfeld Angaben zu häufig gespielten weltlichen Musiktiteln erbeten. Nach der freien Angabe von Titeln sollten schließlich die „Top 10 der Trauerhits 2017“ (bestattungen.de, 2018) nach ihrer Verwendungshäufigkeit im jeweiligen Wirkungskreis eingeschätzt werden. Dieser Fragenkomplex sollte die Erkenntnisse zur Musikauswahl aus der Studie von Lange (2012) erweitern und auf eine breitere Basis stellen.
Der dritte Fragekomplex befasste sich mit der persönlichen Einstellung der Teilnehmer. Die Fragen schließen an die Studienergebnisse von Lange (2012) an, nach welchen die Musikwahl maßgeblich durch die Hinterbliebenen und Pfarrer bestimmt wird und ihr im Verlauf einer Trauerfeier eine wichtige Funktion und Wirkung zukommt. Es wurden Zustimmung bzw. Ablehnung zu sieben grundlegenden Aussagen gegenüber weltlicher Musik auf Bestattungsfeiern auf fünfstufigen Likert-Skalen erhoben (z.B.: „Weltliche Musik finde ich unangemessen“).
Ebenfalls auf fünfstufigen Likert-Skalen sollten die Teilnehmer schließlich die Bedeutung von neun Kriterien einschätzen, unter denen sie eine weltliche Musik im Bestattungsgottesdienst für angemessen bzw. unangemessen halten (z.B.: „Sie ist der Wunsch der Trauernden“). Abschließend konnten die Teilnehmer mit Anmerkungen in einem Freitextfeld persönliche Akzente setzen.
Ergänzend wurden einige nach Berufsgruppen differenzierte Fragen gestellt. Bei den Pfarrern bzw. ehrenamtlichen Begräbnisleitern beschränkte sich dies darauf, welche Musiker wie häufig die Bestattungen musikalisch begleiten. Die Kirchenmusiker hingegen wurden gebeten, die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente anzugeben und in einem Freitext-Feld Musikwerke anzuführen, die sie häufig auf Bestattungen spielen. Zusätzlich konnten die Kirchenmusiker auf einer fünfstufigen Likert-Skala angeben, wie häufig sie selbst weltliche Musik auf Bestattungen spielen und unter welchen Voraussetzungen dies geschieht.
Durchführung
Die Erhebung fand zwischen dem 29.06.2018 und dem 30.09.2018 statt. Um die Zielgruppe für die Umfrage möglichst umfassend und lückenlos zu erreichen, wurden die entsprechenden innerkirchlichen Verwaltungsstellen der evangelischen und katholischen Kirche als Multiplikatoren genutzt. Aus den insgesamt 20 evangelischen Landeskirchen wurden fast alle Kirchenkreise kontaktiert. Im Fall der katholischen Kirche geschah dies über die Seelsorgeämter aller 27 deutschen Bistümer. Die jeweils kontaktierten Multiplikatoren wurden gebeten, den Aufruf zur Teilnahme möglichst an sämtliche Pfarrer bzw. Kirchenmusiker in ihrem Verantwortungsbereich weiterzuleiten. Ergänzend wurden auch evangelische und katholische Ausbildungsstätten für Kirchenmusik sowie Kirchenmusikerverbände und Ämter für Kirchenmusik um ihre Mithilfe bei der Verteilung der Umfrage gebeten. Als weiterer Multiplikator diente die geschlossene Gruppe „Kirchenmusiker bei Facebook“ mit ihren insgesamt 761 Mitgliedern (Stand 22.10.2018), bestehend aus haupt- sowie nebenamtlichen Kirchenmusikern. Durch einen Post in der Gruppe wurde zur Teilnahme an der Umfrage aufgerufen. Insgesamt wurden 608 der oben beschriebenen Multiplikatoren persönlich per E-Mail angeschrieben. Von 79 kam eine Rückmeldung mit der Zusage, die Umfrage weitergeleitet zu haben. Es ist allerdings davon auszugehen, dass weitere Multiplikatoren die Umfrage gestreut haben, ohne eine diesbezügliche Rückmeldung gegeben zu haben.
Stichprobenbeschreibung
Nach Ausschluss unzureichender Datensätze (mit weniger als 90% beantworteter Fragen) und jenen Teilnehmerdaten, die nicht den oben beschriebenen Kriterien entsprachen, umfasst die Stichprobe N = 1.875 gültige Datensätze, davon 1.082 Pfarrer, 674 Kirchenmusiker bzw. Musiker mit kirchenmusikalischen Kenntnissen und 119 ehrenamtliche Begräbnisleiter. Die Teilnehmer benötigten im Schnitt gut 12 Minuten (737 s) zum Ausfüllen des Fragebogens.
Insgesamt handelt es sich mit Abstand um die bisher größte empirische Studie in diesem Forschungsfeld. Die regionale Verteilung der Teilnehmer war dabei sehr unterschiedlich. Während z.B. die Landeskirchen Westfalen, Nordkirche, Hannover, Rheinland und Hessen-Nassau sowie die Bistümer Mainz, Würzburg und Paderborn jeweils mit zweistelligen Prozentzahlen vertreten waren, gab es aus den Bistümern Augsburg, Görlitz und Passau leider keine Teilnehmer.
Die konfessionelle Verteilung der Stichprobe ist insgesamt unausgeglichen (Abbildung 1). Etwa zwei Drittel der Teilnehmer (62,6%, N = 1.173) sind in der evangelischen Kirche tätig, ein knappes Viertel (22,3%, N = 419) in der katholischen Kirche. Eine Sonderstellung nehmen mit 15,1% (N = 283) die Kirchenmusiker ein, die in beiden Konfessionen spielen.
Abbildung 1
Gemessen an der Gesamtstichprobe sind die evangelischen Pfarrer mit einem Anteil von knapp der Hälfte (49,2%, N = 922) die stärkste Teilnehmer-Gruppe.
Da bei den Kirchenmusikern nicht nur die Konfessionen, sondern auch der jeweilige Abschlussgrad unterschieden wird, lohnt sich ein Blick in die Verteilung der unterschiedlichen kirchenmusikalischen Abschlüsse. Es überwiegt die Teilnahme der hauptamtlichen Kirchenmusiker (A und B) mit 51,5% neben den nebenamtlichen Kirchenmusikern (C und D) mit 34,7% und Musikern mit kirchenmusikalischen Kenntnissen mit 13,7%.
Bezogen auf die Gesamtpopulation haben sich von den 20.673 in der evangelischen Kirche in Deutschland beschäftigten Pfarrern 4,5% an der Erhebung beteiligt (EKD, 2018). Auf katholischer Seite entspricht die Teilnahme 0,9% der insgesamt 16.868 Priester und ständigen Diakone in Deutschland (Deutsche Bischofskonferenz, 2018). Im Fall der Begräbnisleiter kann keine Aussage zum Verhältnis der Stichprobe zur Population gemacht werden, da lediglich aus vereinzelten Bistümern Angaben vorliegen, die sich jedoch nicht auf die Gesamtpopulation der Begräbnisleiter in ganz Deutschland übertragen lassen.
Deutschlandweit sind in beiden Konfessionen im Jahr der Befragung (2018) zusammen 3.344 hauptamtliche Kirchenmusiker beschäftigt (Musikinformationszentrum, o.D.). Davon haben 9,3% an der Umfrage teilgenommen. Die statistischen Angaben zur Population der nebenamtlichen Kirchenmusikern sind weder vollständig noch verlässlich. Es kann auf dieser Grundlage von einem Verhältnis zur Population von mindestens 0,7% ausgegangen werden.
Die Altersverteilung der Stichprobe lag bei 16 bis 89 Jahren mit einem Mittelwert von 50,66 (SD = 11,132). Die größte Beteiligung mit 42,6% liegt bei den 50–59-Jährigen.
61,2% der Teilnehmer waren männlich, 38,6% weiblich.
Ergebnisse
Häufigkeit der Verwendung weltlicher Musik
Im Mittel erklingt auf gut einem Drittel der christlichen Bestattungen weltliche Musik (M = 36,8%, SD = 25,4%, Abbildung 2). Dabei ist zu beobachten, dass die Verteilung breit ist. So gibt immerhin annähernd ein Viertel der Stichprobe (23,4%, N = 420) an, dass auf mehr als der Hälfte der christlichen Bestattungen weltliche Musik erklingt.
Abbildung 2
Innerhalb des einzelnen Gottesdienstes nimmt die weltliche Musik im Mittel etwa ein Drittel aller erklingenden Musik ein (M = 33,2%, SD = 21,1%). Bei der Annahme von insgesamt drei Musiktiteln entspräche dies einem weltlichen und zwei geistlichen Musiktiteln. Nach Einschätzung der Befragten hat die weltliche Musik für die Trauernden dabei aber eine große Bedeutung (M = 3,79, SD = 1,01, auf einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 = sehr geringe bis 5 = sehr große Bedeutung).
Auffallend sind bei diesen Angaben starke Schwankungen zwischen den Berufsgruppen. So machen etwa die Kirchenmusiker bedeutend niedrigere Angaben als die Pfarrer und Begräbnisleiter, wobei die katholischen Pfarrer und katholischen Kirchenmusiker besonders weit auseinander liegen: Katholische Pfarrer geben den Anteil der Bestattungen mit weltlicher Musik mit 39,3% an (SD = 25,6%), die katholischen Kirchenmusiker liegen mit 26% (SD = 23,1%) deutlich darunter.
Welche weltliche Musik erklingt?
Von 1.471 Befragten wurden ein oder mehrere konkrete Titel weltlicher Musik angegeben, die „nach Ihrer Einschätzung bei Bestattungsfeiern am meisten gespielt werden“. Insgesamt kam es dabei zu 3.562 Titelnennungen.
Klassifiziert man die angegebenen Titel nach Genre-Kategorien, so werden am häufigsten Titel aus dem Genre Rock/Pop genannt (von 76,9% der Befragten), gefolgt von Schlager/Volksmusik (von 64% der Befragten). Alle übrigen Genres werden wesentlich weniger angegeben (Abbildung 3).
Abbildung 3
Insgesamt zeigt sich die Musikwahl sehr breit und individuell, konkrete Titelhäufungen sind kaum zu verzeichnen. Dennoch stechen zwei Titel besonders hervor: Time to say goodbye (589 Nennungen, 40,0% der Befragten) und Amoi seg ma uns wieder (443 Nennungen, 30,1% der Befragten). Zu unterstreichen gilt allerdings, dass knapp ein Fünftel der Teilnehmer (260, 17,7%), aussagte, die Musiktitel seien zu verschieden, um wirkliche Titelhäufungen angeben zu können. Insgesamt 87 Teilnehmer (5,9%) unterstrichen, dass es sich bei ihren Angaben lediglich um einige Dopplungen handele, jedoch keinesfalls um sich stets wiederholende Titel. Viele der Nennungen beziehen sich folglich auf Titel, die zwar mehr als einmal, allerdings deswegen nicht zwangsläufig auch häufig erklungen sind.
Häufige Titelnennungen können zur Erstellung einer Rangliste der meistgespielten Titel verleiten. So veröffentlicht z.B. das Informationsportal bestattungen.de jährlich auf seiner Internetseite eine „Top 10 der Trauerhits“ der angeblich am häufigsten gespielten Musiktitel. In der vorliegenden Erhebung wurden zusätzlich zu den freien Titelangaben auch die „Top 10 der Trauerhits“ von 2017 evaluiert. Die Teilnehmer konnten auf einer fünfstufigen Likert-Skala von 1 (niemals/sehr selten) bis 5 (immer/sehr oft) angeben, wie oft der jeweilige Titel nach ihrer Erfahrung in Bestattungsgottesdiensten gespielt wurde (Abbildung 4).
Abbildung 4
Kein einziger Titel zeigt Mittelwerte in den oberen Ratingstufen 4 und 5. Die höchste Wertung (für die Air aus Bachs 3. Orchestersuite BWV 1068) beträgt im Mittel gerade einmal 3,01 (SD = 1,244) und entspricht damit etwa einem „gelegentlich“. Sechs der zehn Titel weisen mittlere Ratings im 1er- oder 2er-Bereich auf und erklingen entsprechend selten bis niemals.
Wie erklingt die Musik?
Die befragten Pfarrer wurden gebeten einzuschätzen, wie häufig verschiedene Gruppen von Musikern in den von ihnen durchgeführten Trauergottesdiensten zum Einsatz kommen (Abbildung 5).
Abbildung 5
Es zeigt sich, dass die nebenamtlichen Kirchenmusiker signifikant häufiger zum Einsatz kommen als die hauptamtlichen Kirchenmusiker (t(1161) = 20,32, p < ,01; d = 0,596) bzw. andere Musiker mit kirchenmusikalischen Kenntnissen (t(1108) = 17,74, p < ,01; d = 0,533). Musiker aus der Trauergemeinde oder sonstige Laien ohne kirchenmusikalische Kenntnisse spielen demgegenüber eine nur untergeordnete Rolle.
Die Befragten konnten auf fünfstufigen Likert-Skalen (1 = keine Zustimmung bis 5 = volle Zustimmung) Aussagen zum konkreten Umgang mit weltlicher Musik bei Bestattungen beurteilen. Trotz der in der Regel anwesenden Musiker wird die Musik häufig per Tonträger abgespielt (M = 3,83, SD = 1,282). Obwohl insbesondere die Kirchenmusiker diese Praxis deutlich ablehnen (M = 2,09, SD = 1,072), spielen sie weltliche Musik aber nur selten bis gelegentlich selbst (M = 2,61, SD = 1,165). In diesem Verhalten zeigt sich eine starke innere Distanz der Kirchenmusiker zur weltlichen Musik, die sich auch in den expliziten Antworten zur persönlichen Einstellung wiederfindet (s.u.). Pfarrer (M = 2,39, SD = 1,259) und Begräbnisleiter (M = 2,77, SD = 1,296) bewerten den Einsatz von Tonträgern zwar auch nicht positiv, lehnen ihn aber weniger deutlich ab. Der Unterschied zwischen den drei Berufsgruppen ist in dieser Frage mit kleinem Effekt deutlich signifikant, F(2, 1868) = 21,58, p < ,001, η2 = ,023. Die Freitextangaben lassen darauf schließen, dass in der Regel rein pragmatische Gründe überwiegen, falls ein Tonträger dennoch zum Einsatz kommt (z.B. spezifischer Wunsch der Trauernden; Titel soll im Original erklingen; Kirchenmusiker kann oder will den Titel nicht spielen; das Abspielen eines Tonträgers ist kostengünstiger). Die drei wesentlichen Aspekte für die Kirchenmusiker, trotzdem weltliche Musiktitel selbst zu spielen, sind eine positive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten (M = 4,26, SD = 1,079), die Darstellbarkeit auf dem jeweiligen Instrument (M = 4,21, SD = 1,091) sowie eine hinreichende Zeit zur Vorbereitung (M = 3,71, SD = 1,262). Insgesamt nimmt die Bereitschaft hierzu mit zunehmendem Alter leicht ab, r(584) = -,11, p = ,008. Keine signifikanten Unterschiede zeigen sich hingegen zwischen den verschiedenen Ausbildungsstufen (hauptamtliche Musiker mit A-/B-Examen, nebenamtliche Musiker mit C-/D-Examen und Musiker mit sonstigen kirchenmusikalischen Kenntnissen), F(2, 583) = ,011, p = ,989.
Persönliche Einstellung und Angemessenheitskriterien
Die Teilnehmer wurden gebeten, Aussagen hinsichtlich ihrer persönlichen Einstellung zur weltlichen Musik im Bestattungsgottesdienst zu bewerten. Abbildung 6 zeigt die mittleren Zustimmungswerte aller Teilnehmer auf fünfstufigen Likert-Skalen (1 = stimme gar nicht zu bis 5 = stimme voll zu). Insgesamt ist eine leichte Zustimmung zu den positiven Aussagen und eine Ablehnung kritischer Aussagen zur weltlichen Musik erkennbar.
Abbildung 6
Tabelle 1 differenziert die Zustimmung nach den befragten Berufsgruppen. Es zeigt sich, dass die Kirchenmusiker die weltliche Musik in sämtlichen Kategorien signifikant kritischer beurteilen als die Pfarrer und Begräbnisleiter, während die Begräbnisleiter die am wenigsten kritische Haltung einnehmen. Insgesamt wird weltliche Musik von den Pfarrern und Kirchenmusikern im Bestattungsgottesdienst zwar eher toleriert und auch kaum als unangemessen oder störend empfunden, explizit abgelehnt oder gar als Sünde angesehen. Aber sie wird andererseits auch nicht sonderlich gemocht oder als Bereicherung des Trauergottesdienstes erlebt. Die Gesamteinstellung könnte man daher als ‚tolerant, aber gleichgültig‘ charakterisieren.
Tabelle 1
Aussage | Berufsgruppe
|
|||||
---|---|---|---|---|---|---|
Kirchenmusiker
|
Pfarrer
|
Begräbnisleiter
|
||||
M | SD | M | SD | M | SD | |
... nehme ich tolerant auf. | 3,60a | 1,19 | 3,96 | 1,08 | 4,13 | 1,02 |
... ist bereichernd. | 3,01a | 1,29 | 3,39b | 1,20 | 4,03 | 1,03 |
... gefällt mir. | 3,09e | 1,25 | 3,31c | 1,16 | 3,70 | 1,09 |
... stört. | 2,24a | 1,29 | 1,77b | 1,07 | 1,34 | ,68 |
... ist unangemessen. | 2,19a | 1,28 | 1,72d | 1,03 | 1,36 | ,74 |
... lehne ich ab. | 2,23a | 1,26 | 1,58 | ,96 | 1,45 | ,87 |
... ist eine Sünde. | 1,17a | ,60 | 1,03 | ,24 | 1,01 | ,09 |
Anmerkung. Signifikante Mittelwertsunterschiede (ANOVA) sind fettgedruckt dargestellt, aus Gründen der Übersichtlichkeit nur bei jeweils einem Mittelwert.
aUnterschied zu Pfarrern und Begräbnisleitern signifikant mit p < ,001. bUnterschied zu Begräbnisleitern signifikant mit p < ,001. cUnterschied zu Begräbnisleitern signifikant mit p = ,003. dUnterschied zu Begräbnisleitern signifikant mit p = ,004. eUnterschied zu Pfarrern signifikant mit p = ,001, zu Begräbnisleitern signifikant mit p < ,001.
Die Kriterien dafür, weltliche Musik als angemessen bzw. unangemessen für einen Trauergottesdienst zu beurteilen, konnten von den Teilnehmern im Hinblick auf kontextuell-inhaltliche Aspekte (Bezug zum Verstorbenen, Wunsch der Trauernden, Stimmigkeit, Text in christlichem Sinne deutbar) und musikalische Aspekte (Musikstil, Aufführungsart) bewertet werden. Abbildung 7 zeigt die mittleren Zustimmungswerte aller Teilnehmer auf fünfstufigen Likert-Skalen (1 = trifft gar nicht zu bis 5 = trifft voll zu).
Abbildung 7
Auffallend ist, dass besonders die kontextuell-inhaltlichen Kriterien für die Angemessenheit einer Musik bedeutsam sind. Besonders wichtig sind hierbei der Bezug zum Verstorbenen (M = 4,22, SD = 0,99) und der Wunsch der Trauernden (M = 4,05, SD = 1,003). Eine Hauptkomponentenanalyse der Angemessenheitskriterien (Stichprobeneignung nach Kaiser-Meyer-Olkin = ,713) ergibt 3 Hauptkomponenten mit Eigenwerten > 1 und einer erklärten Gesamtvarianz von 66%. Tabelle 2 zeigt die Varimax-rotierte Faktormatrix (Faktorladungen < ,35 nicht ausgegeben).
Tabelle 2
Rotierte Komponentenmatrixa |
|||
---|---|---|---|
Angemessenheitskriterium | Komponente
|
||
1 | 2 | 3 | |
...stammt aus vokaler Kunstmusik | ,895 | ||
...stammt aus Instrumentaler Kunstmusik | ,869 | ||
...stammt aus Popularmusik | ,750 | ||
...wird live gespielt bzw. gesungen | ,517 | ,405 | |
...ist Wunsch der Trauernden | ,835 | ||
...hat Bezug zum Verstorbenen | ,798 | ||
...wird vom Tonträger abgespielt | ,362 | ,556 | |
...passt stimmig ins Gesamtkonzept | ,811 | ||
...Text lässt sich im christlichen Sinne deuten | ,761 |
Anmerkung. Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser-Normalisierung, Darstellung von Ladungen ab ,3.
aDie Rotation ist in 5 Iterationen konvergiert.
Faktor 1 umfasst die Angemessenheitskriterien zu Musikstil und Aufführungsart (‚Stilfaktor‘), Faktor 2 insbesondere die Ausrichtung an den individuellen Wünschen der Betroffenen (‚Individualorientierung‘) und Faktor 3 vor allem die Vereinbarkeit mit dem Kontext der Gottesdienstgestaltung und der christlichen Botschaft (‚Kontextfaktor‘).
Abbildung 8 zeigt, dass sich die mittleren Faktorwerte zwischen den Berufsgruppen deutlich unterscheiden. Einfaktorielle Varianzanalysen weisen diese Unterschiede bei allen drei Angemessenheitsfaktoren jeweils als signifikant aus, Faktor 1: F(2, 1861) = 61,71, p < ,001, η2 = ,062; Faktor 2: F(2, 1861) = 46,61, p < ,001, η2 = ,048; Faktor 3: F(2, 1861) = 18,43, p < ,001, η2 = ,019.
Abbildung 8
Während der Stilfaktor für die Kirchenmusiker von überragender Bedeutung ist, ist er für die befragten Pfarrer und Begräbnisleiter eher unbedeutend. Für diese Gruppen ist hingegen die Individualorientierung bei der Musikauswahl deutlich wichtiger, wobei hier die Werte bei den Begräbnisleitern die Werte der Pfarrer sogar noch übertreffen. Interessanterweise spielt der Kontextfaktor, also die Vereinbarkeit mit der christlichen Botschaft und liturgischen Gestaltung, für die befragten Pfarrer die geringste Rolle, da für diese Gruppe offensichtlich die Individualorientierung alle anderen Kriterien überwiegt.
Konfessionelle Unterschiede lassen sich bei den Angemessenheitsfaktoren nur wenige ausmachen. Während sich katholische und evangelische Kirchenmusiker sowie Begräbnisleiter nicht signifikant unterscheiden, ist bei Katholischen Pfarrern der Stilfaktor bedeutsamer: Mkath = ,013 gegenüber Mev = -,21; t(1071) = -2,56, p = ,011, d = 1,02. Bei evangelischen Pfarrern ist hingegen die Individualorientierung stärker ausgeprägt: Mev = ,178 gegenüber Mkath = -,09; t(1071) = 3,56, p < ,001, d = 0,88.
Diskussion
Die weltlichen Musiktitel: Individualität versus Hitlisten
Mit insgesamt 3.562 Titelnennungen konnte ein Überblick der häufig gespielten weltlichen Musikstücke auf christlichen Bestattungen erhoben werden. 76,9% der Befragten berichten von Titeln aus dem Rock/Pop-Bereich, gefolgt von Schlager/Volksmusik (64%) und Filmmusik/Musical/Chanson (46,2%). Grob entspricht dies dem Muster, das Blume in ihrer 2009 durchgeführten Erhebung (Blume, 2014) bereits festgestellt hatte.
Anhand der Nennungen lässt sich, wie bei Blume (2014), auch eine Rangliste der am häufigsten genannten Titel erstellen. Dabei wurden insbesondere Time to say goodbye (40%) und Amoi seg ma uns wieder (30,1%) besonders häufig genannt. Dies ist allerdings lediglich der Anteil der Titel, die die Befragten als häufig gespielt erinnern und bedeutet daher nicht, dass bei 40% bzw. 30% der Bestattungen mit weltlicher Musik einer dieser Titel erklingt. In der Realität dürfte dieser Anteil deutlich geringer sein. Das wird deutlich durch die Betonung vieler Umfrageteilnehmer, dass die genannten Titelnennungen allenfalls Doppelungen, jedoch keine darüber hinaus gehenden Häufungen seien.
Unterstrichen wird dies zudem durch die eigenständig erhobene Einschätzung, wie häufig jeweils die Titel der „Top 10 der Trauerhits“ tatsächlich gespielt werden – dies kommt im Mittel nur selten bis gelegentlich vor (s.o.). Damit stehen die Ergebnisse im Widerspruch zur Ansicht Feldbergs (2007, S. 108), der eine „Ausdünnung des Repertoires zugunsten von Klassikhighlights“ und ein „Abspielen von Trauerhits aus den Charts“ annimmt und konstatiert, dass „sich alles wieder im sattsam Bekannten wiederzufinden scheint.“ Im Gegensatz dazu betonen die Befragten der vorliegenden Studie genau die Vielfalt und Individualität der Musikwahl.
Dies macht noch einmal deutlich, dass neben Blume (2014) auch die Ergebnisse dieser Studie nicht als vollständiger Überblick über das musikalische Geschehen auf Bestattungsfeiern gedeutet werden sollten. Die aus dem Gedächtnis gemachten Angaben über häufig gespielte Titel blenden notwendigerweise eine Vielzahl von Musiktiteln aus, die jeweils selten gespielt werden, in der Summe aber einen bedeutenden Gesamtanteil repräsentieren können. Ein vollständiger Überblick ließe sich methodisch nur durch eine große Zahl protokollarischer Vollerhebungen konkreter Bestattungsfeiern erreichen, was neben methodischen und organisatorischen auch besondere forschungsethische Probleme aufwirft.
Da somit von Häufungen bestimmter Titel kaum gesprochen werden kann, steht auch die Sinnhaftigkeit und Seriosität von Trauermusik-‚Hitlisten‘ in Frage. Bereits 2013 hat Feldberg kritisiert: „Die eher merkantil orientierten ‚Hitlisten‘ grenzen nicht nur das reiche Repertoire an traditioneller Trauermusik ein. Sie grenzen auch unzählige Beiträge aus der immensen Vielfalt von Trauermusik aus, ganz gleich aus welcher Zeit und welchen Genres” (S. 16).
Weltliche Musik als Problemfeld
Auf den ersten Blick zeigen die Ergebnisse eine nur untergeordnete Präsenz weltlicher Musik im kirchlichen Kontext, die im Mittel nur auf rund einem Drittel der Bestattungen überhaupt gespielt wird, und dann lediglich mit jeweils nur einem Drittel Musikanteil. Dennoch sehen sich Pfarrer, Begräbnisleiter und Kirchenmusiker im Umgang mit weltlicher Musik vor großen Herausforderungen. Blume (2014) konstatierte sogar, dass viele Pfarrer weltliche Musikwünsche als Verunsicherung bis hin zur Überforderung empfinden. Wie sehr die Thematik die befragten Berufsgruppen beschäftigt, zeigt auch die hohe Beteiligung an der Umfrage, wobei sich rund 700 Umfrageteilnehmer die zusätzliche Zeit genommen hatten, teils sehr ausführliche Schlussbemerkungen zu ergänzen. Dies zeugt von einem Bedürfnis sich darüber mitteilen zu wollen und legt zugleich offen, dass Pfarrer, Begräbnisleiter und Kirchenmusiker sich in diesem Thema ungehört fühlen und Gesprächsbedarf besteht.
Eine ausführliche Inhaltsanalyse der abgegebenen Freitextkommentare würde an dieser Stelle zu weit führen. Gleichwohl lässt sich zusammenfassen, dass weltliche Musik im Kontext von christlichen Bestattungsfeiern von den Befragten als Problemfeld erlebt wird. Die Konfliktlinie verläuft dabei zwischen den weltlichen Musikwünschen der kirchenfernen Hinterbliebenen, dem musikalisch-ästhetischen Anspruch vor allem der Kirchenmusiker sowie dem grundlegenden Anspruch der Pfarrer und Kirchenmusiker, dass ein christlicher Bestattungsgottesdienst im Rahmen des Verkündungsauftrags auch die Inhalte des christlichen Glaubens transportieren muss. Als problematisch werden dabei der fehlende Bezug zu den Inhalten und Abläufen des Gottesdienstes, den jeweiligen Verantwortungsbereichen der Handelnden und schließlich zur Kirchenmusik selbst erlebt. Dies fangen die Bestatter zwar teilweise auf, üben dadurch jedoch einen Einfluss auf die Hinterbliebenen aus, der von Pfarrern und Kirchenmusikern auch als ein Eingriff in den eigenen Zuständigkeitsbereich empfunden wird.
Kirchenferne
Die zunehmende Kirchenferne ist ein Thema, das sich u.a. in schwindenden Mitgliederzahlen und schlecht besuchten Gottesdiensten ausdrückt und die Kirchen seit Jahren beschäftigt. Auf Grundlage von kirchensoziologischen Untersuchungen beschreiben Hauschildt und Pohl-Patalong (2013) dabei „Christen auf Halbdistanz“, die trotz Distanz an ihrer „fremden Heimat Kirche“ festhalten. Dies hat zur Folge, dass die „Christen auf Halbdistanz“ gar nicht oder nur wenig mit der Liturgie und den Inhalten vertraut sind. Das macht sich im Fall der Bestattung besonders dann bemerkbar, wenn es um die Wahl der Musik geht: Es gibt keinen oder nur wenig Bezugspunkte zu den kirchlichen Gesängen. Viele Trauernde mögen Text und musikalischen Stil als fremd empfinden, ein tröstender Anknüpfungspunkt wird schwieriger greifbar. Aus dieser Perspektive wird es verständlich, dass Hinterbliebene Wünsche von Musiktiteln äußern, mit denen der Verstorbene oder sie selbst im Alltag zu tun hatten, eine Musik, mit der sie sich identifizieren können und die ‚ihre Sprache spricht‘.
Die durch Musik ausgelösten Emotionen und Assoziationen haben einen besonderen Stellenwert und können in der Trauer tröstend wirken. Mit welcher Art von Musik dies bewirkt wird, ist letztlich individuell unterschiedlich und eng gebunden an die eigenen musikalischen Erfahrungen und Vorlieben (Gembris, 2007). Den Pfarrern ist die Bedeutung solcher weltlicher Musikwünsche der Trauernden bewusst, und sie schätzen sie als tendenziell groß ein (M = 3,90, SD = 0,959). Zugleich ist bei ihnen der Aspekt der Individualorientierung besonders ausgeprägt (s.o.). Aus diesem Grund nehmen sie diese Wünsche auch sehr tolerant auf – auch wenn ihnen selbst die weltliche Musik nur mittelmäßig gefällt oder sie als nur wenig bereichernd empfinden. Doch mit der Aufnahme weltlicher Musik geht offenbar auch die Sorge einher, mit einer ablehnenden Haltung trauernde „Christen auf Halbdistanz“ noch mehr von der Kirche zu distanzieren. Außerdem sehen einige Pfarrer in der Trauerarbeit durchaus eine Chance der Kirche, durch den Umgang mit kirchenfernen Trauernden deren möglicherweise mit Vorbehalten belastetes Bild aufzuweichen und sie eine neue Nähe zur Kirche erfahren zu lassen. Dieses missionarische Potenzial sieht auch Biermayer (2016) und plädiert daher für einen sensiblen Umgang mit Musikwünschen von Trauernden. Doch diese seelsorgerisch offene Haltung gegenüber einer weltlichen Musikauswahl steht im Spannungsfeld zu zentralen Elementen einer christlichen Bestattung: der inhaltlichen Perspektive auf die christliche Auferstehungshoffnung, auch in den musikalischen Aspekten des Gottesdienstes; der Verkündigung der biblischen Schriften mit der christlichen Einordnung des Abschieds und Trostes; den Vorgaben der liturgischen Gestaltung, die nur in gewissen Grenzen vom jeweiligen Pfarrer angepasst werden kann. Falls ein von den Hinterbliebenen gewünschter weltlicher Musiktitel sich diesen zentralen Elementen entzieht oder diesen gar zuwiderläuft, ist unmittelbar die innere Konfliktlinie zwischen einer seelsorgerisch zugewandten Individualorientierung und der Loyalität zum christlichen Verkündungsauftrag erreicht.
Die ersten Ansprechpartner für grundlegende organisatorische und inhaltliche Fragen der Trauernden sind in aller Regel die Bestatter. Diese geben oft auch bereits musikalische Richtungen für die Trauerfeier vor, noch bevor überhaupt ein erster Kontakt mit dem Pfarrer zustande gekommen ist. Viele Bestatter führen dazu Listen mit geistlichen und weltlichen Musiktiteln, um Hinterbliebenen die Auswahl zu erleichtern – angesichts der häufig eintretenden organisatorischen und emotionalen Überforderung seitens der Trauernden ein nachvollziehbares Angebot. Dennoch wird bereits hier eine Richtung vorgegeben, auf die Pfarrer im Trauergespräch dann eingehen müssen. Falls zwischen Bestattern und Pfarrern gute Absprachen und ein unproblematischer Austausch herrschen, dürfte dies durchaus hilfreich sein. Die Kommentare der Befragten machen jedoch deutlich, dass dies eher die Ausnahme darstellt: Generell wird die Vorarbeit der Bestatter als ein Einmischen betrachtet, das die eigene Arbeit erschwert. Hier könnte man sich durchaus eine bessere Kommunikation und Vernetzung der Berufsgruppen wünschen. Dies forderte bereits Feldberg (2007) vor über zehn Jahren und erläuterte: „Es lässt sich feststellen, dass Bestatter als ‚Anwalt‘ der Angehörigen, Pfarrer als ganz ihrer Liturgie Verpflichtete und Musiker als ‚nur‘ Ausführende sich eher in einer reagierenden Rolle befinden. Solch ein Rollenverständnis läuft aber jeder Kreativität zuwider“ (S. 111).
Musikalische Qualitätskriterien und praktische Umsetzung
Die Ergebnisse zeigen, dass Kirchenmusiker insgesamt eine weniger tolerante und aufgeschlossene Meinung gegenüber weltlicher Musik haben als Pfarrer und Begräbnisleiter. Der musikalische Stilfaktor ist bei ihnen von überragender Bedeutung (s.o.). Die kirchenmusikalische Ausbildung verwurzelt sie nicht nur stärker in der klassischen Kunstmusik, sondern bringt auch eine fundierte Qualitätsurteils- und Kritikfähigkeit gegenüber jeder Musik mit sich. Die Kirchenmusiker sind die Person im Viereck von Hinterbliebenen–Bestatter–Pfarrer–Kirchenmusiker, die Musikwünsche am ehesten aus einer musikalischen Qualitätsperspektive beurteilen kann. Stärker als die anderen Beteiligten des Personenvierecks achten Kirchenmusiker auf das Zusammenspiel von Inhalt, musikalischem Gehalt, Durchführbarkeit und Stimmigkeit mit den weiteren Musikstücken. Diese spezifische Prioritätengewichtung kann sich bei einem guten Zusammenwirken des Personenvierecks konstruktiv auswirken. Hauschildt (1999) betont dabei, dass die Frage der Musik – welcher Art nun immer – nicht nur im Hinblick auf individuell gewünschte Inhalte und Bezüge zum Verstorbenen betrachtet werden kann und sollte: „[Es geht auch] um die musikalische Qualität der Bestattungsmusik – die Qualität der Komposition und die ihrer Ausführung. Dafür sind natürlich die Musiker zuständig. Von ihnen wird nun die Expertise verlangt“ (S. 307).
Neben der Qualität des Musikstückes an sich ist den Kirchenmusikern insbesondere die Art der Ausführung wichtig: das häufig praktizierte Abspielen von Tonträgern wird von ihnen deutlich als unangemessen abgelehnt (s.o.). Zwar bewerten auch Pfarrer und Begräbnisleiter den Tonträgereinsatz im Mittel nicht positiv, stehen dem aber doch nicht so strikt ablehnend gegenüber. Dies kann im Zusammenhang mit der starken Individualorientierung dieser Gruppen gedeutet werden: Liegen konkrete Wünsche vor, die der Organist nicht ausführen kann oder will, geht es den Pfarrern primär um deren Realisierung – unabhängig davon, ob dies nun live oder per Tonträger geschieht.
Die Ergebnisse zeigten, dass der formale Grad des kirchenmusikalischen Ausbildungsniveaus (hauptamtliche Musiker mit A-/B-Examen, nebenamtliche Musiker mit C-/D-Examen und Musiker mit sonstigen kirchenmusikalischen Kenntnissen) keinerlei Einfluss auf die Häufigkeit des Selber-Spielens von weltlichen (d.h. in der Regel: populärmusikalischen) Titeln bei Trauerfeiern hat. Auf der anderen Seite ist die positive Einschätzung der eigenen Fähigkeiten die wichtigste Motivation, um weltliche Musik eben doch am verfügbaren Instrument selber umzusetzen. Der Ursprung dieses scheinbaren Widerspruchs könnte in den Modalitäten der kirchenmusikalischen Ausbildung zu suchen sein. Die vornehmlich an klassischer Kunstmusik ausgerichtete Ausbildung der Kirchenmusiker mag auf der einen Seite eine hohe künstlerische Expertise in diesem Bereich bewirken, deckt allerdings in aller Regel ohne zusätzliches persönliches Engagement den Popularmusikbereich nicht hinreichend ab. Doch gerade dieser Bereich ist insbesondere bei Kasualien gefragt, wie schon in einer Studie der Landeskirche Hannover deutlich geworden ist (Keuchel & Renz, o.D.) und wie sich am Beispiel der Kasualie Bestattung anhand der vorliegenden Erhebung bestätigen lässt. Unabhängig vom formalen ‚klassischen‘ Ausbildungsstand scheint es daher die über individuelles Engagement zusätzlich erworbene popularmusikalische Kompetenz zu sein, die die Musiker zum Selber-Spielen populärer Musiktitel motiviert und ermutigt.
Ein weiterer limitierender und als bedeutend angeführter Faktor für das Live-Spiel eines weltlichen Titels ist die Umsetzbarkeit am zur Verfügung stehenden Instrument. Popularmusik auf der häufig anzutreffenden Pfeifen- oder elektronischen Orgel darzustellen, ist keine einfache Aufgabe. Geeigneter wäre ein Klavier oder E-Piano, doch diese Instrumente sind nur selten vorhanden.
Alle aufgeführten Faktoren tragen letztlich zur häufig geübten Praxis des Tonträger-Abspielens bei, obwohl dies von allen professionell Beteiligten eher kritisch gesehen oder sogar deutlich abgelehnt wird. Offen bleiben muss an dieser Stelle jedoch, ob die Hinterbliebenen eine mit Orgel oder Klavier gespielte Instrumentalversion eines von ihnen gewünschten Titels tatsächlich der mit Text und Gesang versehenen Originalversion vom Tonträger vorziehen würden.
Kritik und Ausblick
Da die geographische und konfessionelle Verteilung innerhalb der Stichprobe recht ungleich ausfiel, können die hier zunächst nur für die Gesamtstichprobe referierten Ergebnisse nicht als repräsentativ für die zum Teil sehr unterschiedlichen regionalen oder konfessionellen Milieus mit ihren spezifischen Traditionen angesehen werden. Dies bleibt weiteren Analysen vorbehalten.
Im Zuge der Auswertung zeigten sich auch einige Monita der Befragung. So wäre es für die tiefergehende Betrachtung einiger Fragestellungen sinnvoll gewesen, die eigene Rolle der Befragten bei der konkreten Musikauswahl und ihre Zusammenarbeit der Befragten mit den jeweils anderen Berufsgruppen und insbesondere den Bestattern detaillierter zu erheben. Zudem hätte die Information nach Zustand und Qualität der zur Verfügung stehenden Instrumente eine wichtige Ergänzung sein können.
Neben den hier betrachteten 1.875 vollständigen Datensätzen liegen rund 500 weitere, unvollständige Datensätze vor, die je nach Fragestellung für weitere Analysen herangezogen werden können. Die hohe Zahl der Abbrecher bzw. jener, die unvollständig antworteten kann auch als Kritik am Umfang der Befragung verstanden werden, obwohl sich die mittlere Dauer des Ausfüllens mit rund 12 Minuten durchaus im zumutbaren Rahmen bewegte.
Die Ergebnisse der Studie sind in einem sehr viel breiteren Kontext als ‚nur‘ der Musik zu betrachten. Da Musik Ausdruck von Identität und kultureller Verwurzelung ist, spiegelt sie das Lebens- und Todesverständnis der Gesellschaft wider (Blume, 2014). Hierzu zählt sicherlich – trotz einer weiterhin existenten Verbundenheit zum Glauben (Hauschildt & Pohl-Patalong, 2013) – auch die Säkularisierung, d.h. die Abnahme des Einflusses von Religion in der Gesellschaft (Hempelmann, 2015). Damit einher geht eine Verschmelzung der Kategorien von ‚weltlich‘ und ‚geistlich‘, die sich besonders in der Musikwahl zu erkennen gibt. Die grundlegende Erkenntnis, dass Musik jeden Stils und jeder Epoche identifikationsstiftende Elemente einbringt und tröstende Fähigkeiten hat und diese Funktionen auch im Rahmen eines Gottesdienstes erfüllen kann, ist für die musikalische Gestaltung von Bestattungsgottesdiensten bedeutend. Somit dürfte es wenig von Belang sein, ob eine Musik dem weltlichen oder sakralen Kontext entstammt, denn „in den Musikwünschen findet sich oft die ‚Religiosität des Volkes‘, was sich so beschreiben läßt, daß sie in Dogmatiken, Glaubensbekenntnissen und Gesangbüchern nicht vorkommt“ (Waubke, 1999, S. 48). Die Ergebnisse lassen erkennen, dass dieser „Religiosität des Volkes“ vornehmlich tolerant und teils auch fruchtbar begegnet wird.